Social-Media-Kanäle wie Instagram versorgen jugendliche Gehirne mit kleinen Dosen Dopamin. Damit greift man immer wieder zum Smartphone.

Foto: Dado Ruvic

Um 6.45 Uhr schrillt der Handyalarm, Julias Wecker. Damit geht ihr erster Handgriff zum Smartphone, noch bevor die 17-Jährige so richtig wach ist. Und schon hängt sie drin, in diesem nicht abreißenden Strom an Infos, an Entertainment, an Ablenkung. Instagram, Tiktok, Twitter: Julia scrollt und scrollt und scrollt durch die Feeds der Social- Media-Plattformen. Ein echtes Ende kennen die Apps nicht – ständig werden neue Inhalte eingespielt, der Ausstieg aus diesem Sog wird zur Willensfrage. Und das bedeutet Stress für die Psyche. Stress, der immer mehr zum Problem wird.

Fünf Minuten

Eine Studie von Saferinternet stellte vor zwei Jahren fest, dass zwei Drittel aller Jugendlichen in den ersten fünf Minuten nach dem Aufwachen zum Handy greifen. Gründe dafür gibt es viele. Einer davon ist Fomo (Fear of missing out), ein Begriff, der für die Angst steht, etwas zu verpassen. "Hast du die Serie schon gesehen?" "Kennst du schon den neuesten Tanz auf Tiktok?" "Folgst du schon der coolen Instagrammerin?" Bereits 2017 sprach man von der "Generation Goldfisch", bei der man als Medienschaffender nur noch etwa acht Sekunden Zeit hätte, die Aufmerksamkeit der Jugendlichen einzufangen – gelingt das nicht, scrollen sie weiter.

Diese Zeitspanne hat sich in den letzten Jahren weiter verkürzt. Der Daumen fliegt über das Display, im Sekundentakt gelangen neue Informationen in das junge Hirn. Das ist eine Frequenz, in der nicht mehr jede Info verarbeitet werden kann, weiß der deutsche Psychologe Benjamin Strobel.

Im Jahr 2019 stellte die Plattform "Saferinternet" schon einige Trends in einer Studie dar.
Foto: Saferinternet.at

Verzerrte Wahrnehmung

"Bei ständiger Informationsflut ist unser Gehirn mit der Verarbeitung einzelner Mitteilungen überfordert. Wir verarbeiten das Gesehene nur noch oberflächlich und unkritisch", sagt Strobel. Zudem zeigen psychologische Studien der Princeton University, dass wir stärker auf negative Nachrichten als auf positive reagieren. Dieser Aufmerksamkeitsökonomie bedienen sich nicht nur klassische Medien, sondern auch Social-Media-Kanäle – weshalb der Algorithmus öfter schockierende oder negative Nachrichten anzeigt. Das wieder führt zu einer kognitiven Verzerrung: Aufgrund der hohen Frequenz, in der man negative Meldungen liest, entsteht der Eindruck, diese fänden wirklich häufiger statt – auch wenn das gar nicht der Fall ist, sagt Strobel.

Doch nicht nur im Negativen wird die Wahrnehmung verschoben. Auch die geschönten und kuratierten Inhalte, etwa auf Instagram, können für ein verschobenes Realitätsempfinden sorgen. Denn oft vergessen Jugendliche, dass es sich dabei um eine Inszenierung handelt, die nur ausgewählte und oft bearbeitete Bilder samt schmeichelnden Filtern liefert. "Man kann nur berücksichtigen, was man auch wirklich sieht. Was ich nicht sehe, fällt unter den Tisch." Weil die Inhalte schnell und oberflächlich verarbeitet werden, werden etwa auch die unrealistischen Körperbilder weniger reflektiert und unkritisch verarbeitet. Die hohe Frequenz und längerfristige Beschäftigung verfestigt die unhinterfragten Aussagen im Kopf, das Selbstwertgefühl kann Schaden nehmen. Erst im Oktober enthüllte das Wall Street Journal unter Mithilfe der Whistleblowerin Frances Haugen, dass es Facebook durchaus bewusst war, welchen negativen Einfluss seine Tochterfirma Instagram auf die mentale Gesundheit von Jugendlichen haben kann. Das Businessportal CNBC zitierte aus den geleakten internen Facebook-Dokumenten: "Wir verschlechtern das Körperbild bei einem von drei Mädchen im Teenageralter. Und das kann zum Teil lebensbedrohliche Auswirkungen haben."

So überfordert der ständige Strom nicht nur die Psyche der Jugendlichen, in vielen Fällen wird auch ein Bild vermittelt, das zu Selbstzweifeln und Depressionen führen kann.

Der Strom an Informationen reißt nie ab. Es gibt immer etwas Neues zu entdecken.
Foto: Screenshot/Instagram

Suchtmittel Social Media

Doch sich aus dem Feed zu lösen und die Plattformen endgültig zu verlassen, fällt schwer. Viele Jugendliche stellen selbst Inhalte auf die Plattformen, hoffen auf Likes und neue Follower. Etliche Studien belegen, dass dadurch das Glückshormon Dopamin ausgestoßen wird – ein Gefühl, nach dem man im wahrsten Sinne abhängig werden kann. Die von Erwachsenen gelernte Impulskontrolle, also die Fähigkeit, die eigenen Handlungen zu kontrollieren und spontanen, inneren Impulsen nicht unmittelbar nachzugeben, ist bei Kindern noch nicht so stark ausgeprägt. Strobel: "Damit fällt es ihnen wesentlich schwerer, sich von einer Beschäftigung zu lösen, wie zum Beispiel digitalen Medien."

Umso wichtiger ist es, einen verantwortungsvollen Umgang zu vermitteln. "Wir werden lernen müssen, Apps sorgfältiger auszuwählen und uns mehr mit den Wirkungen der verschiedenen Kanäle besser im Freundes- und Familienkreis auszutauschen", sagt Psychologe Strobel. Immer mehr Jugendliche würden sich genervt von dem permanenten Informationsfluss zeigen – diese Überforderung könnten Eltern zum Beispiel zum Anlass für ein Gespräch über die negativen Mechanismen nehmen.

In der Saferinternet-Studie gestanden bereits 35 Prozent der befragten Jugendlichen, der Smartphone-Konsum sei ihnen zu viel. Als Hauptgrund wird von den meisten Teilnehmern genannt, dass Freundinnen und Freunde zu viel am Smartphone hängen würden, wenn man gemeinsam unterwegs ist.

Zusammen mit der wachsenden Digital-Detox-Bewegung, die sich der bewussten Reduzierung des Konsums von digitalen Medien verschrieben hat, sowie einem längst überfälligen Schulfach Medienkompetenz könnte langsam ein Umdenken stattfinden. (Alexander Amon, 23.10.2021)