Junge Männer ohne Eigenschaften stehen im Zentrum von Elias Hirschls Roman Salonfähig. Der Protagonist eifert im Slim-Fit-Anzug seinem großen Idol, dem Kanzler Julius Varga, nach. Dieser Kanzler trägt nicht nur äußerlich die Züge von Sebastian Kurz. Der Roman, der bereits im August erschienen ist, seziert die hohle Rhetorik und Skrupellosigkeit junger Machtmenschen. Durch das Auftauchen der Chats aus dem ÖVP-Umfeld ist er gerade wieder zum Buch der Stunde geworden.

Hier lesen Sie die redigierte Kurzfassung des Videogesprächs mit Elias Hirschl:

STANDARD: Sie rechnen aktuell in einem Artikel für die "Zeit" mit dem sogenannten System Kurz ab. Welche Eigenschaften zeichnen es aus?

Hirschl: Es reicht an einen Personenkult heran, in dem fünf bis zehn loyale Leute in extremer Abhängigkeit voneinander stehen. Dieses System ist ausschließlich von Opportunismus geprägt. Da geht es nicht um Ideale, um politische Ziele, sondern nur darum, Karriere zu machen und alles zu tun, um an der Macht zu bleiben.

STANDARD: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass dieses System nach dem Kurz-Rückzug bestehen bleibt?

Hirschl: Ich denke sowieso, dass Kurz wiederkommen wird, da die Partei stark auf ihn ausgerichtet ist, ihn aktuell nicht ersetzen kann.

STANDARD: Sie haben Ihr Buch während der ersten Kanzlerschaft von Sebastian Kurz geschrieben und damals stark mit den Mitteln der Überzeichnung, fast schon mit Slapstick gearbeitet. Nun sind in den letzten Wochen Chats ans Licht gekommen, die Ihre Fiktion manchmal sogar übertreffen. Haben Sie diese Chats überrascht?

Hirschl: Mich hat überrascht, wie konkret und direkt das läuft. Ich hätte mir fast erhofft, dass diese geheimen Absprachen etwas komplexer als Whatsapp-Nachrichten sind. Als Thomas Schmid schrieb – das kam ja schon vor Monaten heraus –, dass er "wie der Pöbel reisen" muss zum Beispiel: So eine Formulierung hätte ich in meinem Buch nie verwendet, weil sie mir übertrieben und unglaubwürdig erschienen wäre. Es ist fast schon frustrierend zu sehen, wie sehr diese Leute den Klischeebildern, die man von ihnen hat, entsprechen.

STANDARD: Sie nähern sich Ihren Charakteren sehr stark über ihre eigentümliche Sprache an.

Hirschl: Im Fokus stand die Politrhetorik. Die Frage, wie ein Mensch wäre, wenn er nur aus dem bestünde, was er in politischen Interviews von sich gibt. Jemand, der handelt, wie er es in Lebensratgeberbüchern liest. Zur Inspiration habe ich viele Interviews mit Sebastian Kurz, aber vor allem mit Philipp Amthor (als "Shootingstar" der CDU gehandelter Politiker, Anm.), der ja ungefähr so alt ist wie ich, sich aber wie ein 50-Jähriger verhält, angeschaut. Die Kommunikationstechnik NLP war im Bundespräsidentschaftswahlkampf von Norbert Hofer 2016 viel im Gespräch. Da habe ich diverse Websites durchforstet, von denen aus man schnell in abgründigen Pick-up-Artist-Foren landet. Dort kann man vereinsamten jungen Männern zuschauen, wie sie sich radikalisieren. Das war mir aber auch schnell zu arg.

STANDARD: Ihr Protagonist steht unter einem starken Selbstoptimierungszwang. Was macht diesen Typ Mensch aus?

Hirschl: Ich glaube, dass die Neokonservativen einfach den Weg des geringsten Widerstands gehen. Wäre der Papa an der Wall Street, würden sie eben auch an die Wall Street gehen. Es handelt sich meistens um Kinder etablierter Politiker, die in ein System hineingeboren werden, in dem das Nacheifern und Imitieren des Idols mit Aufstieg belohnt wird. Wie ein sich selbst vorantreibender Algorithmus. Keine Fehler eingestehen, keine Schwächen zeigen.

STANDARD: Die österreichische Innenpolitik wird immer wieder literarisch aufgearbeitet – um mit Elfriede Jelinek nur ein Beispiel zu nennen. Sehen Sie sich in dieser Tradition?

Hirschl: Ich sehe mich eher in der Tradition von "Österreich beschimpfen als österreichischer Autor", wobei ich Österreich dadurch beschimpfe, dass ich einfach aufzähle, was hier passiert. Der Vorfall mit der Schülerunion zum Beispiel, die ein Punktesystem für Schmusen und Sex mit Funktionären hatte. Ich wollte mit dem Buch festhalten, welche Skandale in den letzten zehn Jahren passiert sind, weil die ja auch so schnell wieder vergessen werden.

STANDARD: Für den Erfolg Ihres Buches waren die innenpolitischen Entwicklungen der letzten Wochen nicht von Nachteil. Sind Sie Thomas Schmid und Konsorten dankbar?

Hirschl: Also der ÖVP bin ich für nichts dankbar, bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft kann ich mich aber bedanken. (Amira Ben Saoud, 21.10.2021)