In Österreich lagern derzeit Millionen Covid-19 Impfdosen ungenutzt herum. Die Infektionszahlen steigen wieder. Es erhärten sich die Indizien, dass die Einschätzung des studierten (immerhin) Philosophen und Finanzministers, die Pandemie sei für die Geimpften vorbei, nicht wird halten lassen. Das "Nationale Impfgremium", ein Beratungsorgan des Gesundheitsministers, erlässt "Empfehlungen" zur (dritten) Impfung, denen zu entnehmen ist, dass ein Booster dem Gremium zum Beispiel bei zweifacher Astra-Impfung früher geboten erscheint (ab sechs Monate nach der Zweitimpfung) als in sonstigen Konstellationen.

Da kann manche Person, die Angst hat, oder sich nicht genau erinnern kann, wann sie die Zweitimpfung erhalten hat, oder dem zu erwartenden Andrang Impfwilliger in den kommenden Wochen entgehen will, schon mal auf die Idee kommen, eine Drittimpfung früher als nach sechs Monaten in Anspruch nehmen zu wollen. Nennen wir diese Person in dieser Geschichte Paula (wir könnten sie auch "ein Mann vom Lande nennen"). Paula also will einen Drittstich. Der Impfstoff liegt ja derzeit ohnehin ungenutzt herum, eine Drittimpfung nach zwei Mal Astra Zeneca ist ohnehin off label, es mehren sich die Hinweise, dass der Impfstoff "by default" drei Mal zu verabreichen ist, und so weiter.

Paula will und kann das nicht beurteilen, aber sie will sich jetzt impfen lassen, Empfehlung hin oder her, und schreitet zur Tat und will einen Impftermin vereinbaren.Lebt Paula in Wien, dann landet sie schnell auf "Impfservice Wien" und von dort dann auf einer eher nichtssagenden Seite beiliegenden Inhalts:

Info Stadt Wien
Stadt Wien

Diese Information verwirrt Paula zwar, weil sie nicht genau versteht, was ein Portal ist, warum dort eine "noch bessere" Betreuung möglich ist, warum sie ein Konto braucht und was passiert, wenn sie damit nicht einverstanden wäre. Aber Paula will sich ja impfen lassen, stellt die Bedenken beiseite, wartet tapfer auf Bestätigungsmails mit dem Betreff "Bestätigung Ihrer Registrierung zur Impfung", in denen sie aufgefordert wird, auf Links wie diesen zu klicken, vertippt sich, füllt Formulare aus, hat ein Passwort vergessen und erlebt all diesen Wahnsinn, den wir alle täglich kennen. Sie tut das alles und landet schließlich - Hurra, auf einer Terminbuchungsseite.

Dort bucht Paula einen Termin für ihre dritte Impfung, zum Beispiel heute. Oder morgen. Oder irgendwann, denn es gibt unglaublich viele freie Termine, denn kaum jemand will sich ja, siehe oben, derzeit impfen lassen. Paula bucht also, freut sich und bekommt eine Bestätigungsmail, die so aussieht:

Anmeldebestätigung
Stadt Wien

Zum vereinbarten Termin geht Paula ins Austria Center, mit der, wie verlangt, ausgedruckten Impfbestätigung und allen Dokumenten, nimmt dafür einen Tag Urlaub (oder vielleicht auch zwei oder drei wegen der möglichen Impfreaktionen), trifft auf Dutzende freundlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die kaum jemanden zu betreuen haben, füllt Fragebögen aus, fragt nach dem Weg, zeigt Dokumente her und landet schließlich, unmittelbar vor den vorhangverhängten Impfboxen, bei einer Person, die sie nicht durchlässt.

Denn: Der Zweitstich ist weniger als sechs Monate her. Eine Drittimpfung widerspricht, lernt sie, der Empfehlung. Einer "Empfehlung", das ist kein Gesetz, sagt Paula. Egal, sagt die freundliche Person, die sie nicht durchlässt, wir impfen nur nach frühestens sechs Monaten, wenn kein besonderes Risiko vorliegt.

Paula sagt, sie habe ja einen regulären Termin gebucht, habe eine Bestätigung, habe sich erfolgreich angemeldet, habe alles organisiert, sei auch bereit, für die Impfung zu bezahlen, nehme ja niemandem etwas weg, es gehe ohnehin nur um eine off label Impfung, sie übernehme die Verantwortung und so weiter. Hilft nichts. Kein Durchkommen. Keine Impfung. Kein Termin. Die freundliche Person, die Türhüterin, erklärt, es liege an der IT. "Das Programm" erlaube keinen Abgleich zwischen Prüfung der Impfberechtigung (laut Empfehlung) und Vergabe von Terminen.

Zu Hause forscht Paula, sie hat ja jetzt frei, hat einen Urlaubstag gebucht (oder zwei oder drei. Übrigens: wäre nicht die Vergabe von zusätzlichen Urlaubstagen ein möglicher Anreiz für Impfungen?) und deshalb für so etwas Zeit, sie forscht also, woran es wirklich liegt. Und sie lernt: Für die Stadt Wien liegt es am Datenschutz.

Die Antwort wundert Paula gar nicht, der Datenschutz ist praktisch, er ist eine "Weapon of Mass Destruction" und kann an allem Schuld sein, zum Beispiel an mangelnden Durchimpfungsraten.

Oder an der Maskentragepflicht für Geimpfte:

Oder an der (mangelnden) Digitalisierung im (deutschen) Gesundheitswesen überhaupt:

Paula weiß aber auch: Das stimmt gar nicht. "Der Datenschutz" ist kein Naturgesetz. So wie eine Empfehlung kein Gesetz ist. Der Datenschutz lässt sich ausgestalten, anpassen und nutzen. Selbstverständlich wäre es datenschutzrechtlich gar kein Problem, diesen Prozess so auszugestalten, dass Termine, die nicht zu einer Impfung führen, gar nicht erst gebucht und vergeben werden könen. Man könnte, zum Beispiel, den datenschutzrechtlich Verantwortlichen (die ELGA?) auch die Termine verwalten lassen. Man könnte eine informierte Einwilligung verlangen. Oder ein Gesetz oder eine Verordnung schaffen. Oder auch einfach, in großen roten Buchstaben, auf die Webseite schreiben, dass es zwar so aussieht, als könnte man Termine buchen, das aber für viele gar nicht stimmt.

Genauso wäre es auch kein Problem, die, die wollen, einfach schon jetzt zu impfen, auf eigenes Risiko, auf eigene Kosten, wie auch immer, wenn man dafür politisch die Verantwortung übernähme - so wie man sie gerade für das Gegenteil übernimmt.

Es ist beides - der Datenschutz und der Zeitpunkt der Drittimpfung - eine Frage des Wollens und der Planung der Verantwortlichen.

Aber da, erkennt Paula, beginnt ja dann schon das Problem. Denn wer ist denn für irgendetwas, also auch den Datenschutz, in dieser Pandemie, die es gar nicht mehr gibt, verantwortlich? In Wien? In Österreich? (Nikolaus Forgó, 22.10.2021)

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