Wes Anderson ist der verschrobenste Regisseur des gegenwärtigen US-Kinos. Das sieht man auch seinem neuen Film "The French Dispatch" an. Von links: Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens und Griffin Dunne.

Foto: Disney

Die französische Stadt Ennui-sur-Blasé wird man auf normalen Landkarten vergeblich suchen. Sie gehört in die private Geografie (oder Mythologie) des Filmemachers Wes Anderson. Seine neue Komödie The French Dispatch stellt eine unerwartete Verbindungslinie zwischen dem amerikanischen Bundesstaat Kansas und eben Ennui-sur-Blasé her.

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Ausgerechnet in Kansas erscheint nämlich eine Zeitung, die Liberty, Kansas Evening Sun, die sich eine Sonntagsbeilage leistet, die in der Stadt produziert wird, bei der man zumindest dem Klang nach an Langeweile und an Blasiertheit denken soll. Wobei Ennui ja so etwas wie der Königsweg der Langeweile ist, ein Weltverdruss der gehobenen Sorte.

Mediale Orchideenfächer wie The French Dispatch gibt es in der Wirklichkeit kaum mehr, und doch gibt es für Wes Anderson ein Vorbild: Gemeint ist natürlich das Magazin The New Yorker, das zwar ganz normal bei einem Konzern erscheint, es aber doch Woche für Woche schafft, im Rahmen eines betont altmodischen Konzepts immer wieder das Unerwartete zu präsentieren. Und daneben einfach sehr viel exzellenten Journalismus.

Dreifach verschachtelt

Wes Anderson wäre aber nicht der verschrobenste Künstler im gegenwärtigen amerikanischen Kino, würde er nicht seine Hommage an den New Yorker auch noch doppelt und dreifach verschachteln und verschlüsseln. Im Kern ist The French Dispatch aber nichts anderes als ein verfilmtes Heft einer sehr besonderen Zeitschrift. Das bedeutet: Der Film besteht aus vier Artikeln oder Geschichten, wobei der erste Artikel zugleich auf das Ende der Zeitschrift verweist, denn es handelt sich um einen Nachruf auf den Verleger, einen naturgemäß originellen Mann namens Arthur Howitzer Jr.

Gespielt wird dieser von Bill Murray, einem der angestammten Stars aus dem Anderson-Universum. Mit gewohnt griesgrämiger Miene lässt sich dieser beste denkbare Chefredakteur und Herausgeber einen wild aus den Fugen geratenen Text nach dem anderen unterjubeln, zeichnet dazu abenteuerliche Spesenrechnungen ab und lässt alles auch in eine grafisch ansprechende Form bringen.

In den drei Geschichten, die dann den Kern von The French Dispatch ausmachen, spiegeln sich viele der Vorlieben von Wes Anderson wider, zum Teil stehen auch konkrete Reportagen aus dem New Yorker dahinter. Eine Kunstkritikerin (Tilda Swinton) schreibt über einen Maler, der als verurteilter Mörder hinter Gittern sitzt und von einer seiner Wärterinnen einen Akt malt, der alle "letzten" Bilder der Moderne in den Schatten stellt; eine Politikreporterin (Frances McDormand) trifft in einem studentenbewegten Paris auf einen Revolutionscharismatiker namens Zeffirelli (Thimothée Chalamet); ein Food-Writer (Jeffrey Wright) schreibt über einen Koch namens Nescaffier, wobei diese Geschichte besonders stark entgleist oder ihr ursprüngliches Thema durch erzählerische Umwege verfehlt.

Offensiv konstruiert

In allen Fällen kriegt Anderson die Kurve. Allerdings ist The French Dispatch doch eindeutig sein bisher am offensivsten konstruierter Film. In seinem Meisterwerk The Grand Budapest Hotel hatte seine Methode noch ein klassisches Maß: Anderson macht im Wesentlichen Puppenstubenbilder, also präzise gestaltete kleine Weltausschnitte, die er nach einer präzisen Choreografie anordnet. In The French Dispatch nähert er sich nun doch deutlich dem Prinzip einer Welt, die so viele kostbare Kleinigkeiten enthält, dass man den Film im Grunde auf Zeitlupe schalten müsste, um auch alles mitzukriegen. Das geht aber eben nicht, denn The French Dispatch ist auch durch den Soundtrack von Alexandre Desplat ständig in Bewegung, ständig auf dem Sprung. Eine winzige Idee jagt die andere, nicht immer zum deutlichen Nutzen des größeren Ganzen.

So kann man von The French Dispatch vielleicht durchaus auch ein bisschen enttäuscht sein, weil sich Exzentrik hier scheinbar ziellos verselbstständigt. Oder aber man sieht Anzeichen für Andersons bisher radikalsten Film, der beim zweiten, dritten Sehen dann durchaus auch als einer seiner besten deutlich werden könnte. (Bert Rebhandl, 22.10.2021)