Emmanuel Macron forciert beim EU-Gipfel Atomkraft und dabei vor allem Mini-AKWs. Er ist damit in der Union kein Einzelkämpfer.

Foto: AFP / Aris Oikonomou

Streit, Streit, Streit bei fast allen wichtigen politischen Problemfeldern, Mehrfrontenkonfrontationen, jeder irgendwann mit jedem gegen jeden. So präsentieren sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten seit Monaten. Das Herbsttreffen Donnerstag in Brüssel war keine Ausnahme.

"Es wird eine harte Auseinandersetzung mit dem polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki geben", sagte ein Diplomat schon zum Auftakt. Zwar wollte Ratspräsident Charles Michel das Thema kleinhalten. Aber der Pole wollte seinen Kollegen selbst – so wie schon im Europäischen Parlament – "im persönlichen Gespräch" erklären, warum er die polnischen Verfassungsrichter über den Europäischen Gerichtshof stelle, warum der "Superstaat" EU seiner Meinung nach die Nationalstaaten abschaffen wolle.

Nur wenige, wie Ungarn oder die Balten, stehen zu ihm. Die meisten anderen Staaten, allen voran Luxemburg, die Niederlande, Frankreich und Österreich, das zum ersten Mal von Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) vertreten war, halten voll dagegen. Sie pochen darauf, dass die Regierung in Warschau die Rechtsstaatlichkeit einzuhalten habe. Punkt. Sonst drohe eine Blockade bei EU-Hilfen. "Werte und Rechtssicherheit sind unverhandelbar", sagte Schallenberg, "der Vorrang des Gemeinschaftsrechts ist ein Bauprinzip der Gemeinschaft."

Polen strittig, nicht isoliert

Zu glauben, dass Polen damit im Kreis der EU-27 isoliert wäre, ist aber verfehlt. Bei einem zentralen Thema, der Energiepolitik, ist das Land neben Tschechien, Finnland und einigen anderen Osteuropäern der wichtigste Verbündete Frankreichs. Sie kämpfen darum, dass Nuklearenergie als schadstoffarme, EU-förderungswürdige Form der Energiegewinnung anerkannt wird. Die EU-Kommission steht dem negativ gegenüber, weil es dem strengen Prinzip der Nachhaltigkeit im Green Deal widerspricht. Die Union hat das Ziel, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren und ab 2050 bei Treibhausgasen überhaupt klimaneutral zu sein.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sieht seine Nuklearstrategie aber als wichtigen Beitrag dazu. Frankreich setzt ganz auf die Entwicklung von Mini-AKWs, will davon gut ein Dutzend auch in Polen bauen, das beim Ausstieg aus der Kohle vor großen Herausforderungen steht. Das Ganze ist ein sehr grundsätzlicher, auch kultureller Streit.

Der Franzose startete beim EU-Gipfel eine Offensive. Österreich und Deutschland, wo Atomkraftwerke verpönt bzw. im Auslaufen sind, lehnen das ab, stimmen gegen EU-Förderprogramme dafür. Schallenberg sieht AKWs weder als sicher noch als nachhaltig an.

2022 wird das Thema im Fokus bleiben, da haben Frankreich und Tschechien, die beide neue AKWs bauen, den EU-Vorsitz inne. Eine Lösung könnte sein, dass Atomenergie im Zuge einer EU-Taxonomieverordnung, die in Bezug auf grüne Finanzinvestments wichtig ist, als schadstoffarm eingestuft wird, ohne das Prädikat nachhaltig zu bekommen.

Hohe Energiepreise

Das Thema Nuklearenergie ist nur ein Teil des größeren strittigen Themenkomplexes Energie. Die Regierungschefs beraten über Möglichkeiten, wie man den stark steigenden Energiepreisen in Europa entgegentreten könnte.

Die Südländer forcieren angesichts enorm gestiegener Preise für Gas und Treibstoff in den vergangenen Wochen Eingriffe in den Markt. Auf Basis eines Berichts der Kommission wollen vor allem die nördlichen Staaten abwarten, bis sich die Märkte wieder beruhigen.

In Österreich ist das Problem geringer, wie der Kanzler sagte, weil die Gaslager gefüllt sind und die Industrie langfristige Lieferverträge hat. Die Kommission hat den Mitgliedsstaaten eine ganze Toolbox von Maßnahmen vorgelegt, die sie aufgreifen können: von der Senkung von Steuern auf Treibstoffe bis zu Hilfen für sozial Schwache.

Etwas an den Rand gedrückt wurde das Thema Migration. Der Gipfel betont die Wichtigkeit der "externen Dimension" dabei, also den Schutz der EU-Außengrenzen, das Forcieren der Rückführungsprogramme, die Hilfe für Drittstaaten. Auch weitere Sanktionen gegen Belarus, das Migranten als "Waffe" einsetzt, standen im Raum. (Thomas Mayer aus Brüssel, 21.10.2021)