Über die Frage, wo und wann die ersten Pferde von Menschen gezähmt und als Reit- und Arbeitstiere eingesetzt worden waren, wird unter Archäologen, Genetikern und Historikern immer noch lebhaft diskutiert. Das liegt unter anderem daran, dass sich die entsprechenden Forschungsergebnisse der jeweiligen Disziplinen bisweilen widersprechen. Während Archäologen die Domestizierung des Pferdes aufgrund bisheriger Funde in der Gegend des heutigen Kasachstans vor rund 5.500 Jahren verorteten, lieferten DNA-Analysen Hinweise darauf, dass Pferde an unterschiedlichen Orten in Eurasien unabhängig voneinander gezähmt wurden.

Andere Genuntersuchungen ergaben schließlich, dass die Domestizierung vor rund 6.000 Jahren durch Völker in der westlichen eurasischen Steppe erfolgte. Eine nun im Fachjournal "Nature" präsentierte Studie versucht, den Widersprüchen auf den Grund zu gehen und neue Erkenntnisse in die bisher rekonstruierte Geschichte des Hauspferdes zu integrieren. Die von einem Team um den Paläogenetiker Ludovic Orlando von der Universität Toulouse veröffentlichten Ergebnisse untermauern einige frühere Annahmen, und zwar insbesondere, dass die Pferde tatsächlich zuerst in der pontisch-kaspischen Steppe im Nordkaukasus domestiziert wurden, ehe sie innerhalb weniger Jahrhunderte den Rest Eurasiens eroberten.

Umfangreiche genetische Studien

Vor einigen Jahren untersuchten Orlando und seine KollegInnen die Fundstätte der Botai-Kultur in Zentralasien, die den bisher ältesten archäologischen Nachweis für domestizierte Pferde geliefert hatte. Die DNA-Ergebnisse warfen allerdings einige Fragen auf: Diese aus der Zeit vor 5.500 Jahren stammenden Pferde waren nicht die Vorfahren der heutigen Hauspferde. Neben den Steppen in Zentralasien erwiesen sich auch alle anderen vermuteten Ursprungsorte wie Anatolien, Sibirien und die Iberische Halbinsel als falsch.

"Wir ahnten, dass auch der Zeitraum zwischen 4.000 und 6.000 Jahren nicht stimmen konnte, aber wir konnten keine Beweise dafür finden", sagt Orlando. Das Forschungsteam beschloss daher, seine Studie auf ganz Eurasien auszudehnen und analysierte die Genome von insgesamt 273 Pferden, die von 50.000 bis 200 vor unserer Zeitrechnung lebten. Diese Informationen wurden an der Université Toulouse III – Paul Sabatier und der Université d’Évry sequenziert und mit den Genomen heutiger Pferde verglichen.

Ein mongolischer Pferdehirte in der Region Khomiin Tal. Die aktuelle Studie zeigt, dass Pferde zuerst in der pontisch-kaspischen Steppe im Nordkaukasus domestiziert wurden, bevor sie innerhalb weniger Jahrhunderte den Rest Eurasiens eroberten.
Foto: Ludovic Orlando

Pferdeknochen aus Deutschland

Die einzigen Proben von Pferdeknochen aus Deutschland, die analysiert wurden, stammen vom Hohlen Stein bei Schwabthal in Oberfranken. Diese hat ein archäologisches Team der Universität Bamberg während eines Forschungsprojekts im Jahr 2008 ausgegraben und datiert. "Wir haben dort Pferdeknochen von mehreren Tieren aus der Zeit um 2600 vor Christus gefunden, die im Zusammenhang mit einer Siedlung der schnurkeramischen Kultur aus der späten Jungsteinzeit stehen", sagte Grabungsleiter Timo Seregély von der Professur für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie. "Sie waren durch die direkte Lage am auffälligen Dolomitfelsmassiv des Hohlen Steins fantastisch erhalten und wiesen einen reichen Gehalt an alter DNA auf."

Im Gegensatz zu Seregélys bisheriger Annahme ist nun nicht einmal mehr sicher, ob es sich bei den oberfränkischen Funden überhaupt um die Reste von domestizierten Pferden handelt. Es könnte sich ebenfalls um gejagte, damals noch in der Region lebende Wildpferde gehandelt haben. Die Studie kann diese Frage aber nicht sicher beantworten – dafür aber eine andere, unglaublich wichtige, wie Seregély bekräftigt: "Bisher ging man davon aus, dass Pferde bereits im frühen dritten vorchristlichen Jahrtausend bei der Expansion von Menschen aus den eurasischen Steppenregionen in zahlreiche Regionen Europas eine entscheidende Rolle bei der Mobilität spielten. Das ist nun klar widerlegt. Ob wir für diese große, sich über mehrere Jahrhunderte und einige Zwischenetappen erstreckende Migrationswelle nun eher Rindergespanne als Mobilitätsfaktor ins Auge fassen können, müssen spätere Studien zeigen."

Rasanter Austausch

Die Vorfahren der heutigen Hauspferde stammen hingegen aus einer späteren Zeit: In Eurasien, das einst von genetisch unterschiedlichen Pferdepopulationen bevölkert war, kam es zwischen 2200 und 2000 vor unserer Zeitrechnung zu einer dramatischen Veränderung. "Die Pferde, die in Anatolien, Europa, Zentralasien und Sibirien lebten, waren genetisch sehr unterschiedlich", sagt Pablo Librado, Erstautor der Studie. Dann verbreitete sich ein einziges genetisches Profil, das es zuvor nur in der pontischen Steppe im Nordkaukasus gab. Das aus der Region im heutigen Russland zwischen Don und Wolga stammende Ur-Hauspferd verbreitete sie sich vor 4.200 Jahren zunächst nach Böhmen, in den Donauraum, nach Anatolien und Eurasien.

Kiefer eines Pferdes, den man bei Ausgrabungen in Ginnerup, Dänemark, entdeckt hat. Der Fund fand Eingang in die genetischen Analysen der aktuellen Studie.
Foto: Lutz Klassen, East Jutland Museum

Wo immer die neuen Reitpferde auftauchten, verschwanden andere, zuvor dort ansässige Pferdelinien, so die Forscher, zu denen auch Gottfried Brem und Barbara Wallner vom Institut für Tierzucht und Genetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Christoph Schwall vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien gehören.

"Die genetischen Daten deuten auch auf eine explosionsartige Vermehrung der Pferde hin, die in den letzten 100.000 Jahren ihresgleichen sucht", fügt Orlando hinzu. "Damals übernahmen Menschen die Kontrolle über die Fortpflanzung dieser Tierart und produzierten Pferde in beträchtlicher Anzahl." Die Ausbreitung dieser Pferde ereignete sich zumindest in Asien gleichzeitig wie jene von Streitwägen mit Speichenrädern und indoiranischen Sprachen.

Starker Rücken und ruhiges Gemüt

Aber wie lässt sich diese überwältigende Beliebtheit erklären? Zwei Erbgut-Veränderungen machten die neuen Pferde für die damaligen Bewohner der Don- und Wolga-Steppe offenbar besonders nützlich: Eine passierte beim "GSDMC"-Gen, wo es bei Menschen Varianten gibt, die mit chronischen Rückenschmerzen in Verbindung gebracht werden. Diese Genveränderung ist bei den Reitpferden wohl dafür verantwortlich, dass sie einen besonders starken Rücken haben und somit Menschen und Ausrüstung problemlos tragen können. Außerdem haben sie eine Mutation beim "ZFPM1"-Gen, das bei Mäusen Angstaggression verursachen kann. Diese Veränderung machte die Reittiere wohl weniger scheu und gefügiger.

Die in der westeurasischen Steppe entstandene neue Pferdelinie verkraftete demnach lange, schnelle Ritte wohl besser, man konnte sie vor Kriegswagen zu spannen und ihnen schwere Packen aufzuladen, meinen die Forscher. Sie waren deshalb sehr beliebt und eroberten mit den ersten spezialisierten Pferdezüchtern, -händlern und -trainern sowie Wagenbauern die Welt. (red, 23.10.2021)