Éric Zemmour hat sich zu einem wichtigen Akteur in der Politik Frankreichs entwickelt, sagt die Politikwissenschafterin Benedicte Berner im Gastkommentar.

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Éric Zemmour
bei der Präsentation seines neuen Buches in Paris.
Foto: AP / Michel Euler

Einer neuen Umfrage zufolge, die Frankreich in Aufruhr versetzt hat, würde der rechtsextreme Essayist und Fernsehsprecher Éric Zemmour 17 Prozent der Stimmen erhalten, wenn er bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen antreten würde. Damit läge er an zweiter Stelle, noch vor Marine Le Pen von der rechtsextremen Partei Rassemblement National, der Nationalen Sammlungsbewegung.

Zemmour, der seit Anfang der 2000er.Jahre durch seine populären Fernsehauftritte und seine regelmäßige Kolumne in der konservativen Zeitung Le Figaro bekannt ist, hat sich zu einem wichtigen Akteur in einem politischen Spiel entwickelt, das er zu destabilisieren hofft – auch wenn seine eigene mögliche Präsidentschaftskandidatur im Unklaren bleibt. Sein politisches Megafon ist CNews, ein einflussreicher Fernsehsender, der von dem Milliardär Vincent Bolloré, einem Großaktionär der Vivendi-Gruppe, unterstützt wird. Obwohl seine beliebtesten Programme in der Regel nicht mehr als 800.000 Zuschauerinnen und Zuschauer anziehen, hat CNews sein Publikum innerhalb von vier Jahren verdoppelt und steht damit an zweiter Stelle der vier französischen 24-Stunden-Nachrichtenkanäle.

Extrem und provokativ

Das Geschäftsmodell des Unternehmens kombiniert aktuelle Nachrichtenberichterstattung mit Kommentaren und Debatten, die komplexe Themen vereinfachen und oft extreme Positionen vertreten. Der Schlüssel zum jüngsten Erfolg von CNews und Zemmour liegt darin, dass sie sich eine Lektion von Donald Trump abgeschaut haben: Seien Sie extrem und provokativ. Zemmours letzter öffentlichkeitswirksamer Ausbruch war zum Beispiel die Forderung nach einem Verbot "ausländischer" Namen wie Mohammed.

Nachdem sich die französische extreme Rechte in den letzten 30 Jahren auf den Islam, die Einwanderung, das Versagen der Bildungspolitik und den angeblichen Niedergang der französischen Zivilisation konzentriert hat, rückt Zemmours extremistische Rhetorik diese Themen noch stärker in den Vordergrund. "Extremistisch" ist keine Untertreibung: In den vergangenen Jahren wurde Zemmour zweimal wegen Hassreden und Anstiftung zu rassistischer Gewalt verurteilt.

Verdrehte Tatsachen

In seinem neuen Buch La France n’a pas dit son dernier mot (auf Deutsch: "Frankreich hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen") greift Zemmour dieselben aufrührerischen Themen auf. Indem er Islam und Islamismus in einen Topf wirft, hofft er, die gesamte Religion zu stigmatisieren und den Widerstand gegen die Einwanderung zu schüren. Er behauptet, dass muslimische Einwanderer die einheimische Bevölkerung Europas "überschwemmen" und überwältigen werden und dass die "Islamisierung der Straßen" durch die neuen "Kolonisatoren" das Überleben der französischen Nation bedroht. "Keine kleine Stadt, kein kleines Dorf in Frankreich ist sicher vor wilden tschetschenischen, kosovarischen, maghrebinischen oder afrikanischen Banden, die stehlen, vergewaltigen, plündern, foltern und töten", schreibt er.

Es überrascht nicht, dass Zemmour unverhohlen die Geschichte verdreht. So behauptet er, dass das mit den Nazis verbündete Vichy-Regime die französischen Jüdinnen und Juden während des Zweiten Weltkriegs "geschützt" habe. Zudem ist er bekannt für seine aggressive Frauenfeindlichkeit und Homophobie.

Gemäßigte Le Pen

Zemmour möchte, dass diese Themen bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr im Mittelpunkt der Debatte stehen. Die französische Rundfunk- und Fernsehregulierungsbehörde, der Conseil Supérieur de l’Audiovisuel (CSA), hat bereits beschlossen, ihn wie einen Kandidaten zu behandeln und seine TV-Sendezeit zu überwachen, damit er nicht mehr als andere Kandidatinnen und Kandidaten beanspruchen kann.

Das Phänomen Zemmour beunruhigt die französischen Parteien quer durch das politische Spektrum, wenn auch nicht aus den gleichen Gründen. Es betrifft Marine Le Pen, weil sie hofft, die Kandidatin der extremen Rechten zu werden.

Um sich 2017 als legitime Präsidentschaftskandidatin zu präsentieren, mäßigte Le Pen die Botschaft der Partei und distanzierte sich von ihrem Vater (dem Gründer und ehemaligen Vorsitzenden der Partei) und dessen reaktionärer, rassistischer und antisemitischer Rhetorik. Im folgenden Jahr änderte sie sogar den Namen der Partei. Die Mäßigung kam jedoch bei einem Großteil ihrer Basis nicht gut an, von der ein erheblicher Teil zu Zemmour geflohen ist. Eine am 28. September veröffentlichte Umfrage ergab, dass die Unterstützung für Le Pen bei etwa 16 Prozent lag, gegenüber 28 Prozent in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2017.

De Gaulles' Lieblingsthemen

Zemmour bereitet auch der traditionellen Mitte-rechts-Partei, Les Républicains, Sorgen. Während es vielen französischen Konservativen peinlich wäre, angesichts der antisemitischen Vergangenheit des Rassemblement National für die Nationale Sammlungsbewegung zu stimmen, könnten sie Zemmour, einen sephardischen Juden, als akzeptablen Sprecher für die Position der heutigen Rechten zur Einwanderung betrachten.

Noch irritierender ist, dass Zemmour sich auch als Verfechter des Gaullismus ausgibt und drei der Lieblingsthemen von Charles de Gaulle aufgreift: nationale Unabhängigkeit, Sozialpolitik und die Idee eines christlichen Frankreichs. Indem er mit den fließenden Grenzen zwischen der Rechten und der extremen Rechten spielt, nimmt er den Republikanern Stimmen weg, auf die Marine Le Pen nie hätte hoffen können.

"Macron könnte auch unter den negativen Auswirkungen leiden, die rechtsextreme Themen auf die gesamte Debatte haben werden."

Eine Kandidatur von Zemmour könnte der Rechten zwar schaden, ihr aber auch nützen. Wenn Zemmour Le Pen unterlegen ist, könnte sich ein anderer rechter Kandidat wie Xavier Bertrand, der in den Meinungsumfragen derzeit als Favorit gilt, in der zweiten Runde der Wahl als Herausforderer von Präsident Emmanuel Macron durchsetzen. Macron hätte in einer Stichwahl gegen Bertrand viel mehr zu befürchten. Dieser Kandidat könnte auf eine breite Unterstützung hoffen, auch von linken und gemäßigten Wählern, die eine zweite Amtszeit Macrons um jeden Preis verhindern wollen.

Macron könnte auch unter den negativen Auswirkungen leiden, die rechtsextreme Themen auf die gesamte Debatte haben werden. Er wird seine wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften, seine Bildungsmaßnahmen und seine proeuropäischen Überzeugungen hervorheben wollen. Aber das wird nicht einfach sein, wenn er gegen einen Gegner antritt, der nur von "Islam" und "Einwanderung" spricht.

Veränderte Debatte

Es bleibt abzuwarten, ob Zemmour kandidieren wird. Einige Analysten bezweifeln, dass er die erforderliche Unterstützung von mindestens 500 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aufbringen kann. Aber die 17 Prozent der französischen Wählerinnen und Wähler, die seine Kandidatur unterstützen, können nicht ignoriert werden. Ein beträchtlicher Teil der Öffentlichkeit ist eindeutig desillusioniert von den derzeitigen politischen Eliten.

Wie auch immer Zemmour sich entscheidet, er hat zusammen mit CNews und anderen rechtsgerichteten Medien die Debatte verändert und alle Kandidatinnen und Kandidaten gezwungen, sich auf Einwanderung und Kriminalität zu konzentrieren. Auch Macron musste sich anpassen, was sich in seiner Entscheidung widerspiegelt, die Visaerlaubnis für marokkanische, algerische und tunesische Staatsangehörige stark einzuschränken. Auch wenn er noch nicht kandidiert, ist Zemmour bereits eine Kraft bei den Wahlen im nächsten Jahr. (Benedicte Berner, Übersetzung: Andreas Hubig, Copyright: Project Syndicate, 26.1.2021)