Symbolbild Revolver.

Foto: imago

Der Hauptdarsteller und Co-Produzent eines Westerns, Alec Baldwin, hat bei einem Unglück mit einer Requisitenwaffe am Donnerstag beim Dreh in New Mexico die Kamerafrau Halyna Hutchins getötet und den Regisseur Joel Souza verletzt. Nun rätseln Fachleute, wie solche Unfälle auf Sets überhaupt passieren können. Besonders die Erinnerung an Brandon Lee, den Sohn Bruce Lees, der 1993 beim Dreh zu The Crow durch ein Fragment einer Pistolenkugelattrappe, die sich im Lauf verklemmt hatte, getötet worden war, kommt nun wieder hoch. Auf Twitter stellt Lars Winkelsdorf, ein deutscher Fachdozent für Waffensachkunde, einige Vermutungen zum Unfall an.

Winkelsdorf hält es für unwahrscheinlich, dass scharfe Munition verwendet wurde, da diese die umgebauten Filmwaffen beim Abfeuern zerstören und den Schützen schwer verletzen würde. "Es spricht also viel dafür, dass sich durch Fehler beim Umbau der Filmwaffe hier bei diesem Fall die Gasdüse selbst löste und so zum Geschoß wurde, das durch den Lauf relativ gasdicht beschleunigt wurde", schlussfolgert der Experte.

Warum es überhaupt die Kamerafrau traf, welche Munition generell auf Sets verwendet wird und zu welchen Unfällen es dabei kommen kann, haben wir den österreichischen Filmexperten Georg Mayrhofer gefragt, der bei Produktionen wie Soko Donau oder Kommissar Rex auch mit Waffen zu tun hatte. Seit 35 Jahren arbeitet er als Regieassistent (unter anderem für Filme wie Die Migrantigen oder Stille Reserven) und legte im Juni die Publikation Basisbuch FILM – was man wissen muss, BEVOR man bei einem Film mitarbeitet vor.

STANDARD: Wie kann es zu so einem Unfall kommen?

Mayrhofer: Schlamperei und ein unbedachter Umgang mit Waffen. Ich vermute, dass es in den USA nicht so explizite Regeln gibt wie bei uns.

STANDARD: Warum sollte man denn überhaupt auf eine Kamerafrau zielen?

Mayrhofer: Man zielt bei Szenen mit Schusswaffen gerne knapp an der Bildachse (das ist die gedachte Linie zwischen aufzunehmendem Objekt und Kamera) vorbei. Dadurch wirken die Schüsse erschreckender.

STANDARD: Welche Waffen und welche Munition werden auf Sets verwendet, damit das realistisch aussieht?

Georg Mayrhofer sagt, dass scharfe Munition nicht in die Nähe von Filmsets kommt.
Foto: privat

Mayrhofer: Es werden Platzpatronen verwendet. Speziell für Filmaufnahmen angefertigte Patronen, die starke Zündladungen enthalten, die einen großen, für die Kamera sichtbaren Blitz erzeugen. Das sind in der Regel auch sehr langsam zündende Ladungen, da bei zu kurzen Feuerstößen oft das Problem auftritt, dass die Entladung nicht auf dem Kader ist (es werden 24 Frames pro Sekunde aufgenommen), sondern in dem Zwischenraum, an dem nicht belichtet wird. Filmmunition ist auch nicht ganz ungefährlich, es werden Plastikpartikel (die Verschlusskappen der Ladungen) ausgestoßen. Kameraleute bekommen deswegen bei solchen Aufnahmen Schutzbrillen und eine Schutzplane übergestülpt. Auf österreichischen Filmsets gibt es da klare Regeln, scharfe Munition ist nicht einmal in der Nähe eines Drehorts.

STANDARD: Kommen Unfälle, die Waffen beinhalten, öfters auf Sets vor?

Mayrhofer: Ich habe in 35 Jahren zum Glück noch keinen Unfall erlebt. Die österreichischen Waffenmeister achten vor allem sehr auf das Handling der Waffen. Die größten Gefahren sind Verbrennungen durch erhitzte Patronenhülsen, Verbrennungen durch den Ausstoß aus dem Lauf und bewegliche Teile, die beim Abschuss in Bewegung geraten, da kann es zu Quetschungen kommen. Wie gesagt, ich habe das noch nicht erlebt.

STANDARD: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Film nach diesem Unfall fertiggestellt wird?

Mayrhofer: Da ja Shareholder-Value immer wichtiger ist als alles andere, wird man nach dem Vergießen einiger Krokodilstränen vermutlich weitermachen. "The Crow" kam ja auch ins Kino, und der Tod des Hauptdarstellers wurde werbewirksam eingesetzt.

STANDARD: Kann es rechtliche Konsequenzen geben?

Mayrhofer: Soweit ich es verfolgt habe, wurde das Ganze von der zuständigen Polizei als Unfall eingestuft. Auch dort wird es Verantwortliche für die Wartung der Waffen geben. Ich nehme an, dass der Verantwortliche für diese außerordentliche Fehlleistung auch zur Verantwortung gezogen wird. (Amira Ben Saoud, 22.10.21)