Ein Migrant versucht, über den Zaun der spanischen Enklave Ceuta zu klettern. Laut AU-Kommissarin müssen Medien den Menschen die Gefahren der Flucht klarmachen.

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Künftig sollen laut Afrikanischer Union vor allem mehr medizinische Produkte – wie Schutzmasken – am Kontinent hergestellt werden.

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"Schon jetzt betreffen Migrationsthemen unseren Kontinent am stärksten", sagt die Sozialkommissarin der Afrikanischen Union (AU), Amira El Fadil. "Und das wird auch so bleiben, selbst wenn ich hoffe, dass ich mit dieser Einschätzung falsch liege." Exaktes Datenmaterial zu Flucht- und Migrationsbewegungen in Afrika zu finden, ist schwer. Denn die einzelnen Länder erheben nicht auf die gleiche Art und Weise, wie viele Migranten und Asylwerber bei ihnen leben – wenn sie es denn überhaupt tun.

Für El Fadil eine der Herausforderungen, die die AU in Zukunft meistern muss. Denn im Moment verlasse man sich noch zu sehr auf das Material der internationalen Organisationen und NGOs, sagt die Kommissarin, die für die Wiener Migrationskonferenz des International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) in Österreich war.

Gefährliche Fluchtrouten schließen

Laut den im Moment vorliegenden Schätzungen stieg die Zahl der internationalen Migranten in den afrikanischen Staaten in den Jahren 2000 bis 2019 von 15,1 auf 26,6 Millionen an. Das ist der stärkste Anstieg weltweit. Fast ein Viertel von ihnen sind Flüchtlinge oder Asylsuchende.

Die meisten Afrikanerinnen und Afrikaner, die ihren Wohnort verlassen haben, bleiben auf dem Kontinent. Etwa 80 Prozent besagen Schätzungen – und auch Sozialkommissarin El Fadil: "20 Prozent verlassen Afrika und die meisten von ihnen gehen nach Europa."

Um die gefährlichen Fluchtrouten über Nordafrika und vor allem das Mittelmeer zu schließen, appelliert El Fadil zuerst an die Medien: "Die Journalistinnen und Journalisten müssen den Menschen klarmachen, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzen", sagt sie. "Wir müssen ihnen zeigen, dass sie in Europa nicht der Himmel erwartet und es auch legale Migrationskorridore gibt."

Mehr Kooperation bei Ermittlungen

Gleichzeitig will El Fadil mehr afrikanische Länder dazu bringen, ihre Polizeikräfte zu bündeln, um Schmugglernetzwerke auszuheben. "Wo es Menschenhändler gibt, werden auch Drogen und Waffen geschmuggelt", sagt sie. Dabei wünscht sie sich, dass das bereits jetzt bestehende Regional Operation Center in Khartum (Rock) besser ausgebaut wird. Im Moment beteiligen sich die Sicherheitsbehörden der neun Länder am Horn von Afrika an dem polizeilichen Austausch. "Aber das sind noch zu wenige, es ist noch zu schwach", sagt El Fadil.

Es könnte mehr erreicht werden, ist sich die Kommissarin sicher. Immerhin hat eine Mission unter der Leitung Interpols – und mit der Beteiligung des Rock – erst im Juli 430 Menschenschmuggelopfer befreit und fast 300 Verdächtige im Zusammenhang mit Schlepperei verhaftet. Fast zwei Dutzend kriminelle Vereinigungen konnten zerschlagen werden, gab Interpol-Chef Jürgen Stock damals an.

Eine bessere Zusammenarbeit fordert El Fadil von der Europäischen Union auch, wenn es um die Rückführung von Menschen übers Mittelmeer geht. "Wir sind klar gegen Ausschiffungszentren", sagt die AU-Kommissarin. Indem man die Menschen zurück nach Nordafrika verfrachtet, würde man die Verantwortung wieder den afrikanischen Staaten umhängen. "Das verlagert das Problem nur", sagt El Fadil.

Europäisches Investment

Viel hilfreicher wäre es, wenn mehr europäische Staaten und vor allem private Unternehmen am afrikanischen Kontinent investieren würden. Es brauche auch mehr Produktionsstätten vor Ort: "Während der Corona-Pandemie haben wir gemerkt, dass wir keine einzige medizinische Maske in Afrika produzieren und auf Import angewiesen sind", sagt El Fadil. Künftig sollen mehr medizinische Produkte selbst hergestellt werden.

Vier Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union würden künftig Corona-Impfstoff produzieren – doch vorerst nur das chinesische Vakzin Sinopharm. "Wir sind offen für Europa und europäisches Investment", sagt die Kommissarin. "Wenn uns Europa hilft, vor Ort Arbeitsplätze zu schaffen, wird das auch den Druck vom Migrationsthema nehmen." Und sie fügt hinzu: "Viele sind auf der Suche nach einer schnellen Lösung. Aber es ist ein langer Weg, den wir einschlagen müssen." (Bianca Blei, 28.10.2021)