Die Baustelle auf der Wiener Südosttangente sechs Tage vor einem gefährlichen nächtlichen Zwischenfall, der Thema eines Strafverfahrens im Landesgericht ist.

Foto: APA / HERBERT NEUBAUER

Wien – "Es kommt ja in jeder Ehe zu Streitigkeiten", lässt Angeklagter K. übersetzen. "Mit solchen Drohungen? Das glaub ich nicht", macht Richterin Corinna Huber dem 39-jährigen Tschetschenen klar, dass sie einen anderen Umgangston in Beziehungen gewohnt ist. Und nicht unter anderem Nachrichten wie "Ich schlage dir die Zähne aus", "Ich breche dir das Kiefer", "Du wirst bestraft werden, dass du mich nicht sehen willst", "Ich werde dich hart ficken", "Statt einem Mund wirst du nur mehr ein Loch haben, und du kannst deine Zähne auf dem Boden suchen".

Derartige mündliche und schriftliche Mitteilungen soll K. in der Nacht vom 15. auf den 16. August an seine 44 Jahre alte Ex-Freundin geschickt haben, die auf der Rückfahrt aus dem Ausland war und den Angeklagten wegen ihrer Übermüdung nicht mehr treffen wollte. Der fünffach vorbestrafte Tschetschene erklärt der Richterin, er könne sich nur noch vage an die Nachrichten erinnern. Er habe nämlich am 15. zu Mittag auf nüchternen Magen damit begonnen, zwei Flaschen Whisky zu leeren, sagt er.

Bei Sachbeschädigung Hand verletzt

Gegen 2 Uhr morgens setzte sich der nach eigenen Angaben einkommenslose K. dann in sein Auto und fuhr zur Wohnung der Ex-Freundin – auch daran habe er nur mehr Erinnerungsfragmente. Niemand öffnete dort, K. schließt nicht aus, dann aus Wut die Eingangstür des Gemeindebaus in Wien-Landstraße beschädigt zu haben. "Ich weiß, dass meine Hand verletzt war", erinnert er sich.

Anschließend fuhr er mit überhöhter Geschwindigkeit Richtung A23, der Südosttangente. Eine Polizeistreife bemerkte das, hielt K. an und forderte ihn durch die offene Beifahrerscheibe zur Kontrolle auf. "Er hat genickt und 'Okay' gesagt, wir sind vorgefahren, als er plötzlich auf die Tangente abbog", fasst einer der Beamten die Situation in seiner Zeugenaussage zusammen.

Exekutive Beschleunigungsprobleme

Bei der Verfolgung machten sich gewisse Beschleunigungsdefizite im Kraftwagenpark der Wiener Exekutive bemerkbar. "Ein 5er-BMW gegen unseren VW Touareg war ein Problem", gibt der Polizist zu. Er erinnert sich, mit 125 Kilometern pro Stunde auf die Autobahn gefahren zu sein, der Angeklagte habe den Abstand da aber deutlich vergrößern können. "Ich würde sagen, er ist mindestens 140 km/h gefahren."

"Es tut mir leid", entschuldigt sich K. beim Polizisten. "Wenn ich gestoppt hätte, wäre ja nichts passiert." – "Na ja, Sie haben ja auch keinen Führerschein", entgegnet der Beamte, worauf der Angeklagte mit: "Der Führerschein hat nichts damit zu tun ..." beginnt, ehe er von seinem Verteidiger Wolf-Georg Schärf gebremst wird.

Die Verfolgungsjagd endete damals jedenfalls an einer Baustelle, an der vier Arbeiter gerade tätig waren. Statt der üblichen drei war nur ein Fahrstreifen verfügbar, K. touchierte eine Betontrennwand und kollidierte mit einem vor ihm fahrenden Fahrzeug. Vier Stunden nach dem Crash, bei dem niemand schwer verletzt wurde, wurden beim Angeklagten 0,64 Promille Alkohol gemessen.

Ex-Freundin bestreitet Furcht

Die Ex-Freundin setzt sich bei ihrer Einvernahme für den früheren Partner, mit dem sie sieben Jahre in einer On-off-Beziehung war, ein. "Ich hätte die Nachrichten einfach gelöscht und nicht angezeigt, wenn die Polizei nicht gekommen wäre", behauptet sie nun gegenüber Richterin Huber. Auch zur Staatsanwältin sagt sie, sie habe keine Angst gehabt, da es in der Vergangenheit zwar öfters zu Drohungen, aber nie zu Gewalttätigkeiten gekommen sei.

"Sie haben am 17. August bei der Polizei zweimal ausgesagt, dass Sie sich wegen der Nachrichten massiv ängstigten", hält Huber der Zeugin vor. Die 44-Jährige hält einen Übersetzungsfehler für möglich. "Ich war mit einer Mitarbeiterin im Ausland, hatte schon davor zwei Tage nichts geschlafen und war erschöpft", führt die Frau auch einen anderen Grund an.

Wagen mit Mitarbeiterin getauscht

Die Richterin bleibt hartnäckig: "Sie haben bei der Polizei auch gesagt, dass Sie sogar das Auto mit ihrer Mitarbeiterin getauscht haben, damit K. nicht weiß, dass Sie in ihrer Wohnung sind!" – "Ja, das habe ich gemacht. Aber das war nicht aus Angst, ich wollte ihn einfach nicht treffen", behauptet die Zeugin, ehe die Anklägerin eine Protokollabschrift beantragt, um Ermittlungen wegen einer möglichen falschen Beweisaussage prüfen zu können.

Vor einer Verurteilung wegen gefährlicher Drohung rettet das K. nicht. Aufgrund seiner Vorstrafen und Gefängnisaufenthalte macht Richterin Huber von ihrem Recht Gebrauch, die Strafandrohung um 50 Prozent auf 18 Monate zu erhöhen und verurteilt den 39-Jährigen zu zehn Monaten unbedingt. Auch für Sachbeschädigung und fahrlässige Körperverletzung und Gefährdung der körperlichen Sicherheit für die Alkofahrt wird K. schuldig gesprochen.

Selbst wenn die Ex-Freundin sich wirklich nicht gefürchtet habe, sei das für die Strafe irrelevant, begründet die Richterin. "Es kommt auf die objektive Eignung an, und die ist hier gegeben. Ich möchte solche Nachrichten nicht bekommen." Der Angeklagte akzeptiert das, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 22.10.2021)