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SPD-Chef Olaf Scholz könnte wie geplant Angela Merkel im Berliner Kanzleramt ablösen.

Foto: Reuters / Pool

Die Ausgebremsten

So wie in Frankreich haben sich die einst so stolzen Konservativen auch in der Benelux selbst verloren

Der Tag, an dem die einst so stolzen französischen Konservativen – sie stellten fünf der acht Staatspräsidenten in Frankreich seit dem Krieg – in die Krise stürzten, war der 6. Mai 2012. Nicolas Sarkozy, der ehrgeizige und mittlerweile wegen überhöhter Wahlkampfkosten verurteilte Staatschef, unterlag da in der Stichwahl um seine zweite Amtszeit dem Sozialisten François Hollande.

Nicolas Sarkozy unterlag 2012 dem Sozialisten François Hollande.
Foto: AFP / Valery Hache

Für die Républicains, wie sich die Konservativen seit einiger Zeit nennen, ist seither nichts mehr so, wie es war. Hollandes Nachfolger im Élysée-Palast, der ehemalige Sozialist Emmanuel Macron, gräbt der gefallenen Volkspartei in ihrer politischen Mitte das Wasser ab, besetzt höchste Regierungsämter mit abtrünnigen Konservativen und lässt die Partei, die in der Provinz durchaus noch zu Achtungserfolgen imstande ist, jenseits aller ideologischen Schemata alt aussehen. Zu allem Unglück aus Sicht der Républicains fischen von rechts mit Marine Le Pen und Éric Zemmour auch noch gleich zwei Islamfeinde nach einstigen Konservativen, die anstatt zum Schmiedl oft lieber gleich zum Schmied gehen.

Auch in den Niederlanden und in Belgien haben wendige Rechtsliberale die einst so mächtigen Christdemokraten an die Wand gedrückt. In Den Haag gibt sich Mark Rutte, was konservative Leibthemen wie innere Sicherheit und die schwarze Null im Budget betrifft, moderner als der religiös angehauchte Christen-Democratisch Appèl (CDA).

Der CDA hatte die Niederlande über Jahrzehnte geprägt, stürzte zuletzt aber auf 9,5 Prozent ab. Weiter südlich haben sich die belgischen Liberalen unter Premier Alexander De Croo die Querelen zwischen Flamen und Wallonen sowie zwischen Christdemokraten und Sozialisten zunutze gemacht – und sich erfolgreich als das Beste aus beiden Welten in Szene gesetzt.

Die Rechtsabbieger

Einzig in Zentral- und Osteuropa gibt es noch konservative Bastionen. Doch die wichtigsten von ihnen scheren aus

Ein Blick auf die politische Landkarte (siehe Grafik) macht das Dilemma deutlich, das der Regierungswechsel in Deutschland für Europas Konservative mit sich bringt: Westlich von Bregenz wird, sobald in Berlin eine Ampelkoalition in Amt und Würden ist, keine konservative Partei mehr ein EU-Land regieren.

Von Post-Brexit-Großbritannien abgesehen, wo Boris Johnson über eine satte Mehrheit verfügt, werden nach dem Ende der Ära Angela Merkels gerade einmal noch Rumänien, Griechenland, Zypern, Lettland, Litauen, die Slowakei, Slowenien und natürlich Österreich von konservativen Regierungschefs geführt – allesamt keine Schwergewichte in der EU.

Während die größte verbliebene Bastion der Konservativen in der EU, Rumänien, gerade einmal 19 Millionen Einwohner zählt und politisch seit einiger Zeit höchst instabil ist, bereiten zwei andere Länder der künftig geschwächten Europäischen Volkspartei (EVP) weit dringlichere Sorgen: Die Wählerinnen und Wähler in Ungarn und Polen haben zwar ebenfalls streng konservative Regierungsparteien an die Macht gebracht, weder Viktor Orbáns Fidesz-Partei noch die polnische PiS-Partei von Jarosław Kaczyński gehören aber der EVP-Parteienfamilie an.

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Ungarns und Polens Staatschefs: Viktor Orbán und Jarosław Kaczyński.
Foto: Reuters / Bernadett Szabo

Mit rigider Migrationspolitik, demonstrativer Verachtung liberaler Werte und einer offen gespielten Nationalismuskarte überholen die beiden Regierungen so manche Rechtspopulisten weiter im Westen spielend auf der rechten Spur.

Und auch Sloweniens konservativer Regierungschef Janez Janša lässt – so wie vor kurzem im verbalen Schlagabtausch mit dem Niederländer Rutte – gern durchblicken, dass er sich mit Budapest und Warschau besser versteht als mit Brüssel und Den Haag. Noch gelingt es den Rechtsabbiegern in Europas Osten, trotz aller Widerstände EU-Gelder zu lukrieren.

Der Totalschaden

Ein Blick nach Italien zeigt, dass sich die Rechte gerade in Krisenzeiten immer mehr radikalisiert – bevorzugt auf Kosten der konservativen Mitte

Wer wissen möchte, was passiert, wenn eine einst staatstragende Partei von heute auf morgen aufhört zu existieren, könnte in Italien fündig werden. 1992 versank dort die altehrwürdige Democrazia Cristiana (DC) wie auch die ebenso traditionsreichen Sozialisten in einem Schmiergeldskandal, der das Parteiengefüge des Stiefelstaats nachhaltig durcheinanderwirbelte.

Aus dem Trümmern der DC, die Italien seit dem Ende des Faschismus fast durchgehend regiert hatte, ging ein Politiker als Sieger hervor, der schon in den Neunzigerjahren wenig Wert auf christliche Werte legte, aber durchaus Interesse am konservativen Wählerreservoir hegte: Silvio Berlusconi.

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Prägte zwei Jahrzehnte lang trotz aller Skandale die Geschicke des Italiens: Silvio Berlusconi.
Foto: Reuters / Flavio Lo Scalzo

Zwei Jahrzehnte lang prägte er trotz aller Skandale die Geschicke des Landes, bevor die Euro- und Migrationskrisen ab 2010 die ohnehin breitgefächerte Parteienlandschaft auf der Rechten weiter aufsplitterten. Heute kämpfen noch weit radikalere Rechte um das Erbe der untergegangenen Italo-Konservativen, Matteo Salvinis Lega etwa oder, neuerdings, die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni, die der Forza Italia des mittlerweile greisen Berlusconi mit immer schrilleren, gern auch ausländerfeindlichen Tönen Konkurrenz um die Hegemonie rechts der Mitte machen.

Eine konservative Partei, wie es sie in Österreich oder Deutschland noch gibt, kennen viele junge Italienerinnen und Italiener also nur mehr aus dem Geschichtsbuch. Allzu viele Hoffnungen auf Besserung darf sich die dortige gemäßigte Rechte aber nicht machen. Seit mit Mario Draghi ein Technokrat regiert und dies, Stand jetzt, von den Menschen zwischen Syrakus und Gossensaß durchaus geschätzt wird, ist die Luft für Italiens Konservative noch einmal dünner geworden. (Florian Niederndorfer, 23.10.2021)