Viele Angestellte wollen maximal 25 bis 30 Stunden die Woche arbeiten, sagt Fritz Poppmeier. Der Chef des Handelsriesen Spar über die wahren Goliaths, harte Arbeitsbedingungen und die Schwächen des Plastikpfands.

Spar-Chef Fritz Poppmeier: "Es gibt eine große Gruppe an Leuten, die nicht arbeiten müssen, die meinen, es lohnt sich nicht."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Dem Lebensmittelhandel fehlen 10.000 Arbeitskräfte. Wollen zu wenige Österreicher arbeiten, oder sind die Jobs zu schlecht bezahlt?

Poppmeier: Um aus dem Krisenmodus rauszukommen, braucht es Impulse für Lust auf Leistung. Es gibt eine große Gruppe an Leuten, die nicht arbeiten müssen, die meinen, dass sich das nicht lohnt. Es ist notwendig, Lohnnebenkosten zu senken, damit ihnen netto mehr bleibt.

STANDARD: Die Regierung diskutiert über mehr finanziellen Druck auf Arbeitslose. Halten Sie das für richtig?

Poppmeier: Österreich ist ein fleißiges Land. Es geht uns gut, es muss gute soziale Standards geben. Hier zu kürzen wäre falsch. Wir sind es uns jedoch schuldig, das Sozialsystem nicht zu missbrauchen. Die Frage ist, wie streng wird geprüft? Wie hoch müssen die Löhne über dem Mindeststandard sein? Aber ehrlich: Was Kindergärtnerinnen oder Friseuren bezahlt wird, ist zu wenig.

STANDARD: Das Einstiegsgehalt im Handel sind magere 1740 Euro brutto. Familienfreundlich ist Arbeit im Supermarkt nicht. Muss sich nicht auch im Handel Grundlegendes ändern?

Poppmeier: Wir haben viele Bewerbungen aus anderen Branchen, weil Arbeitszeiten bei uns sehr planbar sind. Wir haben vor Jahren ein großes Projekt gestartet: Wie sprechen wir die Leute an, wie nehmen wir sie auf, wie arbeiten sie bei uns, auch in verschiedenen Arbeitszeitmodellen, wie bilden sie sich weiter. Es funktioniert gut. Die Balance stimmt.

STANDARD: Die Gewerkschaft klagt über dünne Personaldecken, geteilte Dienste, lange Öffnungszeiten und zunehmende Nachtschichten. Viele Mitarbeiter seien nach eineinhalb Jahren an der Corona-Front ausgebrannt.

Poppmeier: Das eine ist die Branche, das andere ist Spar. Vor allem die letzten 18 Monate waren hart. Viele Mitarbeiter hatten Angst, sich anzustecken, verunsicherte Kunden gaben Druck an sie weiter. Stundenlang mit Maske zu arbeiten ist nicht angenehm. Dennoch muss es dem Handel gelingen, dass gern über lange Zeit hinweg bei ihm gearbeitet wird. Das gelingt nur mit einem guten Gesamtpaket. Ein Plus ist ein sicherer Arbeitsplatz. Und es gibt auch Kunden, die ihre Wertschätzung ausdrücken.

STANDARD: Der Lebensmittelhandel hat in der Krise gut verdient. Sehen Sie Spielraum für höhere Löhne?

Poppmeier: Der Lebensmittelhandel erzielte teilweise sensationelle Umsätze. Aber wir hatten ein schwächeres Ergebnis, die hohen Gesundheitsaufwendungen wurden uns ja nicht ersetzt. Wir haben Millionen Masken bezahlt. Sicherheit geht vor. Aber zu verteilen gibt es nicht viel. Wir werden bei Spar für unsere Mitarbeiter dennoch eine gute Lösung finden.

STANDARD: Spar hatte 2019 einen Gewinn in Höhe von 286 Millionen Euro. Die ausbezahlten Corona-Prämien wirkten vergleichsweise sparsam.

Poppmeier: In Summe haben wir im gesamten Konzern mehr als 20 Millionen Euro dafür ausgegeben. Und wir haben uns bemüht, zusätzliche Arbeit entsprechend zu entlohnen. Wir schütten maximal zehn Prozent unseres Ergebnisses an die Gesellschafter aus. 90 Prozent werden ins Unternehmen investiert, etwa in die Läden, Ausbildung, neue Produkte.

Spar setzte 2020 in Summe mehr als 16 Milliarden Euro um. 20 Millionen Euro flossen in Prämien für mehr als 90.000 Mitarbeiter.

STANDARD: Warum bieten Sie vor allem Teilzeitstellen an, von denen man allein kaum leben kann?

Poppmeier: Wir schreiben immer wieder Vollzeitstellen aus, aber die meisten wollen nur 25, maximal 30 Stunden arbeiten, viele auch nur an Samstagen. Ich behaupte, es gibt nicht so viele, die Teilzeit arbeiten und stattdessen Vollzeit wollen. In den Läden sind etliche Jobs fast nur Vollzeit möglich, weil man dafür gut ausgebildet sein muss. Wir selbst bilden in 23 Berufen aus, vom Konditor bis zum IT-Techniker.

STANDARD: Ist die Corona-Impfung Voraussetzung für einen Job bei Spar?

Poppmeier: Wir empfehlen die Impfung dringend, weil man sich das gegenseitig schuldig ist. Wir zwingen jedoch keinen dazu, und Vorgabe für Bewerber ist sie nicht.

STANDARD: Wie gehen Sie mit den neuen 3-G-Regeln am Arbeitsplatz um?

Poppmeier: Aufgrund der steigenden Inzidenzzahlen ist eine festgelegt 3-G-Regel am Arbeitsplatz sinnvoll. Wir haben diese in unseren Verwaltungszentralen bereits seit Juli, und es funktioniert sehr gut. Wir freuen uns, dass unsere Mitarbeiter in den Märkten nun unter diesen Voraussetzungen von der Maske befreit werden.

STANDARD: Von Mitarbeitern zu Lieferanten: Viele fühlen sich von Spar finanziell ausgepresst. ÖVP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger sprach jüngst gar von Erpressung. Haben Sie sich wieder ausgesöhnt?

Poppmeier: Nein. Ich schätze sie. Sie tritt für den Bauernbund ein, das akzeptiere ich. Aber sie erhob den Vorwurf, ohne auch nur einen einzigen Fall an uns heranzutragen. Bis heute nicht. Das beschädigt die Bauern und uns. Weil es Kundenvertrauen erschüttert. Vielleicht war es Wahltaktik. Sie will mit uns nicht darüber diskutieren. Wir machen Fehler, Foul gibt es von uns keines. Wir haben fast gänzlich Fleisch aus dem eigenen Land, 95 Prozent Milch aus der Region und hohen Bioanteil. Das gibt es in dieser Form nirgendwo anders.

STANDARD: Einzigartig ist in Österreich auch das starke Ungleichgewicht an Marktmacht. Warum ist der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung stetig gesunken?

Poppmeier: Ich bin größter Fan der Bauern. Aber was ist ihr meist umkämpftes Produkt? Konventionelle Milch. Von ihr wird weit mehr erzeugt, als in Österreich gebraucht wird. Gibt es von etwas zu viel, sinkt der Preis. Viele kleine Bauern sind fit. Am stärksten unter Druck sind mittelgroße Konventionelle, weil sie etwas produzieren, das der Markt so nicht will. Hier braucht es eine gemeinsame, auch strukturelle Weiterentwicklungen.

STANDARD: Welche?

Poppmeier: Weniger Milch in Summe und bessere Vermarktung. Der wahre Goliath sind nicht wir, sondern Molkereien. Berglandmilch hat über 50 Prozent Marktanteil. Sie ist unser größter Lieferant, größer als Nestlé und Procter. Vom Preis für einen Liter Milch fließt grob ein Drittel an Bauern. Das zweite Drittel saugt die Molkerei ab, das dritte teilen sich Groß- und Einzelhandel. Ob die Molkerei gut arbeitet, darüber spricht keiner. Klar sind Bauern wütend und fühlen sich ohnmächtig, bekommen sie plötzlich zwei Cent weniger. Futter, Transporte und Energie werden teurer – es rechnet sich für viele nicht mehr.

Spar-Österreich-Chef Fritz Poppmeier: "Liebe Gastronomie, sehr wohl für zumutbar halte ich, beim Schnitzel auf die Karte zu schreiben, ob das Kalbfleisch aus Holland oder Österreich kommt."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Den Bauern fehlen Vertriebsalternativen. Viele sehen sich zu reinen Rohstofflieferanten degradiert, die austauschbar gemacht wurden.

Poppmeier: Ist die Gefahr da, dass Groß Klein drückt? Ja, und ich bin strikt dagegen. Was nicht stimmt, ist, dass Händler bäuerliche Strukturen zerstören. Von der Milch bis zu Schweinen gibt es eine Superzusammenarbeit. Wir haben etliche Produkte, die führen wir nur in zwei Filialen, weil wenig Menge vorhanden ist. Hier ist der Bauer der König. Und klar ist, dass es große Initiativen wie Bio oder die AMA ohne uns Händler nicht gäbe. Bio ohne Partner zu machen ist fast unmöglich.

STANDARD: Spar hat eigene große Fabriken für Fleisch und Brot. Warum bremsen Sie Lieferanten damit aus? Sind Sie der bessere Produzent?

Poppmeier: Manchmal ja. Und oft der Günstigere. Warum sollte jemand, der mit Lebensmitteln handelt, nicht auch guter Bäcker sein? Nehmen Sie Spar Veggie: Es gibt hohen Bedarf an vegetarischer Ernährung. Was, wenn von den Lieferanten dazu wenig kommt? Dann machen wir es selber und arbeiten wie die Industrie in leistbarer Qualität. Würden wir es nicht tun, produziert es ein anderer Markenartikler.

STANDARD: In Deutschland wird immer wieder über ein Werbeverbot für Billigfleisch diskutiert. Zu Recht?

Poppmeier: Derart staatliche Markteingriffe sind ein Schuss ins Knie. Landwirtschaft ist ein lebender Organismus. Es gibt seit ewigen Zeiten den Schweinezyklus mit steigenden und sinkenden Preisen. Und was, wenn ein Vermarkter Innovationen bekanntmachen will oder Übermenge abverkaufen muss? Nur weil er drei Wochen eine Aktion fährt, wird das nicht zu Billigfleisch. Dieses ist für mich Fleisch aus Südamerika, das zu völlig anderen Standards erzeugt wird und im Falle eines EU-Mercosur-Abkommens unseren Markt billig flutet.

STANDARD: Ein Gesetz gegen unlautere Handelspraktiken ist in Arbeit. Haben Sie dagegen Einwände?

Poppmeier: Nein. Was darin steht, machen wir seit 60 Jahren. Sollten dennoch Fehler passieren, so gehört das besprochen. Ich bin auch für die Ombudsstelle. Ich wundere mich nur, warum Ministerin Köstinger sie nicht längst gemacht hat. Bitte aber eine unabhängige Stelle für alle, keine im Umfeld der Landwirtschaft angesiedelte Anklagebehörde.

STANDARD: Woran es stockt, ist Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel. Warum ist Produzenten mehr Transparenz nicht zumutbar?

Poppmeier: Händler sind Vorreiter darin, Herkunft auszuloten. Warum steht manchmal nur EU drauf? Nehmen wir etwa bestimmte Fruchtsäfte, wofür es in Österreich nicht genug Rohstoffe gibt. Hersteller können dafür nicht laufend die Verpackung ändern. Liebe Gastronomie, sehr wohl für zumutbar halte ich, beim Schnitzel auf die Karte zu schreiben, ob das Kalbfleisch aus Holland oder Österreich kommt.

Ist die Gefahr da, dass Groß Klein drückt? "Ja", sagt Spar-Chef Poppmeier, und er sei strikt dagegen. "Was nicht stimmt, ist, dass Händler bäuerliche Strukturen zerstören."

STANDARD: Fix ist die Einführung eines Pfandes auf Plastikflaschen. Sie haben sich anders als Rewe, Hofer und Lidl strikt dagegen gewehrt. Warum?

Poppmeier: Wo wollen wir hin? Wie kann man viele Leute mitnehmen? Wie wird es für Kunden und Nahversorger leistbar? Dafür alle an einen Tisch zu holen ist nicht passiert. Das Pfand ist eine erzieherische Maßnahme. Es ist teuer und hat in der Menge keinen großen Hebel. Die Kosten zahlt der Endverbraucher. Kommt ein Pfand, setzen wir es natürlich bestens um. Aber was da wie gelaufen ist, kommentiere ich nicht.

STANDARD: Einweg ist Symbol einer Wegwerfgesellschaft. Braucht es nicht Druck, um Verhalten zu ändern?

Poppmeier: Littering gehört streng bestraft. Mit 25 Cent wird man nicht verhindern, dass einer auf dem Berg seine Flasche wegwirft. Da gehört wie in US-Nationalparks gesagt: 500 Euro, lieber Freund, wenn ich dich dabei erwische. Ein großer Teil des Litterings sind aber Gratiszeitungen.

STANDARD: Der Pfandschlupf ist für Sie kein finanzieller Anreiz?

Poppmeier: Es ist nicht unser Anspruch, dass das Pfand für uns zum Geschäft wird. Wir müssen jedoch aufpassen, dass wir nicht die Hosen verlieren. Es muss dafür eine zentrale Clearingstelle geben, wie etwa in Norwegen, kein Sammelsurium wie in Deutschland. Es muss klar sein, wer die Hand am Rezyklat hat.

STANDARD: Was durch die Wettbewerbsbehörde gestoppt wurde, ist die Übernahme des Großhändlers AGM durch die Metro. Ärgert Sie das? Spar, ist ja an Metro zu 27 Prozent beteiligt.

Poppmeier: Ich freue mich, dass sich die Metro das zutraut. Es würde mich auch freuen, wenn die deutsche Metro deswegen in Österreich investiert. Ich hoffe daher natürlich, dass dieser Fall lösbar ist.

STANDARD: Sie sind seit heuer neuer Spar-Chef. Der Konzern sieht für diesen Job ein Alterslimit von 65 Jahren vor. Daran wird nicht gerüttelt?

Poppmeier: Nein, wir haben strenge interne Regeln für den Ein- und Aufstieg von Familienmitgliedern. Vorstandsvorsitzender zu sein, ist für mich Ehre und Freude.

STANDARD: Spar-Chefs kamen stets aus der Gründerfamilie. Ist das klug?

Poppmeier: Jein. Es hat sich ergeben, war aber nie in Stein gemeißelt. Wir haben unsere Vision, vom österreichischen Lebensmittelhändler zu einem mitteleuropäischen Konzern zu werden, verwirklicht. Nun müssen wir jünger und weiblicher im Denken und Handeln werden. Wir haben uns so organisiert, dass die Firma jederzeit auch von Fremden geführt werden kann. Zwei der sechs Geschäftsführer unserer Regionalzentralen sind Frauen. Von unseren fünf Vorständen sind bereits zwei Nicht-Gesellschafter.

STANDARD: Sie selbst waren einst erfolgreicher Golfer. Was lernt man vom Sport fürs Geschäft?

Poppmeier: Ich spiele immer noch gern und auch ganz gut. Aber die letzten sieben Wochen habe ich kein einziges Loch gespielt, trotz des schönen Wetters. Was mich der Sport gelehrt hat? Ordentlich trainieren, Niederlagen hinnehmen, konsequent am Erfolg arbeiten. (Verena Kainrath, 23.10.2021)