Die Republik ist in der Pflicht, Versäumtes endlich nachzuholen, sagt der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici im Gastkommentar.

Die neue Holocaust-Gedenkstätte bei der Nationalbank wird am 9. November eröffnet.
Foto: Andy Urban

Im November soll die Namensmauer für die österreichischen Opfer der Shoah eröffnet werden. Es wird nicht der erste Ort in Wien sein, der an die mehr als 66.000 erinnert, die als Juden und Jüdinnen ermordet wurden. Auf dem Judenplatz steht seit dem Jahr 2000 das Werk von Rachel Whiteread, eine nach außen umgestülpte und in sich verschlossene Bibliothek. Da ist auch das Mahnmal auf dem Areal des ehemaligen Aspangbahnhofs, auf dem festgehalten ist, dass von den 47.035 von hier Deportierten nur 1073 überlebten. Seit 2002 gibt es zudem im Vorraum des Wiener Stadttempels eine Gedenkstätte, auf der die Namen der Deportierten zu lesen sind: drehbare Schiefertafeln, die wie ein Totenbuch umgeblättert werden können.

Während mehrere Orte im Zentrum Wiens den jüdischen Opfern gewidmet sind, erhielt das Gedenken an die Roma und Sinti immer noch keinen würdigen Platz in Wien. Der Stein im Favoritner Barankapark ist jenen Familien gewidmet, die von dort in die Konzentrationslager deportiert worden sind, aber eine sichtbare Gedenkstätte für alle ermordeten Roma und Sinti im Zentrum der Stadt fehlt.

Vor wenigen Wochen wurde eine Namensmauer in Amsterdam eröffnet; dort war es eine Selbstverständlichkeit, auch die Opfer unter den Roma namentlich zu nennen.

Heftiger Widerstand

Das Mahnmal auf dem Judenplatz war im Jahr 2000 noch auf heftigen Widerstand gestoßen. Damals hatte die FPÖ dagegen mobilisiert, doch 2018 kam die türkis-blaue Regierung dem Wunsch des Überlebenden Kurt Yakov Tutter nach. Die Freiheitlichen vermeinten wohl, mithilfe des Gedenkens vergessen machen zu können, wie tief der Antisemitismus in ihrer Partei verankert ist.

Wen wundert’s, wenn es der türkis-blauen Regierung kein besonderes Anliegen war, die Opfer der Roma zu ehren. Stattdessen huldigten die Freiheitlichen dem Mythos von den selbstlosen, schuldfreien Trümmerfrauen und enthüllten 2018 jene Skulptur auf einem Privatgrundstück an der Mölkerbastei, mit der die Stadt Wien zu Recht nichts zu tun haben möchte. Die Hetze gegen Roma gehört zum Repertoire der FPÖ. 2020 verbreitete der Vizeklubobmann der steirischen Freiheitlichen, Stefan Hermann, ein Hassvideo gegen Roma und vergaß nicht, seinem Posting beizufügen: "Unsere Großeltern nannten sie Zigeuner."

Ach ja, die Großeltern … Zu deren Zeit hatte wohl der stellvertretende Gauleiter der Steiermark, Tobias Portschy, seine Denkschrift unter dem Titel Die Zigeunerfrage verfasst. Portschy war Vordenker des Massenmords. 1949 wurde er zu 15 Jahren schweren Kerkers verurteilt, doch schon 1951 amnestierte ihn Bundespräsident Theodor Körner. Er wohnte als geachteter Bürger in Rechnitz und – wie könnte es denn anders sein? – war Mitglied der FPÖ. Noch Anfang der 1990er-Jahre prahlte Portschy damit, die Roma den Juden gleichgestellt zu haben, denn die gehörten alle weg. Portschy sagte in die Kamera: "Die Zigeuner sind keine Menschen."

Kein Mitgefühl nach 1945

1940 begann die Deportation von Roma und Sinti aus dem Deutschen Reich. Hunderttausende Roma und Sinti wurden im nazistischen Europa ermordet. Nach 1945 wurde den Roma in Österreich kein Mitgefühl entgegengebracht. Im Gegenteil. Die Ausgrenzung in der Zweiten Republik schloss an jene in der Ersten an. Nicht wenige, die ohne Papiere der Vernichtung entronnen waren, galten, da sie über keine Ausweise verfügten, nun als "staatenlos", weshalb sie außer Landes geschafft werden sollten. Dieser Erlass gegen, wie es hieß, "das Zigeunerunwesen" stammte nicht von Nazis, sondern von der neuen Koalition in Wien, verfügt 1948 vom sozialistischen Innenminister Oskar Helmer. Auf Entschädigung durften Roma lange nicht hoffen. Was Roma bis 1945 von staatlichen Stellen angetan worden war, wurde nach 1945 von staatlichen Stellen angezweifelt.

Keineswegs überwunden ist, was in den Massenmord führte. 1995 – noch lebte Portschy unweit des Tatorts – tötete eine Bombe vier Oberwarter Roma. Die Polizei fiel – ungeachtet des eindeutig rassistischen Schildes an der Sprengfalle: "Roma zurück nach Indien" – in die Häuser der Hinterbliebenen ein, frei nach dem Motto: "Verdächtig und schuldig ist allemal der Rom." Jörg Haider verkündete sogleich, die Motive fürs Verbrechen seien die Stammesfehden und die Volkssitten der Opfer. Kurz darauf zog bei einem Welser Faschingsumzug eine Truppe mit, deren Verkleidung allen Feindbildern entsprach. Der Moderator höhnte: "Bitte jetzt keine Bomben werfen!" Die Menge johlte.

Neue Generation

Mit dem Hass auf Roma kann im Europa der Gegenwart Politik gemacht werden. In vielen Ländern der Union sind Roma weiterhin ausgegrenzt und sozial diskriminiert. Antiziganismus gehört immer noch zum gesellschaftlichen Konsens.

Aber eine neue Generation von Roma und Romnja erhebt ihre Stimme dagegen. Viele von ihnen kämpfen an gegen die Geschichtslügen, gegen den Rassismus und stehen selbstbewusst zu ihrer Herkunft und ihrem Sein. Sie verlangen ein Gedenken an den Genozid und fordern ein Mahnmal im Zentrum Wiens. Unerträglich ist, dass es nicht schon längst existiert.

Hier geht es nicht darum, einen bestimmten Ort oder eine konkrete Gestaltung vorzuschlagen. Platz ist in der Inneren Stadt vorhanden, und diesmal braucht es eine internationale Ausschreibung mit einer unabhängigen Jury, die auch Romani-Persönlichkeiten umfasst – und eine Ausstellung der verschiedenen Entwürfe.

Kein Monument kann – so viel ist klar – dem, was den Opfern widerfahren ist, ganz gerecht werden, doch nichts rechtfertigt, sich deshalb der Aufgabe nicht zu stellen. Im Gegenteil: Wer der Ermordeten nicht gedenkt, löscht sie abermals aus und mehrt noch weiter das namenlose Leid. Es geht darum, den Roma und ihrer Erinnerung endlich einen würdigen Platz zuzuerkennen. (Doron Rabinovici, 23.10.2021)