Wie stellen sich Jugendliche zwischen Palermo und Verona ihre Zukunft vor? – Utopien waren gestern, das Morgen von heute bleibt vage.

Foto: Viennale

Zukunft ist jener Teil der Zeit, bei dem sich die meisten Menschen unsicher sind, ob sie gern mehr davon wüssten. Sie machen sich aber unwillkürlich dauernd eine Vorstellung davon.

Man lebt nun einmal meist auf etwas hin, auch wenn es als eine Tugend gilt, wenn jemand es schafft, einfach in den Tag hinein zu leben. Das heißt dann Leben im Moment.

In Italien waren die drei Filmemacher Pietro Marcello, Francesco Munzi und Alice Rohrwacher gerade dabei, einen Dokumentarfilm über die Zukunft junger Menschen in ihrem Land zu drehen, als Covid-19 alles veränderte.

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Trotzdem ist Futura nicht nur diesem Thema gewidmet. Es geht tatsächlich auf eine sehr offene Weise um diesen Begriff: Wie stellen sich Jugendliche zwischen Palermo und Verona ihre Zukunft vor? Sie gehören alle einer Generation an, die den Eindruck haben könnte, dass ihre Zukunft nicht mehr einfach ein offener Horizont ist, sondern dass sich die Perspektiven verengen.

Von Pier Paolo Pasolini gibt es einen Film namens Comizi d’amore, in dem er 1964 auch durch das Land fuhr und junge Leute nach ihren Vorstellungen von Liebe und Sex befragte. Diese und andere vergleichbare "soziologische" Filmprojekte dienten als Inspiration für Futura.

Was erkennbar werden könnte, ist so etwas wie die Signatur einer Generation. Marcello, Munzi und Rohrwacher filmen überwiegend Gruppen, an einem See, vor einer Schule, oft an Orten, die keine besondere Qualität zu haben scheinen.

Die jungen Leute sprechen also auch zueinander, hören einander zu, der direkte Blick in die Kamera ist zugleich ein Hervortreten aus dem Umfeld, das immer als Ganzes erkennbar bleibt. Auf einen Nenner lassen sich die Vorstellungen von der Zukunft nicht leicht bringen: Zwar tauchen immer wieder Klagen über mangelnde Perspektiven auf, es gibt aber auch Lob für das Schulsystem, die großen Themen Klima und Pandemie sind in den Beiträgen gar nicht so groß.

Es geht bei einem Unternehmen dieser Art auch gar nicht anders, als dass sich ein gemeinsamer Tenor nicht leicht finden lässt. Zu verschieden sind auch die Lebenswelten im Süden und im Norden.

Jugend und Revolte

Ein Thema bildet dann aber doch so etwas wie ein untergründiges Kontinuum: die Möglichkeit radikaler Veränderungen, vielleicht sogar einer Revolution. Beinahe könnte man dabei allerdings den Eindruck gewinnen, dass die drei Filmemacher hinter der Kamera selbst noch stärker diesbezüglich interessiert sind, sie bringen jedenfalls offensiv die G20-Proteste in Genua 2001 ins Gespräch. Und sie wundern sich, wie wenig dieses eigentlich noch nicht so weit in der Vergangenheit liegende Ereignis bei jenen, die im neuen Jahrtausend auf die Welt kamen, präsent ist.

Dabei gilt es doch als prägend für eine widerständige Politik. In den 60er-Jahren galt die Befreiung der Sexualität als erste Stufe zu einer umfassenderen Befreiung. Doch es sieht stark danach, als wäre diese ausgeblieben. Pasolini haderte bald mit dem Konformismus einer Generation, die sich als Konsumgesellschaft vereinnahmen ließ.

Dissidenz findet sich bei Futura in Spuren, in Details der Selbstinszenierung, in Andeutungen von Identitätspolitik. Utopien waren gestern, das Morgen von heute ist vage. (Bert Rebhandl, 23.10.2021)