Der letzte Schritt liegt beim schwerkranken Patienten: Das letale Präparat muss selbst eingenommen werden, aktive Sterbehilfe ist weiterhin nicht erlaubt.

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Wien – Karoline Edtstadler macht kein Hehl aus ihrem anfänglichen Unwillen. Menschen sollten nicht durch die Hand eines Menschen, sondern an der Hand eines Menschen sterben, zitiert sie den viele Jahre nach seinem Tod immer noch populären Kardinal Franz König. Weil die ÖVP diese Maxime stets vertreten habe, hätte sie lieber gar kein derartiges Gesetz gemacht, sagt die Verfassungsministerin. Dem Koalitionspartner – Edtstadler wirft einen Blick zur grünen Ministerin neben ihr – sei es wohl nicht viel anders gegangen.

Doch die Regierung hatte keine andere Wahl, seit der Verfassungsgerichthof (VfGH) vor bald einem Jahr eine bahnbrechende Entscheidung getroffen hat. Die Höchstrichter hoben einen entscheidenden Teil des Paragrafen 78 des Strafgesetzes auf: Die Verleitung zum Suizid bleibt untersagt, die Beihilfe jedoch nicht (siehe Wissen unten). Es widerspreche dem Recht auf Selbstbestimmung, "jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten".

Um Missbrauch zu verhindern, gab der VfGH der Politik allerdings einen Auftrag mit auf den Weg: Der Gesetzgeber habe "Maßnahmen vorzusehen", damit Betroffene von Druck unbeeinflusst entscheiden können. Die Koalition hatte dafür ein gutes Jahr Zeit, denn Aufhebung wird erst mit Beginn des neuen Jahres wirksam. Kommt bis dahin kein Gesetz zusammen, gäbe es für weder für die Voraussetzungen noch Durchführung der Beihilfe Regeln. Dann würde eine Art Wildwuchs drohen.

Würdig sterben unter restriktiven Regeln

Das wollte keine Partei riskieren. Am Samstag stellten Justizministerin Alma Zadić von den Grünen, ihre ÖVP-Kollegin Edtstadler sowie der ebenfalls grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein deshalb ein Regelwerk vor, das assistierten Suizid in geordnete Bahnen lenken soll. Ein ausgewogenen Gesetz sei da gelungen, sagt Zadić: Strafrechtlicher Schutz sei all jenen garantiert, die "wirklich schwer kranke Menschen beim Entschluss, in Würde zu sterben, unterstützen wollen." Einerseits sei der Zugang sehr restriktiv, um Druck von außen auf Betroffene auszuschließen, ergänzt Edtstadler. Andererseits erkenne das Gesetz – und das gelte auch für sie persönlich – den Wunsch von Menschen an, ihr Leiden freiwillig zu beenden.

Wie soll der assistierte Suizid nun ablaufen? Wer mit Hilfe aus dem Leben scheiden will, kann – ähnlich wie eine Patientenverfügung – künftig eine Sterbeverfügung errichten. Diese gilt als Nachweis für den eigenen, dauerhaften Entschluss, assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen. Offen steht dieser Weg aber nur Menschen, die unter einer unheilbaren, zum Tod führenden oder schweren Krankheit leiden, deren Folgen – wie es im Gesetz heißt – die "Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen".

Auch psychisch kranken Menschen soll diese Möglichkeit offenstehen – sofern eine Voraussetzung erfüllt ist: Eine Sterbeverfügung ist in jedem Fall nur dann eine Option, wenn die betroffene Person voll entscheidungsfähig ist.

Ausgeschlossen sind Minderjährige und Menschen, die nicht schwer krank sind. In diesen Fällen bleiben die Helfer strafbar. Das gleiche gilt für den Fall, dass diese verwerfliche Motive wie Habgier hegen.

Ärztliche Aufklärung ist Pflicht

Strafbar bleibt die Beihilfe zum Suizid auch dann, wenn der erste Schritt des vorgesehenen Prozederes nicht eingehalten wird: Am Beginn ist Aufklärung durch zumindest zwei Ärzte Pflicht. Einer davon könne der Hausarzt oder behandelnde Arzt sein, erläutert die Regierung. Der zweite müsse eine Qualifikation im Bereich der Palliativmedizin aufweisen können.

Ein Arzt bestätigt das Vorliegen der Krankheit, beide müssen die Entscheidungsfähigkeit des Patienten feststellen. Hegt nur einer von beiden Zweifel daran, ist eine Beurteilung durch Psychiater oder Psychologen vorgesehen.

Nach der Aufklärung ist drei Monate zu warten, ehe die Sterbeverfügung errichtet werden kann – dies soll sicher stellen, dass sich der Betroffene nicht bloß in einer vorübergehenden Krisenphase befindet. Für Menschen, die voraussichtlich nur mehr sehr kurz zu leben haben, gibt es eine Ausnahme: Dann wird die Frist auf zwei Wochen verkürzt.

Tödliches Präparat aus der Apotheke

Die Sterbeverfügung – sie kann aus Kostengründen nicht nur beim Notar, sondern auch von den Patientenanwaltschaften aufgesetzt werden – berechtigt den Sterbewilligen, ein tödliches Präparat in der Apotheke abzuholen. Notfalls kann das auch eine berechtigte Person tun, auch Zustellung durch die Apotheke ist möglich. Das Gesetz sieht mit Natrium-Pentobarbital jenes Mittel vor, dass auch in der Schweiz verwendet wird. Der Gesundheitsminister kann per Verordnung aber noch andere Medikamente freigeben.

Der Betroffene muss das Präparat letztlich selbst einnehmen – denn nur die Beihilfe zum Suizid ist straffrei, nicht aber Töten auf Verlangen. Sollte das aus gesundheitlichen Problemen nicht mehr möglich sein, kann dies etwa auch über eine Sonde stattfinden. Den letzten Auslöser muss aber auch hier der Sterbewillige betätigen.

Zentraler Grundsatz: Niemand – weder Arzt, noch Apotheker – sei verpflichtet, sich an einem assistierten Suizid zu beteiligen. Umgekehrt, betont die Regierung, dürfe aber auch niemandem ein Nachteil drohen, der dies in den gesetzlichen Bahnen tut.

Was ÖVP und Grünen noch wichtig ist: Wirtschaftlicher Nutzen aus der Beihilfe zum Suizid wird ebenso verboten wie Werbung. Niemand wolle, dass in Seniorenheimen einschlägige Flyer aufliegen. Gemeinnützige Vereine, die wie in der Schweiz das Prozedere abwickeln, sind nicht per se ausgeschlossen. Die ÖVP geht aber davon aus, dass der Anreiz wegen der Bestimmungen begrenzt sei.

Mehr Geld für die Palliativversorgung

Der assistierte Suizid sei aber nur ein Weg, um einen würdigen Abschied zu ermöglich, betont die Regierung. Parallel dazu werde die Hospiz- und Palliativversorgung massiv ausgebaut, um – wie Minister Mückstein sagt – "ein flächendeckendes, wohnortnahes Angebot" zu schaffen. Die derzeitige Förderung von sechs Millionen will der Bund deshalb vervielfachen: 2022 auf 21 Millionen, 2023 auf 36 Millionen und 2024 auf schließlich 51 Millionen. Allerdings müssen im Sinne einer Drittelfinanzierung auch Länder und Sozialversicherung mitzahlen. Eine Zusage gibt es dafür noch nicht.

Formell unter Dach und Fach ist natürlich auch das "Bundesgesetz über die Errichtung von Sterbeverfügungen", wie das türkis-grüne Sterbehilfe-Reglement offiziell heißt, noch nicht. Das Gesetz muss aber noch rechtzeitig vor dem Jahreswechsel beschlossen sein, weshalb die parlamentarische Begutachtungsfrist mit drei Wochen sehr kurz angesetzt ist.

Positiv überraschter Kritiker

Wolfram Proksch ist dennoch "relativ positiv überrascht". Jener Anwalt, der hinter dem erfolgreichen Antrag am VfGH steht, hatte restriktivere – und damit schikanöse – Regelungen befürchtet.

Manche Tücke stecke im Detail, sagt Proksch. Das Werbeverbot dürfe nicht dazu führen, dass Sterbehilfevereine nicht einmal eine Homepage betreiben können, warnt er, und manche Hürde sei zu hoch: Für einen leidenden Todkranken könne auch die auch die auf zwei Wochen verkürzte Frist bis zur erlaubten Sterbeverfügung unerträglich lang sein. Außerdem sei es schwierig, eine Grenze zwischen schwerer und nicht so schwerer Krankheit zu ziehen. Es sei nicht einleuchtend, warum der Gesetzgeber die Autonomie von Menschen, die aus anderen Gründen leiden und deshalb ihr Leben beenden wollen, weniger ernst nehme.

Doch im gesamten sieht Proksch einen durchaus erfreulichen Ansatz, wobei er auch den Ausbau der Palliativmedizin hervorhebt: Wenn durch all das Suizidprävention besser greife, sei schon einiges erreicht.

Lob, aber auch Forderungen

Generell gibt es am meisten Lob für die versprochene Investition in die Hospiz- und Palliativversorgung. Bischof Hermann Glettler begrüßt dieses Programm ebenso wie ÖVP-Seniorenbundchefin Ingrid Korosec, denn: "Der größte Wunsch der Menschen ist nicht der Tod, sondern jener, nicht mehr leiden zu müssen." Auch Caritas-Generalsekretärin Anna Parr hebt diesen Punkt hervor, fordert aber eine "explizite Garantie", dass es "weder eine direkte noch eine indirekte Verpflichtung zur Duldung oder Durchführung des assistierten Suizids" in Pflegeheimen, Spitälern oder ähnlichen Einrichtungen gebe.

Die Oppositionsparteien SPÖ und NEOS äußerten sich grundsätzlich wohlwollend. SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim ärgert sich allerdings über den kurzen Begutachtungszeitraum: Der Entwurf komme "viel zu spät für eine breite Diskussion und Begutachtung". (Gerald John, 23.10.2021)