Alkoholsucht und ADHS während der Kindheit: Forscher sehen einen Zusammenhang.

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Ein großer Anteil von Substanz- bzw. Drogenabhängigen leidet auch unter anderen psychiatrischen Erkrankungen. Bisher kaum wahrgenommen: Etwa 20 Prozent der Alkoholabhängigen hatten zumindest in der Kindheit auch ADHS. Das zeigt eine neue Wiener Studie. Entscheidend ist es für die Patienten, dass alle ihre psychiatrischen Störungen diagnostiziert und behandelt werden, hieß es am Samstag beim Interdisziplinären Symposium zur Suchterkrankung in Grundlsee in der Steiermark.

Da ist oft mehr im Hintergrund

Psychiatrische Erkrankungen stehen zumeist nicht jeweils für sich allein. "Es ist ziemlich egal, von welcher Substanz jemand abhängig ist. Im Gehirn, im sogenannten mesolimbischen System, passiert immer das Gleiche", sagte die Organisatorin des Symposiums, die Wiener Drogenspezialistin Gabriele Fischer (MedUni Wien) zum Thema Abhängigkeit. Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie etc. wiederum sind häufig noch zusätzlich im Hintergrund solcher Probleme. Sie müssen ebenfalls behandelt werden.

Die Psychiaterin: "Wenn man die Grunderkrankung nicht behandelt, wird man auch die Suchterkrankung nicht unter Kontrolle bringen können." Im Endeffekt handelt es sich häufig um einen Teufelskreis zwischen verschiedenen psychischen Leiden, die einander mehr oder minder bedingen. Diese Prozesse können über Jahrzehnte laufen.

Große ADHS-Häufigkeit

Ein typisches Beispiel scheint auch das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) zu sein. Dominik Kraigher (Anton Proksch Institut Kalksburg) hat eine kleine, selbst finanzierte Studie mit 136 Patienten in stationärer Behandlung in dem Institut durchgeführt und vor kurzem publiziert. Dabei stellte sich heraus, dass die ADHS-Häufigkeit unter diesen Menschen mit Alkoholkrankheit groß war.

"19,1 Prozent hatten ADHS in der Kindheit gehabt. 16,9 Prozent hatten ADHS auch noch im Erwachsenenalter. Nur bei fünf Patienten war ADHS in der Kindheit erkannt worden, nur zwei von ihnen wurden behandelt", sagte Kraigher. Insgesamt könne man davon ausgehen, dass etwa 50 Prozent der Alkoholabhängigen auch eine ADHS-Problematik hätten. Im Durchschnitt sind nur zwei bis drei Prozent der Erwachsenen von ADHS betroffen. "Die ADHS-Kinder, die nicht behandelt werden, sind die Süchtigen von morgen", sagte der Experte. Ein weiteres Ergebnis: Zwei Drittel der Alkoholkranken mit ADHS-Geschichte hatten noch dazu eine weitere psychische Erkrankung.

Innerer Drang nach aufregenden Aktivitäten

Die Hauptcharakteristika von ADHS sind besonders im Rahmen von Substanzabhängigkeit häufig noch mit zusätzlichen Problemen verbunden. Ein Zwang, bei negativen Emotionen sofort handeln zu müssen, ein Mangel an Ausdauer, ein Planungsdefizit und der innere Drang nach aufregenden Aktivitäten begünstigen eindeutig die Ausbildung von Suchtverhalten, schränken aber auch die Behandlungserfolge ein.

"Da ist ein starker Drang zum Trinken bei einer negativen Erfahrung. Das kann auch eine geringe Belastung, eine Kleinigkeit, sein", sagte der Psychiater. Häufige und frühe Rückfälle nach sonst abgeschlossener Behandlung wegen Alkoholabhängigkeit sind oft die Folge dieser negativen Impulsivität. Mangelnde Ausdauer von ADHS-Belasteten und Schwierigkeiten mit der Planung des täglichen Lebens führen wiederum zum Absetzen von Therapien oder dem Nichteinhalten von Terminen in der Behandlung.

Impulskontrolle und aggressives Verhalten

Ein eigenes Kapitel ist die eingeschränkte Impulskontrolle, die oft bei ADHS-Betroffenen gegeben ist und bei der dann noch zusätzlich eine allfällige Substanzabhängigkeit als weiterer Verstärker hinzukommt. "Diese Menschen werden wegen Kleinigkeiten schnell ausfällig", sagte Kraigher. Das verschlimmert oft die Situation der Betroffenen noch mehr. Immerhin hat eine britische Studie ergeben, dass innerhalb eines halben Jahres rund elf Prozent Drogenabhängiger Probleme mit aggressivem Verhalten zeigen, 8,2 Prozent der Alkoholabhängigen und nur 1,9 Prozent der Bevölkerung allgemeinen.

Der Experte über den Zusammenhang zwischen ADHS und Suchtproblematik: "Die hohe Koinzidenz von ADHS und Suchtverhalten bedeutet, dass man Suchtpatienten auf ADHS screenen sollte." Das gleiche sollte auch umgekehrt gelten, weil es darauf ankommt, dieses Zusammenspiel zu durchbrechen. (APA, 24.10.2021)