Medienmanager Wolfgang Blau hat mit dem Reuters Institute der Universität Oxford das Oxford Climate Journalism Network gegründet.

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Keine stereotypen Fotos von Waldbränden und schmelzenden Eisbergen für die Bebilderung von Artikeln über die Klimakrise verwenden, rät Wolfgang Blau. Dieser Eisbär war Ende September bei einer Fridays-for-Future-Demo in Wien zu Gast.

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Der Klimawandel ist die größte Herausforderung, mit der der Journalismus jemals konfrontiert war, sagt der deutsche Medienmanager Wolfgang Blau. Warum, das erklärt der Mitgründer des Oxford Climate Journalism Network im Interview mit dem STANDARD. Blau ist am Donnerstag, 28. Oktober, zu Gast im ORF-"Dialogforum" zum Thema Klimakrise und Journalismus.

STANDARD: Welcher Terminus soll bei der Berichterstattung verwendet werden: Klimawandel, Klimakrise oder Klimakatastrophe?

Blau: Klimawandel oder Climate Change klingen eher verniedlichend. Im Zuge der Digitalisierung haben wir uns ja eingeredet, dass "change" fast immer gut sei. Für den Climate Change gilt das leider nicht. Auch das Wort Klimakrise ist unpräzise, da eine Krise als vorübergehender Zustand definiert ist, keine heute lebende Person aber das Ende der Klimakrise miterleben wird. Klimakatastrophe ist dann etwas genauer, hilft aber in der öffentlichen Kommunikation nicht weiter, weil diese Katastrophe, gemessen an der durchschnittlichen Lebensdauer eines Menschen, zunächst ein Dauerzustand bleibt und sich als Begriff verbrauchen wird. Dass wir sogar mit der Benennung dieses Phänomens Schwierigkeiten haben, illustriert aber nur, wie sehr es den Rahmen unserer bisherigen menschlichen Erfahrung sprengt – und damit auch den Journalismus auf die Probe stellt.

STANDARD: Sie bezeichnen den Klimawandel als die größte Herausforderung, mit der der Journalismus jemals konfrontiert war. Warum?

Blau: Wir stehen vor der historisch einzigartigen Aufgabe, unsere Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent reduzieren zu müssen. Das mag sich banal anhören, läuft aber auf einen vollständigen Umbau unserer Volkswirtschaften hinaus, mit allen Verteilungskämpfen und industriellen Rückzugsgefechten, die damit einhergehen werden. Und bis zum Jahr 2030 sind es nicht einmal mehr 3.000 Tage. Speziell für den Journalismus kommt erschwerend hinzu, dass es in den Redaktionen viel zu wenige Naturwissenschafterinnen gibt und dass der Journalismus selbst eher eine retrospektive, eine rückblickende Aktivität ist. Als Journalisten berichten wir vor allem darüber, was gerade passiert ist, und ordnen das Geschehene dann rückblickend ein. Der französische Philosoph Albert Camus bezeichnete Journalisten deshalb als die "Historiker des Augenblicks". In der Klimakrise muss der Journalismus nun oft Jahrzehnte in die Zukunft blicken, etwa in der Diskussion über die sinnvollsten Klimaschutzmaßnahmen, über die wir schon heute entscheiden müssen. Die Frage scheint deshalb erlaubt, ob der heutige Journalismus dieser Herausforderung und diesem unvermeidlich höheren Grad von Spekulation gewachsen ist.

STANDARD: Ex-Kanzler Sebastian Kurz hat für seine Aussage, dass der Klimaschutz nicht zurück in die Steinzeit führen dürfe und wir auf nichts verzichten müssen, sehr viel Kritik geerntet. Zu Recht?

Blau: Wir sind jetzt in der Phase, in der Politiker wie Sebastian Kurz die wissenschaftliche Tatsache des menschengemachten Klimawandels nicht mehr leugnen können, ohne das Gesicht zu verlieren. Selbst der erzkonservative Verleger Rupert Murdoch hat seinen Zeitungen und Sendern in Australien gerade einen neuen Kurs verordnet, wonach der menschengemachte Klimawandel nicht mehr länger angezweifelt wird. Wo aber früher die Glaubwürdigkeit der Klimawissenschaft selbst untergraben wurde, wird nun entweder die Lösbarkeit dieses Menschheitsproblems angezweifelt oder seine Gefahr verniedlicht. Dazu gehört dann auch das unredliche Versprechen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, dass sie auf nichts verzichten müssten. Als ob es schon damit getan wäre, vom Verbrenner auf ein E-Auto umzusteigen. Natürlich werden wir auf Dinge und auf alte Lebensgewohnheiten verzichten müssen. Aber wir werden auch Neues dazugewinnen, etwa gesündere Luft zum Atmen, lebenswertere Städte, wieder mehr Sicherheit vor klimabedingten Extremwetterereignissen und auch die Gewissheit, den Menschen der Zukunft und auch der Natur selbst eine lebbare Welt zu hinterlassen.

STANDARD: Die Corona-Pandemie hat der Wissenschaft und dem Wissenschaftsjournalismus enormen Auftrieb gegeben. Kann Klimajournalismus daraus lernen?

Blau: Viele Nachrichtenredaktionen haben während dieser Pandemie eine neue und engere Art der Zusammenarbeit mit ihren Wissenschaftsredakteuren erlernt, die sich nun auch in der Berichterstattung über die Klimafrage bewähren wird. Es war auch beachtlich, wie schnell es Regierungen, nationalen Gesundheitsinstituten und Nachrichtenmedien gelungen ist, sich auf ein überschaubares Set von Metriken zur Covid-Krise einzuspielen, wie etwa die Ansteckungsrate, die nationale Impfquote oder die Hospitalisierungsrate. In der Klimaberichterstattung fehlen uns noch vergleichbar simple Metriken, die in Nachrichtensendungen immer wieder erwähnt werden und damit Orientierung geben könnten. Was könnten das für Metriken sein? Beispielsweise der aktuelle Stand des nationalen Emissionsbudgets für das laufende Jahr oder der Anteil erneuerbarer Energien am Energiemix des Landes.

STANDARD: Immer mehr Redaktionen gründen eigene Klima- oder Umweltressorts. Bei dem Thema handelt es sich allerdings um eine Querschnittsmaterie, die von der Politik über die Wirtschaft bis zum Sport alle Ressorts betrifft. Wie sollen sich Redaktionen idealerweise aufstellen, um über das Klima zu berichten?

Blau: Das ist ähnlich wie einst bei der Digitalisierung des Journalismus, für die Sie sowohl Digitalexperten als auch mehr Digitalkompetenz in der gesamten Redaktion brauchen. Eine Redaktion braucht Klimaexpertinnen, und gleichzeitig müssen – ich verwende das Wort müssen so selten wie möglich –, gleichzeitig müssen alle Mitglieder einer Redaktion zumindest Grundwissen zur Klimakrise erwerben. Das ist nötig, weil die Klimakrise sich auf jeden Bereich des Journalismus auswirken wird. Die BBC beispielsweise hat ihren Mitarbeitern bereits Fortbildungen zur "climate literacy" angeboten.

STANDARD: Bekommt die Berichterstattung in den Redaktionen über das Klima bereits die Aufmerksamkeit, die angesichts der Dramatik angemessen ist?

Blau: Ich finde nicht. Mit den Extremwetterereignissen des vergangenen Sommers wird das Wort "Klimawandel" zwar öfter in den Nachrichten erwähnt als bisher, diese Extremereignisse sind aber nur die sichtbare Oberfläche des Themas. Auch der Zeitdruck, unter dem wir nun stehen, wird journalistisch nicht ausreichend vermittelt.

STANDARD: Sie haben in einem Interview gesagt, dass Chefredakteurinnen und -redakteure die Grundlagen des Klimawandels beherrschen müssen. Warum ist das so wichtig?

Blau: Um das Thema richtig einordnen zu können. Die Klimakrise ist ja nicht nur Thema für die Ressorts Wissen, Politik und Wirtschaft, sondern betrifft genauso auch alle anderen Ressorts – oder Verticals – einer typischen Nachrichtenredaktion, beispielsweise die Ressorts Reisen, Kultur, Lifestyle, Gesundheit, Immobilien, Technologie, Mobilität und Sport. Damit diesen Ressorts die Integration von Klimaaspekten in ihrer täglichen Arbeit gelingt, muss auch die Chefredaktion unterstützend eingreifen und eine gute Koordination zwischen diesen Ressorts und den Klimaexperten einer Redaktion sicherstellen. Und wenn es darum geht, der Klimakrise insgesamt mehr mediale Aufmerksamkeit zu widmen, dann ist diese Kalibrierung der redaktionsinternen Nachrichtenkriterien ein normativer Akt, den nur die Chefredaktion vorgeben und durchsetzen kann. Um das zu tun und diesen Kurs dann gegenüber Lesern, Zuschauern, Zuhörern oder auch den eigenen Aufsichtsgremien vermitteln zu können, muss die Chefredaktion im Klimathema selbst trittfest sein.

STANDARD: Das Thema ist sehr komplex und löst auch Angst aus: Soll sich der Fokus mehr in Richtung positive Beispiele verlagern, ohne die drohende Katastrophe aus den Augen zu verlieren? Welche Mischung bräuchte es, um die Leserinnen oder Zuseher am besten zu erreichen?

Blau: Ja, es gibt mehrere Studien, wonach Leserinnen und Zuseher eher bereit sind, sich mit der Klimakrise zu befassen, wenn Berichte dazu auch Lösungsansätze enthalten. Das können Lösungsansätze auf persönlicher Ebene sein – oder auch auf der Ebene großer Unternehmen oder ganzer Nationen. Im Englischen sprechen wir hier von einer Balance zwischen "urgency" und "agency", also dem Bestreben, nicht nur die Dringlichkeit der Klimakrise zu vermitteln, sondern auch, was alles getan werden kann oder bereits getan wird, um auf sie zu reagieren. Diese Balance ist aber nicht mit Schönfärberei zu verwechseln oder damit, sich in der Bekämpfung der Klimakrise primär auf Technologien zu verlassen, die erst noch erfunden werden müssen. Es geht um plausible Hoffnung.

STANDARD: Welche Rolle spielt der Einfluss von Werbekunden?

Blau: Da gibt es widersprüchliche Einschätzungen. Generell wollen Werbekunden ihre Produkte in Umfeldern bewerben, die als optimistisch und nicht problembeladen erlebt werden. Die US-Publikation "Business Insider" berichtete kürzlich, dass einige Werbekunden, die ihre Onlinewerbung automatisch und kontextsensitiv in Nachrichten-Websites einspeisen, zunehmend versuchen, journalistische Inhalte zur Klimakrise zu vermeiden. Andererseits berichten BBC, "Financial Times" und Bloomberg, dass das Interesse von Werbekunden an ihren Inhalten zur Klimakrise dramatisch ansteige. Vom "Guardian" höre ich auch, dass speziell die Klimaberichterstattung bei der Akquise von Abonnenten hilft. Auch die "New York Times" zeigt in ihrer Abonnentenwerbung auffällig oft Screenshots ihrer Klimaberichterstattung.

STANDARD: Den Journalistinnen und Journalisten, die den Klimawandel thematisieren, steht eine Armada an Wirtschaftsunternehmen und Lobbyisten gegenüber, die den Status quo beibehalten wollen und mit Desinformationen das Netz fluten. Ihrer Erfahrung nach kommt es nach der Veröffentlichung von Geschichten zu Anfeindungen, oder?

Blau: Jeder einzelne Tag, um den der Umstieg von fossilen zu erneuerbaren Energien verzögert oder verschleppt werden kann, bedeutet Milliardenumsätze. Der International Monetary Fund schätzt außerdem, dass die weltweite Produktion von Kohle, Erdgas und Erdöl derzeit mit elf Millionen Dollar pro Minute subventioniert wird. Es sollte also nicht überraschen, dass einzelne Akteure in der fossilen Energieindustrie hohe Summen investieren, um Desinformationen über die Klimakrise zu verbreiten, die auch Journalisten die Arbeit erschweren sollen.

STANDARD: Welche Rolle können öffentlich-rechtliche Medien spielen?

Blau: Eine ganz entscheidende. Der sich beschleunigende Klimawandel stellt nicht nur die Wirtschaft vor die historisch einzigartige Herausforderung, ihre Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren, der Klimawandel ist auch eine Herausforderung für den Journalismus. Das Thema hat ja mindestens vier Bereiche: erstens, die Berichterstattung über die aktuellen Auswirkungen des Klimawandels. Zweitens, die Diskussion, wie weitere Emissionen von Treibhausgasen so schnell wie möglich reduziert werden können. Drittens die Frage, wie die natürliche Fähigkeit der Natur, Kohlendioxid zu speichern, wieder gestärkt werden kann und welche neuen Technologien dazu noch einen nennenswerten Beitrag leisten könnten. Viertens die Frage, wie sich ein Land wie Österreich auf die bereits vorhersehbaren Folgen des Klimawandels vorbereiten muss.

Das nötige redaktionsinterne Fachwissen, um diese vier Themenbereiche kompetent abzudecken, können sich fast nur große Medienhäuser leisten. Hinzu kommt, dass die von der Wissenschaft prognostizierte Häufung von Extremwetterereignissen sowie die vom Klimawandel mitverursachten Versorgungsengpässe und absehbar steigenden Flüchtlingszahlen zunehmend eine Belastungsprobe für den Zusammenhalt demokratischer Gesellschaften darstellen werden. Auch hier ist es Aufgabe der Medien, und besonders der öffentlich-rechtlichen Medien, einen besonnenen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zu leisten. Nach Daten des Reuters Institute genießt der ORF in Österreich auch das größte Vertrauen aller Nachrichtenmedien, gefolgt vom STANDARD. Vertrauen ist in diesem Zusammenhang nur ein anderes Wort für Verantwortung.

STANDARD: Klimajournalistinnen und Klimajournalisten wird manchmal vorgeworfen, sie würden als Aktivisten und im Stile von NGOs agieren. Wie neutral müssen sie sein, und dürfen sie auch Kampagnen fahren, wenn es um die richtige Sache geht?

Blau: Persönlich würde ich davon abraten, Journalismus und Aktivismus zu vermischen. Ich halte das aber auch nicht für nötig. Es genügt, dem Thema endlich die mediale Beachtung zu geben, die es im öffentlichen Interesse längst verdient hätte. Wenn selbst der Generalsekretär der Vereinten Nationen die Klimakrise als existenzielle Bedrohung für die Menschheit bezeichnet, wenn die Nato warnt, die Klimakrise sei ein Multiplikator bereits bestehender Sicherheitsrisiken, und wenn US Präsident Biden die Klimakrise als existenzielle Bedrohung für unser Leben und unsere Volkswirtschaften beschreibt, dann müssen sich viele Nachrichtenredaktionen wohl eher fragen, ob sie dem Thema bisher eigentlich genügend Aufmerksamkeit gezollt haben. Und selbstverständlich ist es Pflicht des Journalismus, bei der Suche nach Antworten auf die Klimakrise unvoreingenommen zu berichten und auch die Frage der gesellschaftlichen Gerechtigkeit im Auge zu behalten. Und wo wir schon von Aktivismus sprechen: Redaktioneller Aktivismus kann auch darin bestehen, ein eigentlich dringendes Thema nicht oder nur kaum zu erwähnen.

STANDARD: In Sachen Bebilderung von Artikeln ist es immer noch sehr weit verbreitet, dass etwa Hitzewellen mit Planschfotos oder Eis schleckenden Personen illustriert werden. Fehlt hier noch die Sensibilität, und welche Fotos sollten zum Einsatz kommen, um das adäquat abzubilden?

Blau: Die meisten Nachrichtenredaktionen haben zwar eigene Fotografen, sind aber trotzdem sehr stark von der Zulieferung der großen internationalen Nachrichten-Fotoagenturen abhängig. In allen internationalen Nachrichtenagenturen, mit denen ich bisher gesprochen habe, wird gerade das Bewusstsein dafür geschärft, die Klimakrise nicht länger mit stereotypen oder gar verniedlichenden Bildern zu illustrieren. Es geht auch darum, Berichte über die Klimakrise häufiger als bisher mit Fotos zu bebildern, die auf mögliche Lösungen hindeuten, als primär mit stereotypen Fotos von Waldbränden und schmelzenden Eisbergen.

STANDARD: Tendenziell tangiert und interessiert der Klimawandel mehr Junge als Alte. In vielen Redaktionen sitzen aber eher Ältere an den Schalthebeln und dominieren die Berichterstattung. Ist das ein Hemmschuh in Sachen Klimajournalismus, oder sehen Sie ohnehin generationenübergreifende Sensibilität für das Thema?

Blau: Ich glaube, wir müssen uns da vor Altersdiskriminierung in beide Richtungen hüten. Mir fallen zahlreiche Journalistinnen und Journalisten ein, die mit zunehmendem Alter nicht nur besser, sondern auch mutiger und journalistisch interessanter werden. Gleichzeitig beobachte ich, wie vor allem jüngere Journalistinnen und Journalisten sich von der Klimakrise nicht nur journalistisch betroffen, sondern auch persönlich bedroht fühlen. Auch im deutschen Bundestagswahlkampf der letzten Monate ließ sich beobachten, wie die Klimakrise von den meist älteren Talkshow-Moderatoren primär unter dem Gesichtspunkt diskutiert wurde, wer den Klimaschutz denn bezahlen solle, ganz als ob sie selbst von den Folgen der Klimakrise in ihrer verbleibenden Lebenszeit unberührt blieben. Und natürlich ist die Frage nach den Kosten des Klimaschutzes berechtigt. Sie ist journalistisch aber nur vollständig, wenn auch gefragt wird, was uns eine ungebremste Klimakrise kosten würde. (Oliver Mark, 28.10.2021)