Das mit dem Amoklauf, das sage er schon ganz bewusst so, schickt Herbert Kickl voraus. Der blaue Parteichef setzt wieder einmal zur gewohnten Kritik an der türkis-grüne Pandemiestrategie an. Vergangene Woche stellten Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) und sein Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) aufgrund der steigenden Infektionszahlen neue Limits für Verschärfungen vor. Spitzt sich die Lage auf den Intensivstationen also weiter zu, könnte Ungeimpften demnächst der Zugang zu Gastronomie, Veranstaltungen und Co verwehrt werden – kommt sie der "kritischen" 33-prozentigen Auslastung zu nahe, droht jener Bevölkerungsgruppe ein Lockdown. Ein Frontalangriff auf Freiheit und Menschenwürde, poltert Kickl. "Deshalb, um freie Menschen, die sich dafür entschieden haben, sich nicht einen experimentellen Impfstoff verabreichen zu lassen, in die Nadel zu zwingen."

Der neue Stufenplan sei ein "Impfzwang", auch wenn er nicht so bezeichnet werde, sagt Kickl. Ebenso treffe der Begriff Zwang auf die 3G-Regel am Arbeitsplatz zu. Der Freiheitliche hält es für "sadistisch", dass ungeimpfte, gesunde, symptomlose Menschen tagtäglich unter einen "Testzwang" gestellt würden, um ihrer Arbeit nachgehen und ihre Familien ernähren zu können. Es sei geradezu zynisch, dass diese Regel auch so angelegt sei, dass sie viele gar nicht erfüllen könnten.

Wettert seit Monaten gegen die Impfung: FPÖ-Chef Herbert Kickl.
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Kickl führt Schichtarbeiter ins Treffen, die einen ungeregelten Arbeitsablauf hätten, und Menschen, die "so früh mit der Arbeit beginnen, dass noch gar nichts offen hat, und die so spät aufhören, dass alles schon wieder zu hat". Auch gebe es in weiten Teilen Österreichs die Testmöglichkeiten gar nicht, erzählt der blaue Frontmann. Manch einer müsste kilometerlange Strecken zurücklegen, um sich testen zu lassen. "Das ist ein ganz, ganz übles Spiel auf dem Rücken der Bevölkerung", ätzt Kickl.

Dem FPÖ-Chef sind vor allem die Stufen vier und fünf des neuen Pandemieplans ein Dorn im Auge. Dass laut der vierten Variante ungeimpfte Personen ihre Angehörigen nicht mehr im Spital oder Pflegeheim besuchen könnten, bezeichneter er als "herzlos". In der fünften Stufe, dem "Lockdown für Ungeimpfte", seien jene Personen aus Sicht Kickls dann fast schon "Arbeitssklaven", die dann gerade noch ihrem Job nachgehen und den Supermarkt besuchen dürften, "aber das war's, ansonsten wird man eingesperrt". Das sei verfassungsrechtlich unhaltbar und moralisch zutiefst verwerflich. Die Blauen bereiten eine Ministeranklage und einen Misstrauensantrag gegen Mückstein vor.

Kickl und die Impfdurchbrüche

Einmal mehr versucht Kickl auch die Wirkung der Impfung infrage zu stellen. Dafür zieht er unter anderem Zahlen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) zu Impfdurchbrüchen heran. In den vergangenen vier Wochen wurden demnach 30.270 Corona-Infektionsfälle verzeichnet, 10.189 davon waren vollständig geimpfte Personen. Vor allem bei Menschen über 60 Jahren traten laut Daten vermehrt Impfdurchbrüche auf.

Kickl betont außerdem, dass die Ages in ihrem Papier selbst darauf hinweise, dass Impfdurchbrüche zwar meldepflichtig seien, aber vermutlich nicht alle Fälle erfasst würden. Ebenso werde eine Corona-Infektion ohne "klinische Symptomatik" nach einer Impfung nicht als Impfdurchbruch gezählt. Die Dunkelziffer könnte also höher sein. Für Kickl sind das allesamt Argumente gegen die Effizienz der Impfung.

Was der blaue Parteichef aber auslässt, sind die darüber hinausgehenden Ausführungen der Ages: "Es ist zu erwarten, dass es mit steigendem geimpftem Bevölkerungsteil auch zu mehr Impfdurchbrüchen kommt", heißt es in dem Papier, aus dem Kickl zitierte. Aber nur weil es zu Impfdurchbrüchen kommt, bedeute das nicht, dass die Impfung nicht wirke. Will heißen: Wären – theoretisch – hundert Prozent der Bevölkerung geimpft, wäre jede Infektion ein Impfdurchbruch. Es gäbe dennoch insgesamt viel weniger Infektionen.

Ein Wurmmittel für Pferde

Im Gegenteil, so die Ages, wirke die Immunisierung "sehr gut". Der Schutz liege zwar nicht bei hundert Prozent – daher ja auch die Durchbrüche –, man sei aber "mit hoher Wahrscheinlichkeit" vor Covid-19 oder einem schweren Verlauf geschützt. "Derartige Impfdurchbrüche treten insbesondere bei Personen mit Vorerkrankungen oder eingeschränktem Immunsystem auf, bei denen die Impfung keinen Immunschutz erwirken konnte", erklärt die Ages. Laut Impf-Dashboard des Gesundheitsministeriums, das seit einigen Tagen konkrete Zahlen dazu liefert, treten derzeit 90 Prozent aller symptomatischen Erkrankungen in der Gruppe der Ungeimpften auf.

Zur besseren Einordnung liefert die Ages auch Gesamtzahlen. So kämen auf mehr als 5,3 Millionen vollständig Geimpfte bisher 21.779 (0,41 Prozent) gemeldete Impfdurchbrüche. "Auf 1.000 vollständig geimpfte Personen kommen somit rund vier Personen mit einem Impfdurchbruch", lautet das Resümee.

Kickl fordert erneut eine Abkehr von der reinen Impfstrategie und will, dass in der Pandemie verstärkt auf Medikamente gesetzt wird. Allerdings nannte Kickl Ivermectin als Beispiel. Das Gerücht, wonach das Präparat, das für gewöhnlich zur Entwurmung von Pferden und Schweinen eingesetzt wird, gegen eine Corona-Erkrankung hilft, hält sich hartnäckig, obwohl das Mittel nicht ungefährlich ist. Wie frühere Recherchen des STANDARD zeigen, kann es bei einer Überdosis durchaus zu Vergiftungserscheinungen kommen. (Jan Michael Marchart, 25.10.2021)