Als Schauspieler tänzelte er 1966 jung und leichtfüßig durch die Uraufführungsinszenierung von Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" am Frankfurter Theater am Turm: Michael Gruner. Als Regisseur gehörte er alsbald zur Riege der Schwernehmer – Gruner, der aus dem Vogtland stammte, verbat sich alle inszenatorischen Schnellschüsse.

Er galt als sensibler Entzifferer noch der kompliziertesten Stücke: ein Meister des Hell-Dunkel-Kontrastes, der verzückt auf die Eigenwilligkeiten von Schauspielerinnen blicken konnte. Aus vermeintlichen Alltagsmenschen kratzte Gruner die dämonischen Anteile heraus. Seine Engagements führten ihn von Düsseldorf (unter Stroux) nach Hamburg ans Thalia Theater, ehe er nach Stuttgart übersiedelte.

Um ein Haar hätte Gruner dort 1993 zusammen mit Peter Iden und Cesare Lievi ein Dreier-Direktorium bilden sollen. Entsprechende Pläne zerschlugen sich; von Gruners Wandertrieb profitierte hingegen in den 1990er-Jahren auch das Wiener Volkstheater. Dort trieb er als exemplarischer Horváth-Regisseur dessen Volksstücken die Süße wie die Gemütlichkeit aus – und impfte ihnen dafür Bitterkeit und höchstes sprachspielerisches Bewusstsein ein. Schauspielerinnen wie Vera Borek oder Toni Böhm erklommen mit und durch Gruner jeweils ihre darstellerischen Gipfel: Sternstunden einer Art Wiener Weltgerichts.

Als langjähriger Intendant des Schauspiels in Dortmund verharrte Michael Gruner eher unverdient in der "zweiten Reihe". Sein anthroposophisch unterfütterter Humanismus machte noch dann Schule, als er im Wiener Hamakom-Theater Stücke eigenwillig gegen den Strich bürstete.

Bereits krank, bereitete Gruner in Wien-Leopoldstadt zuletzt eine Premiere von Nino Haratischwili vor: "Der Herbst der Untertanen". Der zweimalige Lockdown verhinderte bis jetzt die Premiere im Nestroyhof. Jetzt ist Michael Gruner 76-jährig seinem Krebsleiden erlegen. (Ronald Pohl, 25.10.2021)