Sogar ein Fernglas hat die junge Frau auf den Heldenplatz mitgebracht. "Ui, der Schallenberg", murmelt sie, als die Regierungsspitze samt Neokanzler gemeinsam mit dem Bundespräsidenten und dem Bürgermeister der Hauptstadt einmarschiert, um den Nationalfeiertag und die Angelobung der neuen Rekruten zu feiern.

Die Dame ist eine von vergleichsweise wenigen Besuchern und Besucherinnen, die bei dem Festakt dabei sind, einige tummeln sich so wie sie vor roten Absperrbändern, die die Ehrengäste umspannen, andere sind auf den Sockel der Prinz-Eugen-Statue geklettert, um über Baustellengitter drüberschauen zu können. Wieder andere sitzen wohl zu Hause am PC; der weitaus größte Teil der Veranstaltungen findet an diesem Feiertag im Jahr 2021 nämlich online statt.

Dennoch ist man bemüht, eine feierliche Stimmung zu verbreiten: Da legen Regierung und Bundespräsident Kränze nieder, da wird salutiert und "habt acht" gestanden, da werden Hüpfburgen und blank polierte Hubschrauber aufgestellt. Und wo gefeiert wird, da werden auch Reden gehalten – so einige.

Politiker, Politikerinnen, Märsche

Am 26. Oktober 1955, so erinnert Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), hat der Nationalrat die immerwährende Neutralität beschlossen. Manche würden heute von einer "Scheinexistenz" der Neutralität sprechen, meint er, von einem Untoten, "der durch die österreichische Politik geht". Er selbst sei nicht dieser Meinung, betont Ludwig, denn die Neutralität sei als Teil der österreichischen Außenpolitik eine Möglichkeit, "Frieden zu schaffen in der Welt".

Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) schreiten die Ehrenformation der Garde ab.
Foto: APA/BUNDESHEER/DANIEL TRIPPOLT

Es folgen der Marsch Stets bereit für Wien und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP). Keine eineinhalb Jahre nach einer heftigen, von ihrem eigenen Ressort ausgehenden Diskussion um eine Abkehr des Heeres von den klassischen Verteidigungsaufgaben stellt Tanner nun klar: "Unsere Kernaufgabe ist die militärische Landesverteidigung. Das heißt: Mit der Waffe unser Land und alles, was wir lieben, zu verteidigen. Das müssen wir tun, und das werden wir tun." Die Ministerin spricht von weiteren notwendigen Investitionen in die Ausrüstung – wofür 600 Millionen Euro eingeplant sind – und in die Infrastruktur: "Seit meinem Amtsantritt haben wir bereits 250 Millionen Euro in die Sanierung, Modernisierung, die Herstellung der Autarkie und Ökologisierung der Kasernen investiert. In Summe werden es bis 2025 über 800 Millionen Euro sein."

Freilich ist auch die Pandemie nicht nur Grund für die abgespeckte Feierlichkeit, sondern auch Thema in der politischen Debatte. So erinnert Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP): Letztes Jahr an diesem Tag sei die Verfügbarkeit der Corona-Schutzimpfung noch eine Hoffnung gewesen, heute gebe es die Impfung, und sie wirke. Einmal mehr appelliert er an alle: "Bitte lassen Sie sich impfen!" Man schütze damit auch Freunde, Familie und Arbeitskollegen. "Nur gemeinsam können wir diesem Spuk ein Ende bereiten."

Zuvor schon tadelte der Kanzler die FPÖ, gegen die Impfung anzukämpfen. Wer glaube, dass er sich einseitig aus der Verantwortung stehlen könne, "der betrügt sich selber", mahnte er. Wenn man die politische Landkarte und die Impflandkarte übereinander lege, zeige sich dort, wo die FPÖ ein Mitspracherecht habe, eine extrem niedrige Impfquote. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz wies die Vorwürfe per Aussendung zurück.

Die Koalition selbst sieht Schallenberg zwar noch "auf dünnem Eis", er zeigte sich aber dennoch zuversichtlich, dass Türkis-Grün hält. Er möchte das "Regierungsschiff" wieder in ruhigere Gewässer führen und die Sacharbeit fortsetzen. Laut Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) habe man eine sehr gute Kooperationsbasis aufgebaut.

Van der Bellen am Heldenplatz und im TV

Nach dem Marsch Oh du mein Österreich hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen seiner Auftritte heute. Er, bekanntlich auch Oberbefehlshaber des Heeres, hebt vor den 100 jungen Männern, die aus fast allen Bundesländern kommen, die Worte "Dem Land dienen" hervor – nicht ohne subtilen Seitenhieb auf die erst frisch verdaute Regierungskrise: "Ich mag diesen Begriff, weil er von einer gewissen Demut getragen ist", meint der Bundespräsident. Es gehe darum, anzuerkennen, dass es außerhalb der persönlichen Bedürfnisse noch einen höheren Zweck gebe. Die Rekruten seien insofern ein Vorbild, "und gerade die Politik soll sich an Ihnen ein Beispiel nehmen. Denn auch der Zweck der Politik ist es, dem Land zu dienen."

Eine Ehrenformation der Garde am Heldenplatz.
Foto:APA/FLORIAN WIESER

"Wir alle wissen, was los ist"

Später, in seiner Fernsehansprache, die traditionell am Abend ausgestrahlt werden wird, wird der Bundespräsident außerdem erneut zum Klimaschutz aufrufen: "Jeder und jede weiß es. Wir alle wissen, was los ist. Manche werden vielleicht sagen, der Alte soll eine Ruhe geben, ich kann’s schon nicht mehr hören: Aber diese Freude kann ich Ihnen nicht machen." Die Menschheit habe es an die "Spitze der Evolution" geschafft: "Wir sind nicht so weit gekommen, um jetzt innerhalb weniger Generationen alles wieder wegzuschmeißen", fordert Van der Bellen.

Van der Bellen will abseits der erst kürzlich überstandenen Regierungskrise "bewusst auf Dinge blicken, die unser Land langfristig betreffen". Dazu gehöre die während der Pandemie entstandene Spaltung im Land, die ihm in der Seele weh tue: "Ein Riss ist durchs Land gegangen. Mitten durchs Land. Mitten durch Freundschaften. Mitten durch Familien". Dieser müsse und werde geheilt werden. Der Präsident zeigt in seiner Rede Verständnis für Angst, die auf allen Seiten entstanden sei. Diese werde nur durch Versöhnung verschwinden. Da müssten beide Seiten mittun: "Das ist keine Einbahnstraße. Sehen wir doch das Gute im jeweils anderen", forderte der Bundespräsident die Österreicher auf.

Videobericht von den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag.
APA

Doch zurück zur Angelobung und zum eigentlichen Höhepunkt der Veranstaltung. "Ich gelobe", schreit nun ein Rekrut ins Mikrofon, "ich gelobe", antworten seine Kollegen. Die Republik und ihr Volk werden sie beschützen, schwören sie nun, Treue und Gehorsam wollen sie leisten. Und – der Präsident erwähnte es bereits – mit allen Kräften dem österreichischen Volke dienen. "Zu dienen", schreien die hundert Burschen nun, und ihr Ruf hallt von den Mauern der Nationalbibliothek zurück. Kommentar Seite 32

100 Rekruten wurden am Nationalfeiertag angelobt – unter ihnen war heuer keine Frau. Sie kamen aus fast allen Bundesländern, die allermeisten aber aus Wien. Die traditionelle Zeremonie auf dem Heldenplatz war Corona-bedingt eingeschränkt. (Gabriele Scherndl, Conrad Seid, 26.10.2021)