Eine dekarbonisierte Industrie ist auf eine effizientere Biomassenutzung angewiesen. Lignin wurde bisher meist nur verbrannt, könnte künftig aber zum wichtigen Wertstoff werden.

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Dass Bäume hoch hinaufragen, Grashalme sich im Wind beugen oder Rosensträucher eine Hecke bilden können, ist letztendlich dem sogenannten Lignin zu verdanken. Die Biopolymere, also große Moleküle aus wiederkehrenden Bestandteilen, sind in den Zellen der Pflanzen eingelagert und verleihen ihnen Festigkeit.

Die Moleküle bilden äußert variantenreiche 3D-Strukturen, die in jeder Pflanzenart anders ausfallen. Neben der Stabilisierung erfüllt das Lignin in den Pflanzen aber noch viele weitere Funktionen. Es wirkt wasserabweisend, antioxidativ und antibakteriell. Gleichzeitig schützt es die Zellen vor ultraviolettem Licht (UV-Licht).

Obwohl Lignin einer der häufigsten Naturstoffe ist, kann man in der Verarbeitung von Pflanzen – etwa in der Papier- oder Zellstoffindustrie – nur wenig damit anfangen. Hier ist es lediglich ein Abfallstoff, der meist verbrannt wird. Das Tullner Start-up Lignovations möchte das ändern und dank eines neu entwickelten Verfahrens den bisherigen Abfallstoff in neue Produkte verwandeln: Kosmetika, Verpackungen, Nahrungsmittelzusätze und sogar Medikamente.

Dabei würden auch Substanzen fossilen Ursprungs ersetzt – etwa chemische UV-Filter. "Anfang 2023 könnte die erste Sonnencreme auf Ligninbasis im Regal stehen", sagt Geschäftsführer Martin Miltner, der das Unternehmen mit seinen Mitgründern Angela Miltner, Stefan Beisl und Victor Tibo im September aus der Taufe gehoben hat.

Sehr kleine Partikel

Martin Miltner und seine Frau Angela haben sich während ihres Verfahrenstechnikstudiums an der TU Wien kennengelernt. Beide interessierten sich für neue Technologien der Biomassenutzung, beide blieben nach ihrem Abschluss als Postdocs an der TU. Im Bemühen, Biomasse tatsächlich abfallfrei zu verwerten, richtete sich der Fokus irgendwann auch auf Lignin – damals trafen sie auch auf Stefan Beisl, später der dritte Gründer mit technischem Hintergrund.

Bei der Entwicklung eines Prozesses, der den Pflanzenstoff in eine industriell nutzbare Form bringt, half ein kleiner Zufall: "Einer der Dissertanten hat im Labor Versuche gemacht, um Lignin in fester Form aus Biomasse abzutrennen", erinnert sich Miltner. "Er hat dabei zufällig eine Methode entdeckt, bei der sehr kleine Lignin-Partikel entstanden sind."

Miltner nennt das Resultat kolloidales Lignin – eine Flüssigkeit enthält diese Stoffe also in kleinster Verteilung, ohne dass sich die Partikel absetzen und eine Entmischung erfolgt. "Wir teilen die großen Ligninmolekülverbände der Pflanzen durch ein Zusammenspiel von Lösungs- und Antilösungsmittel – Alkohol und Wasser – in kleinere Teilchen, die eine große spezifische Oberfläche aufweisen", erklärt der Verfahrenstechniker.

"In den Oberflächenstrukturen sind auch die chemisch aktiven Funktionen angesiedelt, also jene chemischen Gruppen, die für UV-Schutz, wasserabweisende, antimikrobielle und antioxidative Wirkung zuständig sind."

Kontrollierbare Größe

Das sehr günstige Verfahren lässt zu, dass die Biopolymere in eine kontrollierbare, homogene Partikelform gebracht werden können. Man zielt hier auf eine Größe ab, die etwa einem Fünfhundertstel des Durchmessers eines menschlichen Haars entspricht – eine Größe, die aber noch über jenen Nanomaterialien liegt, die als potenziell gefährlich für den Körper diskutiert werden.

Das Geheimnis der Herstellung liegt vor allem in der genauen Mischung von Lösungs- und Antilösungsmittel, betont Miltner. Das Verfahren wurde von der TU Wien patentiert, Lignovations bringt den Prozess als Spin-off der TU nun zur Marktreife.

Die Ausgründung wurde durch ein Spin-off-Fellowship der Förderagentur FFG mit Mitteln des Wissenschaftsministeriums unterstützt. Das Klimaministerium fördert die Entwicklung in einem weiteren FFG-Projekt sowie über die Greenstart-Initiative des Klimafonds.

Eine weitere Förderung kommt vom Preseed-Programm des Austria Wirtschaftsservice. Auch eine erste Investorenrunde ist beinahe abgeschlossen. Während des Aufbaus kam auch Wirtschaftsabsolvent Victor Tibo als weiterer Gründer dazu. Derzeit nutzt das Spin-off für die Entwicklung noch eine Forschungsanlage der TU, ab 2022 sollen aber eigene Pilot- und Industrieanlagen folgen.

Das erste Produkt von Lignovations soll ein Sonnenschutz sein. "Das Lignin bewirkt durch Absorption, Streuung und Reflexion des UV-Lichts eine Verstärkung konventioneller UV-Filter, womit deren Menge stark reduziert werden kann", erklärt der Verfahrenstechniker. Die konventionellen UV-Filter sind kaum biologisch abbaubar und stehen im Ruf, schädlich für die Gewässer, die Natur und die menschliche Gesundheit zu sein.

Von Lack bis Fruchtsaft

Das Lignin soll sich aber auch in vielen weiteren Kosmetika als nützlich erweisen. Seine antioxidative Wirkung könnte es zur Anti-Aging-Substanz in Hautcremes machen. Ein nächster Schritt könnten dann Lacke, Beschichtungen und Holzschutzprodukte sein, zählt Miltner auf – auch hier ist UV-Schutz gefragt.

Lebensmittelverpackungen, die antibakteriell und antioxidativ wirken, wären ebenfalls ein denkbares Produkt. Längerfristig könnten die Partikel auch Teil der Lebensmittel selbst werden – Fruchtsäfte könnten mit dem antioxidativen Zusatz etwa länger haltbar sein, betont der Gründer.

Zuletzt könnten auch pharmazeutische Anwendungen interessant sein. Lignin wird vielleicht zum Wirkstofftransporter, der ein Medikament kontinuierlich im Körper abgibt. "Das Feld an Möglichkeiten ist groß", glaubt Miltner. "Als junges Start-up können wir nicht die gesamte Bandbreite abdecken. Wir wollen aber einen Anstoß dazu geben, dass das Lignin künftig besser genutzt wird." (Alois Pumhösel, 31.10.2021)