Ein Kind, das heuer auf die Welt kommt, wird Hitze wahrscheinlich gewohnt sein. Die Chancen, dass der globale Temperaturanstieg in den kommenden zwei Jahrzehnten 1,5 Grad Celsius überschreitet, stehen 50 zu 50. Und das, obwohl bereits zahlreiche Länder verkündet haben, in Zukunft viel mehr für den Klimaschutz zu tun.

In der Pension wird das eingangs erwähnte Kind mit noch viel höheren Temperaturen und den entsprechenden Folgen zu kämpfen haben: Denn selbst wenn alle bisherigen Klimaversprechen umgesetzt werden, steuert die Welt auf ein Plus von mindestens 2,7 Grad bis Ende des Jahrhunderts zu.

Am kommenden Montag beginnt die Klimakonferenz in Glasgow. Bereits im Vorfeld wird gegen das Nichthandeln vieler Staaten protestiert.
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So liest sich die Bilanz des UN-Umweltprogramms Unep die jährlich vor der Weltklimakonferenz veröffentlicht wird. In dem am Dienstag präsentierten Bericht zeigt die UN-Organisation einmal mehr auf, wie weit die Welt vom Pariser Klimaziel entfernt ist. "Der Klimawandel ist nicht mehr ein Problem der Zukunft. Er ist jetzt ein Problem", fasst es Unep-Leiterin Inger Andersen zusammen. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten sich die Anstrengungen laut Andersen versiebenfachen.

Klare Worte fand UN-Generalsekretär António Guterres bei der Präsentation des "Emission Gap Report". Er vermisst Führungsrollen im Klimaschutz. "Wir sind immer noch auf Kurs in Richtung Klimakatastrophe", sagte der Portugiese im Rahmen einer Pressekonferenz am Dienstag. Der Bericht sei ein "donnernder Weckruf" vor dem Klimagipfel. "Wie viele brauchen wir noch?", fragte der Generalsekretär in die Runde. Er forderte Staats- und Regierungschefs auf, mit mutigen Plänen zur Konferenz in Glasgow zu kommen.

Noch sei viel zu tun, sagte Guterres. Sollten die notwendigen Maßnahmen nicht in den kommenden zehn Jahren umgesetzt werden, sei der Weg in Richtung 1,5-Grad-Ziel "für immer verloren."

Corona hinterlässt Delle

Die Covid-Pandemie hat zwar für eine kleine Verschnaufpause gesorgt, sie hinterlässt in der globalen Klimabilanz dennoch gerade einmal eine Delle. Die Emissionen sind 2020 um 5,4 Prozent gesunken – befinden sich aber mittlerweile beinahe wieder auf Vorkrisenniveau. Trotz des Einbruchs ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre 2020 stärker gestiegen als im Durchschnitt des vergangenen Jahrzehnts. Damit ist die Konzentration höher als in den vergangenen zwei Millionen Jahren, heißt es in dem Bericht weiter.

Zwar hätten die Covid-Aufbaupläne aus UN-Sicht dazu beitragen können, dass mehr für das Klima getan wird, die meisten Staaten hätten diese Möglichkeit allerdings verabsäumt. Nur 17 bis 19 Prozent aller bis Mai 2021 im Rahmen von Aufbauplänen getätigten Investitionen können aus Sicht der Autoren zu einer Emissionsreduktion führen.

Das Corona-Jahr hat in der globalen Treibhausgasbilanz gerade einmal eine Delle hinterlassen.
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Für eine zumindest leichte Verbesserung der Bilanz könnten die Netto-Null-Versprechen einiger Staaten sorgen. Mehr als 50 Länder sowie die EU haben angekündigt, in den kommenden Jahrzehnten klimaneutral zu werden. Erst am Dienstag hat sich das stark vom Kohleabbau abhängige Australien dem Vorhaben angeschlossen. Auch China hat seine Klimaschutzziele bekräftigt. Demnach will die Volksrepublik den Höhepunkt der CO2-Emissionen vor 2030 erreichen, wie die Regierung am Dienstag mitteilte.

Die Ankündigungen fließen allerdings noch nicht zur Gänze in die Berechnungen der UN-Organisation ein, da die meisten Vorhaben äußerst vage sind und sich häufig nicht in den kurzfristigeren Klimazielen widerspiegeln. Gezählt werden die sogenannten Nationally Determined Contributions (NDCs), also jene national festgelegten Reduktionsbeiträge, die die Staaten vor jeder Klimakonferenz melden müssen. Werden die Netto-Null-Versprechen eingerechnet, könnte sich ein Plus von 2,2 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts ausgehen – also noch immer weit mehr als das Pariser Ziel.

Frühere Ziele versäumt

Ob die teils ambitionierten neuen Klimaziele der Staaten überhaupt in Maßnahmen münden, ist offen: Laut dem Bericht erreichen die G20-Staaten, die für rund 80 Prozent des weltweiten Ausstoßes verantwortlich sind, zusammengezählt nicht einmal ihre bisher angekündigten Reduktionsvorhaben.

Einmal mehr rief die UN dazu auf, dass ärmere Staaten mehr technologische sowie finanzielle Unterstützung im Klimaschutz erhalten müssen. Wie Anfang der Woche bekannt wurde, haben die Industriestaaten die Höhe der zugesagten Gelder für die Bekämpfung der Klimakrise deutlich verfehlt. Die versprochenen 100 Milliarden US-Dollar an Hilfen pro Jahr werden voraussichtlich statt 2020 erst 2023 erreicht.

"Die Welt muss sich der unmittelbaren Gefahr bewusst werden, der wir als Spezies ausgesetzt sind", warnte Andersen am Dienstag. Regierungen weltweit müssten in den kommenden Monaten konkrete Pläne vorlegen und vor allem auch umsetzen, sagte die dänische Unep-Chefin wenige Tage vor dem Start des Weltklimagipfels in Glasgow. Mit anderen Worten: Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten die heutigen Treibhausgasemissionen in den kommenden acht Jahren halbiert werden. (Nora Laufer, 26.10.2021)