Ob mit, ob ohne "Haarschmuck": Otobong Nkangas Objekte bezeugen in Bregenz die Ökokatastrophe.

Foto: Tretter

Früher oder später wird der Mensch selbst in der von ihm ausgelaugten Erde verrotten. Ob der Erde das ein Trost sein wird, lässt sich nicht sagen, in jedem Fall dürften dabei ein paar Nährstoffe für sie herausspringen. Vielleicht wächst dann ja Besseres nach.

Wenn Otobong Nkanga organische Kreisläufe ins Spiel bringt, schlummert darin der Gedanke an Heilung, aber auch ein Fünkchen Ironie. Schließlich hat es durchaus irrwitzige Züge, wie wir uns mit der Ausbeutung des Bodens buchstäblich die eigene Lebensgrundlage entziehen.

Sinn für Humor beweist Nkanga, 1974 im nigerianischen Kano geboren und in Antwerpen lebend, auch, wenn sie von einer verdorrten Palme erzählt, deren "Frisur" sie an jene von Mireille Mathieu erinnert habe. Vielleicht ein Grund mehr, der Palme eine Stimme zu verleihen: Das tote Gewächs stand im Mittelpunkt einer Installation, die die Künstlerin 2019 auf der Sharjah-Biennale gemeinsam mit ihrem Landsmann Emeka Ogboh realisiert hatte. Es ging darin unter anderem um die fortschreitende Versalzung der Böden. Der Baumriese, den Nkanga aus dem Bregenzerwald ins Kunsthaus Bregenz verfrachten ließ, hat hingegen gar keine Frisur mehr: Aus einer dystopischen Landschaft aus Lehm ragt nur noch seine verkohlte Spitze.

Es riecht erdig und feucht, unter den Schuhsohlen knirscht es leise, in kleinen Kratern haben sich giftig wirkende, bräunliche Pfützen gebildet. Was nach trostloser Verödung aussieht, erzählt in Wahrheit auch vom alternativen Umgang mit Ressourcen. Die aus Tonnen von Lehmschlamm geformte Landschaft ist in Zusammenarbeit mit dem Vorarlberger Lehmbauexperten Martin Rauch entstanden. Was wir sehen und worauf wir stehen, ist also auch ein Baustoff, und zwar ein nachhaltigerer als der Klimasünder Beton, für dessen Herstellung massiver und zum Teil auch mafiös organisierter Raubbau am Rohstoff Sand betrieben wird.

Soziale Verwerfungen

2017 brachte Nkanga auf der wegen ihrer Weltverbesserungsattitüde vielgescholtenen Documenta aus Holzkohle und Ölen hergestellte Seifenstücke unters Kunstvolk; auf der letzten Venedig-Biennale verlegte sie im Arsenale eine 26 Meter lange Pulsader aus Marmor und Muranoglas. Der Umgang mit natürlichen Ressourcen und die sozialen Verwerfungen, die damit einhergehen, sind die zentralen Themen der Künstlerin, sie erforscht sie aber denkbar weit entfernt von moralisierender Ökokunst. Denn Nkanga interessiert sich vor allem für das Material: Kupfer, Kohle und andere Bodenproben aus dem Bergwerk der Gier verarbeitet sie zu poetisch verklausulierten Objekten und Installationen, in denen Drama und Hoffnung nah beieinanderliegen.

Eigens für die Bregenzer Schau entstanden sind auch monumentale Tapisserien, die im Übrigen gerade vor den rohen Betonwänden des Zumthor-Baus ihre Wirkung entfalten: Umwerfend schön sind diese auf vier Etagen verteilten, monumentalen Wandteppiche, die zusammen ein Bild ergeben, das Nkanga Unearthed getauft hat. Es lässt in tiefe Abgründe schauen: Man sieht eine farbenprächtige Unterwasserlandschaft, in der Quallen von der Erwärmung der Meere erzählen und menschliche Körperteile sich in Netzen verfangen. Unmöglich, da nicht an die Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer zu denken, Nkanga denkt aber auch Sklavenschiffe und die jahrhundertealte Ausbeutung von Arbeitskraft, wenn sie Arme, die wie Puppenglieder oder Prothesen aussehen, aus den Tiefen des Meeres auftauchen lässt.

Postkoloniale Praxis

Der postkoloniale Umgang mit Ressourcen, die häufig in afrikanischen Ländern geplündert und woanders verbraucht werden, liegt da nur einen Gedankensprung weit entfernt. Auf dem Boden zweier Kunsthaus-Etagen liegen derweil durch dicke Seile verbundene, gläserne Objekte herum. Sie könnten so etwas wie Rettungsbojen sein, erinnern aber eigentlich mehr an schicke Wohnaccessoires, wie man sie aus Einrichtungskatalogen oder Möbelhäusern kennt. In diesem Fall beherbergen die Pflanzenterrarien jedoch von der Künstlerin gesammelte Bodenproben und das Grünzeug, das daraus gewachsen ist.

Lieber zurück zu bereits erwähntem Baum also, der im Erdgeschoß an den Rand eines Tümpels gesetzt wurde, der die Decke zu durchstoßen und durch das gesamte Gebäude bis in die Lehmlandschaft hinaufzuwachsen scheint. Tatsächlich sehen wir ihm beim Sterben zu, wohnen also einem Drama bei, das in der Natur unter kräftigem Zutun des Menschen tausendfach passiert. Aber im Museum ist es dann halt doch tröstlich zu wissen, dass exakt dieser Baum ohnehin hätte gefällt werden müssen. (Ivona Jelcic, 27.10.2021)