"Wenn ich manchmal auf mein Frühwerk schaue, denke ich: Wow, habe ich den Sweater wirklich an?": Matt Dillon ist in Wien bei der Viennale zu Gast.

Foto: Viennale/Robert Newald

Matt Dillon ist 1979 praktisch direkt aus dem College ins Filmgeschäft gewechselt – und wie kaum ein anderer Schauspieler seiner Generation hat er sich über Jahrzehnte als risikofreudiger Darsteller bewährt. Zuletzt ist er für seinen Musikerdokumentarfilm "El Gran Fellove" hinter die Kamera gewechselt. Nun hat man Gelegenheit zu erleben, dass der US-Schauspieler auch mit über 50 noch wie ein Sonnyboy strahlt. Auf der Viennale ist er mit dem Film "Land of Dreams" zu Gast, einem dystopischen Roadmovie, das die iranischstämmige Künstlerin Shirin Neshat mit Shoja Azari inszeniert hat.

STANDARD: In "Land of Dreams" erzählen Sie in Ihrer ersten Szene einen Witz. Die Pointe liegt darin, dass es für jedes unsinnige Zitat einen US-Präsidenten als Quelle gibt.

Dillon: Der Witz war der längste Krempel, den ich je lernen musste. Es war wirklich schwierig, die Spannung zu halten. Man dient vor allem der Vision. Wir haben dann den Schluss geändert, es endete eigentlich bei Saddam Hussein, ich wollte aber bei den US-Präsidenten, bei Trump, aufhören. Als wir den Film drehten, waren wir gerade mitten in den Wahlen. Und, Gott, das war eine holprige Fahrt. Zumindest hatte sie ein gutes Ende. Wir waren echt erleichtert!

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STANDARD: Die USA sind immer noch tief gespalten. Haben Sie die Hoffnung, dass sich das bessern wird?

Dillon: Amerika ist so groß! Vieles, was daran fantastisch ist, wird zugleich zum Problem. Als wir den Film in New Mexico drehten, einem blauen, demokratischen Bundesstaat, kamen wir auch in Teile, in denen überall "Trump as president" zu lesen war. Vor allem in den Öl und Gas produzierenden Regionen – denn, hey, die Umwelt wird den Profiten untergeordnet.

STANDARD: Sie spielen im Film einen etwas cowboyhaften Wachhund, der auf eine Frau aufpassen soll. Macht es Spaß, solche archetypischen Amerikaner zu verkörpern?

Dillon: Am wichtigsten ist mir dabei, dass nicht alles erklärt wird, die Rolle nicht schwarz-weiß ist. Alan ist der typische Mann des Westens, kein Intellektueller, aber man weiß zugleich nie so genau, in welcher Position er spielt. Er ist vielleicht nur da, um eine Idee von Amerika zu beschützen. Als Schauspieler kann ich natürlich keine Metapher spielen, sondern nur einen Menschen aus Fleisch und Blut. Mir gefiel an diesem Drehbuch von Jean-Claude Carrière, dass die Figur nicht so eindeutig, nicht zum Fürchten ist. Alan hat durchaus Charme.

STANDARD: Und bei der Regie?

Dillon: Das Beste, worauf ein Schauspieler da hoffen kann, ist mit einem Filmemacher zu arbeiten, der eine Stimme hat. Ich meine damit keine Botschaft, sondern diese Reinheit und Unmittelbarkeit. Als Schauspieler will man ja immer den anderen die Schuld geben! Ich mache nur Witze ... Shirin hat diese Stimme, ihr Film hat Elemente von Michelangelo Antonioni, auch etwas von Monte Hellmans "Two Lane Blacktop". Er zeigt Amerika aus einem anderen Blickwinkel.

STANDARD: Sie wurden als 14-Jähriger vom legendären Casting-Direktor Vic Ramos entdeckt, der dann auch lange Ihr Manager blieb. Hat er Ihnen durch die Gefahren und Niederungen der Industrie geholfen?

Dillon: Es gab nur wenige wie Vic Ramos. Er war sehr wichtig für mich, ein Mann der alten Welt – als er 2007 gestorben ist, ging für mich eine Ära zu Ende. Vic ist in Hollywood aufgewachsen, er hatte eine verrückte Kindheit, wurde dann Vertragsschauspieler, was ihn nicht erfüllt hat. So kam er zum Casting, er mochte Schauspieler sehr. Ich war kein Kinderschauspieler, ich war schon ein Teenager, ich war nicht ganz unschuldig – oder so unschuldig, wie wir alle sind. Wenn ich manchmal auf mein Frühwerk aus den 1980ern schaue, denke ich aber schon: Oh wow, hab ich den Sweater wirklich getragen? Diese Frisur gehabt? Ich hab den Job beim Spielen gelernt ...

STANDARD: Es gibt auch ein Interview von Andy Warhol mit Ihnen aus dieser Zeit.

Dillon: Das haben wir in seinem Apartment geführt. Andy hat mich damals sehr unterstützt. Vic kannte Andy, weil er das Casting von "Midnight Cowboy" gemacht hatte. Es gab diese Idee, dass ich in einem Film über die Factory dabei sein sollte. Es war nicht mehr die erste Factory, aber Basquiat war da. Und niemand wollte über Edie Sedgwick sprechen. Wir waren in einem Softballteam mit all den Graffitikünstlern – ich erinnere mich, ich habe Basquiat für einen guten Graffitikünstler gehalten.

STANDARD: Ein wichtiger Regisseur Ihrer Laufbahn war Gus Van Sant, mit dem Sie etwa "Drugstore Cowboy" gedreht haben. Sind Sie ein Schauspieler, der klar nach Regisseuren geht?

Dillon: Das wäre ich gern, aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht mit genügend von den besten gedreht habe. Gus' Talent war ganz greifbar – man spürt das gleich, wenn man ans Set kommt. Ich erinnere mich an die ersten Tage von "Drugstore Cowboy", schon der Prozess der Annäherung an die Rolle war einzigartig. Es gab den Luxus vieler Proben und Improvisationen – das ist selten geworden. Die Recherche war wichtig, Gus nahm alles genau.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Dillon: Wir fuhren etwa zum Vorlagenautor James Fogle im Washington State Penitentiary in Walla Walla. Das ist eine richtige Cowboystadt – ich sagte ihm dann gleich, dass ich zu jung für den Part sei. Er meinte aber, das sei alles vor langer Zeit passiert, und das Vorbild für die Rolle hätte genauso wie ich ausgesehen. Das war typisch Gus. Er machte damals Filme, die sonst niemand riskierte. Viele meinten, man könne keinen Film über Drogensucht machen – Nancy Reagan hat gerade ihre "Say No to Drugs"-Kampagne gefahren.

STANDARD: Sie drehten in den letzten Jahren viel in Europa, etwa mit Lars von Trier, unlängst auch mit Wes Anderson in Spanien. Finden Sie hier die besseren Bedingungen vor?

Dillon: Wes Anderson und Lars von Trier sind wirklich sehr unterschiedlich, aber beide bringen dich an einen Punkt, an dem du nicht mehr nachdenkst. Das ist das Wichtigste. Meine Fehler sind besser als meine Ideen. Ich muss frei sein. Die Zeit, in der ich nicht weiß, was ich tue, ist am Ende immer interessanter. Und in Europa arbeitet man kürzer. Amerika ist dahingehend verrückt. Auch das, was am Set mit Alec Baldwin passiert ist – es gab ja fast schon Streik wegen der Arbeitsbedingungen. Das ist beinahe Sklavenarbeit, die 13, 14 Stunden lang geht! Europa ist da viel zivilisierter. (Dominik Kamalzadeh, 27.10.2021)