Gab es 2021 wirklich so viel zu cringen?

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Voriges Jahr hat die Langenscheidt-Wahl zum deutschen Jugendwort, bei der erstmals echte Jugendliche abstimmen durften, das Wörtchen "lost" gewonnen. Das war zwar nicht gerade neu in der sogenannten Jugendsprache, aber sich verlieren, ahnungslos oder abgehängt fühlen, passte immerhin ganz gut zum ersten Pandemiejahr.

Mit "cringe" hat heuer allerdings vor "sus" (Abkürzung für suspekt) und "sheesh" ein Wort gewonnen, das schon lange zum Inventar der deutschen Jugendsprache gehört.

Kurz zum Wort selbst: "Cringe" in seiner ursprünglichen Bedeutung – eine Kontraktion der Muskeln wegen Schmerzes oder Kälte – kann seit dem 13. Jahrhundert belegt werden und soll etymologisch mit dem mittelhochdeutschen "krank" (in der Bedeutung schwach) zusammenhängen.

Auch in der Bedeutung, wie es heute jugendsprachlich verwendet wird, also als "sich fremdschämen", gibt es das Wort im angloamerikanischen Raum seit langem. Auch in unseren Breiten – das ist jetzt allerdings eine Schätzung meinerseits – mindestens seit fünf Jahren, wenn nicht zehn. Als Lebensgefühl existiert "cringe" sowieso viel länger, nämlich seit besonders junge Menschen sich von den Taten und Aussagen der Älteren peinlich berührt fühlen. Seit immer also.

Warum wird "cringe" gerade 2021 zum deutschen Jugendwort des Jahres gewählt, fragt man sich? 2021 war ein äußerst bewegtes Jahr, aber sieht man einmal von gewissen Chats ab und dem Video der "Zeit im Bild", in dem Armin Wolf den Tiktok-Fausttanz macht – also Vorkommnissen, die uns in Österreich stärker beschäftigt haben als anderswo im deutschsprachigen Raum –, gab es gar nicht so viel zu cringen. Na gut, als Bezos mit seiner Penisrakete ins Weltall flog, war das schon peak cringe, auch die ganze Meghan/Harry-Chose hatte ihre cringeworthy Momente, aber sonst?

Hier sollte ich jetzt eine These etablieren, warum "cringe" doch zum Jugendwort 2021 taugt, aber ich habe keine Ahnung. Mir kommt das ausschließlich sus vor, sheesh.

Vielleicht habe ich etwas verpasst, vielleicht sind Jugendliche, die bei einem Onlinevoting des Langenscheidt-Verlags mitmachen, aber auch einfach uncool und ihrer Zeit hinterher. Ein bisserl cringy ist so eine Abstimmung ja schon. (Amira Ben Saoud, 27.10.2021)