Eine Demonstrantin hält ein Schild mit dem Slogan "Wir bleiben in der EU" in die Höhe. Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts gegen EU-Recht hatte Ängste bezüglich eines möglichen EU-Austritts geschürt.

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Polens Premierminister Mateusz Morawiecki bei seinem Paris-Besuch im März.

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Im Kräftemessen zwischen der Europäischen Union und Polen muss das osteuropäische Land einen Schlag einstecken: Eine Million Euro soll die Regierung in Warschau an die EU-Kommission zahlen. Täglich. Und das so lange, bis die nationalkonservative Regierung die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) respektiert. Das urteilten die Höchstrichter in Luxemburg am Mittwoch. Polens Vizejustizminister Sebastian Kaleta wies den Richterspruch als "Erpressung" zurück.

Dabei geht es primär um die sogenannte Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs in Polen. Diese kann die Immunität von Richtern aufheben, deren Lohn kürzen oder sie sogar entlassen – ebenso Staatsanwälte. Kritiker fürchten, dass künftig nur noch jene Richterinnen und Richter arbeiten werden, die der Regierungspartei PiS treu ergeben sind.

Frist verstrichen

Der Vizepräsident des EuGH teilte nach der Entscheidung am Mittwoch mit, dass es darum gehe, einen "schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden" von der Rechtsordnung der EU und den Werten, auf denen die Union beruhe, abzuwenden. Bereits im Juli hatte der EuGH Polen in einem Urteil aufgefordert, die Disziplinarkammer abzuschaffen, und eine Frist bis Mitte August gesetzt.

Anfang August kamen eigentlich positive Signale aus Warschau. Vizepremier Jarosław Kaczyński hatte angekündigt, die Disziplinarkammer aufzulösen. Bis September wollte man keine neuen Fälle bearbeiten. Dann sollten der Kommission neue Pläne geschickt werden, wie eine EU-rechtskonforme Kammer aussehen könnte. Geschehen ist das nicht.

In der Zwischenzeit hat sogar das Verfassungsgericht in Warschau geurteilt, dass Teile des EU-Rechts der polnischen Verfassung widersprechen. Damit könnten unliebsame EuGH-Urteile ignoriert werden. Doch die Verfassungsrichter Polens sollen befangen sein, denn das Gericht wurde laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte illegal mit PiS-genehmen Richtern zusammengesetzt.

Druck durch Parlament

Das Urteil zu den Strafzahlungen an die EU-Kommission ist nur ein weiteres Kapitel in dem rasant eskalierenden Streit mit Polen. Durch die gerichtlichen Auseinandersetzungen sind zudem noch immer rund 24 Milliarden Euro an Corona-Hilfen an das Land eingefroren. Diese stammen aus dem Wiederaufbaufonds, der in den kommenden Jahren schrittweise an die Mitgliedsstaaten ausgezahlt werden soll.

Vor allem das EU-Parlament setzt die Kommission unter Druck, die Mittel an Warschau zurückzuhalten. Denn ohne ein unabhängiges Justizsystem könnten die Mittel in Polen versickern, so die Sorge der Abgeordneten. Sie drohen der Kommission sogar mit einer Klage, wenn sie den sogenannten Konditionalitätsmechanismus nicht einsetzt. Also jenen Mechanismus, der Gelder nur an die Staaten auszahlt, die dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip entsprechen.

Vor dem Europäischen Parlament hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor wenigen Tagen klare Worte in Richtung Polen gefunden. "Ich bin zutiefst besorgt", sagte sie und drohte dem Land mit einem neuen Vertragsverletzungsverfahren.

Polens Premier Mateusz Morawiecki reagierte in einem Interview mit der "Financial Times" heftig und warnte die Kommission: Sollte sie die Corona-Gelder weiterhin zurückhalten, so würden sie einen "Dritten Weltkrieg" beginnen. Polen werde sich verteidigen. (bbl, 27.10.2021)