Der Boykott Israels wird auch von sich als "links" verstehender Gruppe gefordert.

Foto: Markus Sulzbacher

Wie hält es die Grazer KPÖ mit Israel? Diese Frage wurde den steirischen Kommunisten und Kommunistinnen von der ÖVP vor wenigen Tagen gestellt, um eine etwaige Zusammenarbeit auszuloten. Zuvor hatte die KPÖ bei der Gemeinderatswahl die Stimmenmehrheit geholt. Die Frage bezüglich Israel kam freilich nicht von ungefähr. Als einzige Partei im Gemeinderat stimmte die KPÖ im Jahr 2019 einer Resolution gegen Antisemitismus und die BDS-Bewegung nicht zu – und erntete daraufhin österreichweite Kritik.

Die KPÖ erklärte nun, dass sie damals nicht zustimmte, weil sich "die Erklärung auf eine in Graz völlig irrelevante Splittergruppe" beschränkt habe, die "all die verschwörungstheoretischen, deutschnationalen und burschenschaftlichen Antisemiten" hingegen "völlig außer Acht" lasse, was "heuchlerisch und inakzeptabel" sei. In ihrer Beantwortung der Frage der ÖVP zeigt sie sich aktuell aber unmissverständlich: "Das Existenzrecht Israels ist für die KPÖ unantastbar."

Auch bezüglich BDS – die Abkürzung steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen – wurden deutliche Worte gefunden. Die hauptsächlich in Wien in Erscheinung tretende Gruppe – einige Aktivisten und Aktivistinnen verorten sich selbst als politisch links stehend – sorgt mit ihren Aufrufen unter anderem zum Boykott israelischer Waren hierzulande immer wieder für Schlagzeilen. Aktuell ist auf ihrer Facebook-Seite zu lesen, dass Israel einen "Vernichtungskrieg" gegen die Palästinenser führe. Ein Begriff, der für die Kriegsführung der Nationalsozialisten und die damit einhergehende Ermordung von Juden und Jüdinnen steht.

Die KPÖ Graz ging zu BDS-Kampagnen auf Distanz.
Foto: Markus Sulzbacher

Die KPÖ Graz geht auf Distanz: "Ein Boykott israelischer Waren, wie von der BDS-Kampagne gefordert, erinnert vor dem Hintergrund der deutsch-österreichischen Geschichte an die widerwärtige ‚Kauf nicht beim Juden'-Propaganda der Nazis und wird von der KPÖ als konsequent antifaschistische Partei, die tausende ihrer Mitglieder im aktiven Kampf gegen die NS-Barbarei verloren hat, zutiefst abgelehnt." Damit ist die KPÖ auf Linie des österreichischen Parlaments, und auch die Stadt Wien bezeichnete "BDS-Kampagnen" als antisemitisch.

Doppelstandards und seltsame Vergleiche

Dass ausgerechnet der KPÖ mit ihrem dezidierten antifaschistischen und antiantisemitischen Selbstverständnis derartige Fragen gestellt werden können, liegt hauptsächlich daran, dass Israel von Teilen der politischen Linken seit Jahrzehnten kritisiert wird, und zwar mit Doppelstandards, seltsame Vergleichen und steinalten antisemitischen Verschwörungsmythen. Dabei wird die israelische Siedlungs-, Militär- und Sicherheitspolitik oftmals mit dem Holocaust oder dem Vernichtungskrieg gleichgesetzt, wodurch NS-Verbrechen relativiert und antisemitische Ressentiments erneut salonfähig gemacht werden.

Dabei wurde die Gründung Israels im Jahr 1948 seitens der österreichischen Linken größtenteils begrüßt. Die KPÖ unterstützte die Gründung des einzigen jüdischen Staates der Welt, auch weil sie Israel als Heimstätte der Überlebenden der Shoah sah. Im Jahr 1967 kam es allerdings zum Bruch, als Israel einen Präventivkrieg (Sechstagekrieg) gegen arabische Staaten führte und in dessen Verlauf die Kontrolle über den Gazastreifen, die Sinai-Halbinsel, die Golanhöhen, das Westjordanland und Ostjerusalem erlangte. Aus den von Israel eroberten Gebieten flohen zwischen 175.000 (israelische Schätzung) und 250.000 (jordanische Schätzung) Palästinenser, teils aufgrund von Vertreibungen.

Da die Sowjetunion an der Seite arabischer Staaten stand, diesen auch Waffen und Berater schickte, musste die KPÖ ihre Politik zwangsläufig ändern – sie orientierte sich ja an Moskau. Wie die damals gerade entstandene "Neue Linke" solidarisierte sich auch die KPÖ nach dem Sechstagekrieg mit den Palästinensern und deren Kampf gegen Israel. Deren Widerstand, darunter auch terroristischen Aktionen, wurden als "revolutionär" und "antiimperialistisch" betrachtet.

Auf der antiisraelischen Demonstration im Mai war auch ein Transparent mit dem Bild von Leila Chaled zu sehen, einer linken Aktivistin, die in den 1960er- und 1970er-Jahren an Flugzeugentführungen beteiligt war und seither ikonisch verehrt wird.
Foto: Markus Sulzbacher

Ein Bild, das sich teilweise bis heute gehalten hat, ebenso die Sprache, die nicht von "Juden oder Jüdinnen" oder "Israelis", sondern von "den Zionisten" spricht.

Palästina-Solidarität zählte zum Lifestyle

Mit der sogenannten Palästina-Solidarität ging einher, dass Israel bis in die Reihen der SPÖ zum Feindbild wurde. Verstärkt wurde dies durch die Außenpolitik des SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky, der sich in den 1970er- und 1980er-Jahren für die Palästinenser engagierte und keinerlei Berührungsängste gegenüber arabischen Despoten, wie dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi, zeigte. Al-Gaddafi inszenierte sich damals als Todfeind Israels. Dadurch verschlechterten sich die Beziehungen zu Israel zusehends. Zwischen 1977 und 1982 herrschte politische Eiszeit zwischen Israel und Österreich. Dazu kam, dass Kritik an Israel, die durch das Tragen eines schwarz-weißen sogenannten Palästinensertuchs öffentlich gezeigt wurde, über Jahre zum linken Lifestyle zählte.

In Diskussionen, auf Plakaten und Graffitis wurde damals Israel schon mal das Existenzrecht abgesprochen und von einem "zionistischen Gebilde" geredet. Auffällig dabei war, dass die Mitwirkung Österreichs am Nationalsozialismus ausgeblendet wurde, ebenso wie der Umstand, dass Israel die Heimat vieler NS-Opfer ist. Das zeigte sich in perfiden Vergleichen, die immer wieder zu hören waren. Etwa jener, Israel behandle die Palästinenser so, wie die Nationalsozialisten mit Juden und Jüdinnen umgegangen sind. Oder wenn die Lebensumstände der im Gazastreifen lebenden Menschen mit "wie in einem Freiluft-KZ" beschrieben wurden.

Für den größten Teil der Linken ist Israel zwar nicht perfekt, kann aber eine gute Bilanz in Sachen Rechte für Homosexuelle, Gleichstellung der Geschlechter, Demokratie und Umwelt vorweisen.
Markus Sulzbacher

Mittlerweile sind derartige Positionen ein Minderheitenprogramm. Bei BDS-Kundgebungen gibt es regelmäßig Proteste von jüdischen, linken und antifaschistischen Gruppen. Für den größten Teil der Linken ist Israel zwar nicht perfekt, kann aber eine gute Bilanz in Sachen Rechte für Homosexuelle, Gleichstellung der Geschlechter, Demokratie und Umwelt vorweisen. Kritik richtet sich an die Politik der jeweils amtierenden Regierung und deren Maßnahmen, wenn etwa rechtsextreme Parteien Ministerposten stellen oder wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt.

Verstärker linker Antisemitismus

Trotzdem ist linker Antisemitismus weiterhin ein Thema, wie der Halbjahresbericht 2021 der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien zeigt. Demnach ist die Zahl judenfeindlicher Vorfälle dieses Jahr massiv in die Höhe geschnellt. 562 antisemitische Vorfälle wurden dokumentiert. Dazu zählen körperliche Attacken, wie das Werfen von Steinen auf eine jüdische Familie auf einem Spielplatz, Sachbeschädigungen, etwa das Beschmieren von Plakaten, und Beschimpfungen. Bei einer Kundgebung gegen Antisemitismus rief ein Mann auf Wienerisch den Demonstrierenden zu: "Steckt euch den Holocaust in den A****!"

Laut dem Bericht der Meldestelle konnten 415 Vorfälle ideologisch eindeutig zugeordnet werden. 244 haben einen rechten, 71 einen muslimischen und beachtliche 100 einen linken Hintergrund.

Bei einer Kundgebung gegen Antisemitismus rief ein Mann auf Wienerisch den Demonstrierenden zu: "Steckt euch den Holocaust in den A****!"

Im Mai dieses Jahres zeigte sich, dass nur ein wenig an der Oberfläche gekratzt werden muss, um diese Form der Judenfeindlichkeit sichtbar zu machen. Bei Demonstrationen gingen Vertreter linker antiimperialistischer Splittergruppen mit ihren ideologischen Todfeinden gemeinsam auf die Straße.

Grund waren die Raketenangriffe der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel, dessen Luftwaffe mit massiven Bombardements antwortete. Bei einer Kundgebung zogen Anhänger und Anhängerinnen der Hamas, Sympathisanten des sogenannten "Islamistischen Staates" (IS), der Grauen Wölfe und Getreue der türkischen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit linken Aktivisten und Aktivistinnen durch die Wiener Mariahilfer Straße. Dabei wurden Parolen wie "Kindermörder Israel" skandiert oder zur Vernichtung Israels aufgerufen.

Bei den Demonstrationen in Wien wurde "Kindermörder Israel" gerufen.

Als Redner trat ein altgedienter linker Aktivist in Erscheinung, der zuvor als Unterstützer kurdischer Milizen und deren Kampfs gegen den IS und die türkische Armee sowie deren Söldner im kurdischen Rojava auftrat. Bei seinem Auftritt auf der Mariahilfer Straße hatte der Mann offensichtlich keine Bedenken, an der Seite von jenen zu stehen, die Rojava lieber heute als morgen dem Erdboden gleichmachen würden. In seiner Rede wärmte er auch noch alte antisemitische Verschwörungserzählungen auf. So warf er Israel Brunnenvergiftung, Rachsucht, Bereicherung auf Kosten anderer sowie das Vom-Zaun-Brechen von Kriegen vor, wie der Halbjahresbericht der Antisemitismus-Meldestelle festhält. Der Vorwurf der Brunnenvergiftung ist seit dem Mittelalter eines der beliebtesten antisemitischen Stereotype und dient seither der Legitimation von Judenverfolgungen.

Andere linke Aktivisten stimmten auf der Demonstration hingegen "Kindermörder Israel" an. Zwar kamen bei den Auseinandersetzungen zwischen Hamas und der israelischen Armee tragischerweise Kinder auf beiden Seiten ums Leben. Die Parole "Kindermörder Israel" ist jedoch falsch – Israel hat nicht das Ziel Kinder zu ermorden.

Die Parole, die seit Jahrzehnten selten bei einer antiisraelischen Kundgebung fehlt, geht auf eine Ritualmord-Legende zurück, die erstmals im Jahr 1144 auftauchte. Also vor beinahe eintausend Jahren. Diese Verschwörungserzählung besagt, Juden würden sich verabreden, christliche Kinder grausam zu ermorden, um dann aus deren Blut Heilmittel für Krankheiten herzustellen und Matze, einen Brotfladen, der zu Pessach gegessen wird, zu backen. Diese Anschuldigungen sind völlig aus der Luft gegriffen, waren aber immer wieder ein Vorwand, um Juden und Jüdinnen zu massakrieren – sogar kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als ein Mob in Polen 42 Überlebende der Shoah tötete.

Wenn Linke mit ihren ideologischen Todfeinden gemeinsam auf die Straße gehen, dann geht es um Israel.
Foto: Markus Sulzbacher

Kritik an der Hamas, die Gaza kontrolliert, war auf den Demonstrationen im Mai dieses Jahres hingegen nicht zu vernehmen. Auch nicht daran, dass die islamistische Organisation von Rechten für Homosexuelle oder Frauen wenig hält, brutal gegen linke Oppositionelle vorgeht und in ihrer Charta Israel nicht nur das Existenzrecht abspricht, sondern auch das Töten von Juden und Jüdinnen als "unbedingte Pflicht eines jeden Muslimen" bezeichnet.

Antisemitismus ist kein integraler Bestandteil linker Weltbilder, aber ein ständiger Begleiter

Antisemitismus begleitet die politische Linke seit ihrer Entstehung Mitte des 19. Jahrhunderts. In Schriften ihrer Wegbereiter und Theoretiker der Arbeiterbewegung finden sich wüste antisemitische Tiraden. So schrieb der für den Satz "Eigentum ist Diebstahl" bekannte französische Ökonom und Anarchist Pierre-Joseph Proudhon, dass Juden und Jüdinnen "Parasiten", ein "Feind der menschlichen Art" seien und daher nur zwei Möglichkeiten blieben: "Man muss diese Rasse nach Asien verweisen oder vernichten."

Die Linke befeuerte und pflegte das Feindbild vom reichen "jüdischen Kapitalisten" und sorgte so auch dafür, dass Juden und Jüdinnen schließlich mit Kapitalismus gleichgesetzt wurden. Dieser "antikapitalistische Antisemitismus" wurde später von den Nationalsozialisten auf die Spitze getrieben. Seitens der Linken wurde Antisemitismus erst spät verurteilt – nachdem er sich im hohen Ausmaß auch gegen sie selbst richtete. Erst Ende der 1890er-Jahre fanden zentrale Persönlichkeiten der Bewegung, wie Friedrich Engels, dazu klare ablehnende Worte. Trotzdem blieb Antisemitismus ein Problem der Linken.

Thema nicht ausreichend aufgearbeitet

Für die in Salzburg tätige Universitätsprofessorin Margit Reiter, die vor 20 Jahren mit ihrem Buch "Unter Antisemitismus-Verdacht. Die österreichische Linke und Israel nach der Shoah" ein Standardwerk zu linkem Antisemitismus schrieb, ist das Thema weiterhin präsent und nicht ausreichend aufgearbeitet. "Vor allem die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte bräuchte eine differenzierte Aufarbeitung. Da gab es ja viele Positionswechsel, neue Solidaritäten und Veränderungen, die die ganze Problematik sehr komplex machen", so Reiter, die Zeitgeschichte lehrt.

Sie sieht aber linken Antisemitismus derzeit nicht als das Hauptproblem. Es seien "nach wie vor der ´hausgemachte´ rechte Antisemitismus und auch der mit Israelfeindlichkeit einhergehende Antisemitismus unter Muslimen", so Reiter. Auch sieht sie die derzeitige Situation "als sehr schwierig und verworren, wo die Rechten sich als die größten Anti-Antisemit*innen und Israel-Freunde stilisieren und den Antisemitismus-Vorwurf vielfach auch politisch instrumentalisieren". (Markus Sulzbacher, 2.11.2021)