Regisseur Kirill Serebrennikov schafft aus der Ferne ausdrucksvolle Bilder von Kälte, Protest und Repression.

Bayerische Staatsoper

Dass Serge Dorny, der neue Intendant des Münchner Nobelopernhauses, seinen Premierenreigen mit Schostakowitschs Die Nase beginnt, ergibt spannenden Mehrwert: Es inszeniert schließlich – vom erzwungenen Moskauer Homeoffice aus – Kirill Serebrennikov, der vom Putin-Regime zwar nicht mehr per Hausarrest gequält wird, jedoch nicht reisen darf. Zudem kommt ein Stück auf die Bühne, in dem das zaristische und stalinistische Erbe durchscheint, dessen Spuren auch heute zu finden sind.

Serebrennikov setzt auf Verdüsterung und weniger auf die Kraft einer überzeichnenden Groteske. In München verströmt die Bühne, die sich schnell für jede der 16 Szenen verwandeln kann, buchstäbliche russische Kälte und metaphorische Tristesse. Da fährt die Polizeistation samt vergitterter Zelle herein, in der geprügelt wird und in der den Arretierten mit Vorliebe die Nase abgeschnitten wird. Da wird von einer riesigen Zauberhand die Silhouette von Sankt Petersburg an die Wand gemalt. An anderer Stelle werden beim Eisangeln Leichenteile aus der zugefrorenen Newa gezogen.

Heutiges Russland

Zum Handwerkszeug der Polizei (die ihre Uniformjacken offensichtlich aus deutschen Beständen übernommen hat) gehören neben ihren Knüppeln und Schutzschilden jede Menge Absperrgitter. Bei der Suche nach der berühmten Nase Kovaljovs und deren öffentlichen Auftritten als Staatsrat kommt es nämlich zu Demonstrationen. Und: Videoeinblendungen lassen keinerlei Zweifel daran, dass das heutige Russland gemeint ist. Es berücken eindrucksvolle Bilder: Wenn es laut wird, wenn die neun Schlagzeuger die Melancholie durchbrechen, rollt dies szenisch wie schweres Gerät (auch zum "Demonstrantenräumen" ...) mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf die Rampe zu.

Zum Schluss wird es unendlich traurig. Während Kovaljov die Rückkehr seiner Nase in sein Gesicht ausgiebig begießt, sieht man im Fenster einer Plattenbaufassade, wie sich jemand erhängt. Den letzten Ton liefert das Platzen eines Luftballons, den man in der Mädchenhand gerne für ein Zeichen der Hoffnung gehalten hätte.

Jurowski melancholisch

So aktuell das alles wirkt – zum Problem wird nicht das personifizierte Eigenleben der titelgebenden Nase, sondern die Riechorgane, die jeder als Statussymbol im Gesicht trägt. So wie die Nasenlosigkeit der maskierten Zuseher nervt, so wirkt die "Vielnasigkeit" der Massen auf der Bühne wie eine Verunstaltung, die letztlich mehr vernebelt als aufklärt. Sich und den Figuren ein erkennbares Profil zu verleihen, dazu bedurfte es so eindrucksvoller Darsteller wie Boris Pinkhasovich als Kovaljov, Sergei Leiferkus als Ivan oder Doris Soffel als alter Dame.

Abgesehen von der Leistung, das Riesenensemble koordiniert zu haben, stellt sich Musikchef Wladimir Jurowski in München als Dirigent vor, der dort, wo groteske Übersteigerung zu vermuten wäre, auch mit sehr verhaltener Melancholie Abgründen nachzuspüren vermag. (Joachim Lange aus München, 27.10.2021)