Der frühere ÖVP-Nationalratsabgeordnete Franz-Joseph Huainigg hält die Regelungen im geplanten Gesetz für nicht ausreichend. Warum, erläutert er im Gastkommentar.

Die Regierung regelt die Sterbehilfe neu und will die Hospiz- und Palliativversorgung ausbauen. Die Begutachtungsfrist für den Entwurf endet am 12. November.
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Die Sterbehilfebefürworter feiern den vorgelegten Entwurf des Sterbeverfügungsgesetzes als Etappensieg. Damit ist klar, dass sie durch weitere Klagen auch die Tötung auf Verlangen erreichen wollen. Der "slippery slope", der in den Beneluxländern von der Ausnahme zum Regelfall wurde und vor allem ärmere Bevölkerungsgruppen, aber auch Minderjährige und Demenzerkrankte einschließt, hat jetzt auch in Österreich begonnen. Über diesen "Dammbruch" macht sich bei vielen Menschen mit Behinderungen große Enttäuschung und die Angst vor einem gesellschaftlichen Druck breit.

Soziale Umstände

Jeder Mensch ist auf die Solidarität anderer Menschen sowie der Gesellschaft angewiesen. Viele vergessen das und übersehen, welcher enorme Druck auf jene aufgebaut wird, die umfangreich auf Unterstützung angewiesen sind, wenn man doch das Leben und damit den Hilfebedarf einfacher und gesetzlich gedeckt beenden kann. Anderen nicht mehr zur Last fallen zu wollen wird von Menschen in den Beneluxländern, wo assistierter Suizid bereits erlaubt ist, als Hauptmotiv genannt, das Leben vorzeitig zu beenden.

Der Entscheid des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom 11.12.2020 hat dem Gesetzgeber – inmitten der Pandemie – nur ein Jahr Zeit gegeben, für diese sensible Materie eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Der Entwurf der Regierung spiegelt das ernsthafte Bemühen wider, die Beihilfe zum Suizid kontrolliert für Ausnahmefälle zu regeln. Sehr zu begrüßen ist, dass gleichzeitig der Ausbau von Hospiz- und Palliativmedizin umgesetzt wird, wie ihn ein Allparteienbeschluss im Rahmen einer Enquetekommission 2015 empfohlen hat. Allerdings sieht der Entwurf des Sterbeverfügungsgesetzes nicht ausreichende Regelungen vor, um die geforderte freie und dauerhafte Willensbildung sowie die Selbstbestimmung sicherzustellen. Zudem enthält der Entwurf unbestimmte Gesetzesbestimmungen wie "schwere und dauerhafte Erkrankung". Zählt beispielsweise jemand mit Zuckerkrankheit, der sich täglich mehrmals Insulin spritzen muss, oder jemand mit einer chronischen Nieren- oder Herzerkrankung dazu?

"Ein Rechtsanspruch auf Hospiz- und Palliativversorgung wäre zentral. Überall in Österreich, auch im hintersten Tal." Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser forderte in der ORF-"Pressestunde" am Sonntag Ergänzungen.

Vor zehn Jahren, als ich selbst beatmet worden bin, hörte ich in den Medien von einem Polen namens Janusz, der beatmet ist und für ein Euthanasiegesetz in Polen kämpft. Er wollte nicht mehr leben und forderte, dass sein Beatmungsgerät abgeschaltet wird. Das berührte mich zutiefst. Ich schrieb ihm eine Mail: "Was muss passieren, damit du wieder leben möchtest?" Er antwortete tatsächlich: "Ich liege seit zehn Jahren zu Hause im Bett und werde von meinen Eltern gepflegt. Den ganzen Tag starre ich die Decke an. Ich habe drei Wünsche: ein mobiles Beatmungsgerät und einen Elektrorollstuhl, damit ich aus dem Bett komme, eine persönliche Assistenz, damit ich selbstbestimmt leben kann, und einen Job, damit ich eine Aufgabe habe." Drei Jahre später erfuhr ich, dass sich all seine Wünsche erfüllt haben. Er konnte zu studieren beginnen, als Berater für Menschen in Lebenskrisen arbeiten und verhalf damit anderen zu Lebensperspektiven, die er selbst wieder gefunden hatte.

Dieses Beispiel verdeutlicht einmal mehr, dass der Lebenswille eines Menschen ganz entscheidend auch von seiner sozialen, ökonomischen und familiären Lebenssituation abhängt.

Umfassendere Aufklärung

Der VfGH hat selbst angemerkt, "dass die freie Selbstbestimmung auch durch vielfältige soziale und ökonomische Umstände beeinflusst wird" und dass diese Einflussfaktoren ausgeschlossen werden müssen! VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter sprach in der Verlautbarung des Entscheids von familiären und sozialen Einflüssen, speziell Hilfsbedürftigkeit, dem eingeschränkten Bewegungsspielraum und sogar den ökonomischen Umständen, die zur freien Willensentscheidung berücksichtigt werden müssen.

In der Gesetzesvorlage ist die enorm wichtige medizinische Aufklärung vorgesehen. Diese allein ist aber zu wenig, denn alle anderen Fragen zur Lebensperspektive sind ausgeklammert. Unter diesen Umständen kann es daher zu keiner freien und dauerhaften Willensbildung zur Beendigung des eigenen Lebens kommen. Man darf nicht zulassen, dass der Mensch, bevor er noch keine Ahnung vom selbstbestimmten Leben hat, ins selbstbestimmte Sterben getrieben wird.

Freier, dauerhafte Wille

Es braucht daher auch eine gesetzlich vorgesehene Aufklärung über Verbesserungsmöglichkeiten der Lebensbedingungen: Sind etwa alle Unterstützungsmöglichkeiten durch Hilfsmittel ausgeschöpft, lässt sich an der Wohnsituation etwas verbessern, braucht es soziale Inklusionsmaßnahmen, ist die Betreuung ausreichend? Bevor nicht alle Möglichkeiten der Beihilfe zum Leben abgeklärt sind, kann man, folgt man dem VfGH-Erkenntnis, nicht von einem freien, dauerhaften Willen sowie einer Selbstbestimmung zur Beihilfe zum Suizid ausgehen.

Apropos "dauerhaft": Dass eine dreimonatige Wartefrist zwischen Aufklärung und Sterbeverfügung dafür ausreichend sein soll, wage ich zu bezweifeln. Weil aber Tote nicht klagen können, hat der Gesetzgeber hier eine ganz besondere Verantwortung. (Franz-Joseph Huainigg, 28.10.2021)