Ab nächstem Jahr müssen Unternehmen Meldekanäle für Hinweisgeber einrichten. Ein Gesetzesentwurf liegt immer noch nicht vor.

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Von der NSA über die Pandora Papers bis hin zur aktuellen Facebook-Causa: Zahlreiche Skandale der letzten Jahre wären ohne Whistleblower wohl nicht aufgedeckt worden. Anstatt von ihren Enthüllungen zu profitieren, müssen Hinweisgeber aber oftmals mit beruflichen und rechtlichen Konsequenzen rechnen. Die Europäische Union hat deshalb eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern erarbeitet. Österreich muss die Vorgaben bis 17. Dezember 2021 umsetzen – Gesetzesvorschlag gibt es bisher allerdings keinen.

Die Richtlinie soll EU-einheitliche Schutzstandards schaffen – und zwar sowohl für den öffentlichen als auch für den privaten Bereich. Behörden, Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und Gemeinden ab 10.000 Einwohnern müssen ab 2022 einen internen Meldekanal für Hinweisgeber einrichten. Ab 2023 gilt die Regelung auch für Unternehmen ab 50 Mitarbeitern. Staaten müssen Whistleblower umfassend schützen – etwa vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen wie Kündigung, Herabstufung oder Gehaltskürzung. Wer Verstöße meldet, darf zudem weder zivil- noch strafrechtlich haftbar gemacht werden.

Offene Fragen bei der Umsetzung

Die EU legt zwar einheitliche Standards fest, im Detail haben die nationalen Gesetzgeber aber Spielraum – und das in wesentlichen Punkten, sagt Alexander Petsche, Anwalt bei Baker McKenzie zum STANDARD. Die Richtlinie schützt Whistleblower nur dann, wenn sie Verstöße gegen EU-Recht melden. Aus Sicht von Petsche, der den deutschsprachigen Kommentar zu der Richtlinie verfasst hat, wäre es daher dringend notwendig, den Anwendungsbereich auch auf nationales Recht auszuweiten. "Es wäre ja absurd, wenn der Whistleblower zunächst überlegen müsste, ob er Verstöße gegen EU-Recht oder nationales Recht aufdeckt", sagt Petsche.

Katharina Kitzberger, Anwältin und Mitglied in der Whistleblower-Arbeitsgruppe bei Transparency International, sieht das ähnlich. So sei etwa das Korruptionsstrafrecht nicht von der Richtlinie umfasst. "Ich gehe aber davon aus, dass der Gesetzgeber hier eine vernünftige Lösung finden wird", sagt Kitzberger.

Umgang mit anonymen Meldungen

Staaten können zudem vorsehen, dass Unternehmen anonyme Meldungen nicht aufgreifen müssen. "Das ist natürlich besorgniserregend", sagt Petsche. Die Identität der Whistleblower muss zwar geheim bleiben, viele fühlen sich unter dem Schutz der absoluten Anonymität aber sicherer. Vor allem dann, wenn der Täter der Chef ist – oder man selbst. Wie der Gesetzgeber damit umgehen wird, bleibt abzuwarten. Laut Kitzberger ist aber zu befürchten, dass Unternehmen anonymen Meldungen nicht nachgehen müssen.

"Dass Österreich die Richtlinie noch rechtzeitig vor dem 17. Dezember umsetzt, ist unwahrscheinlich", sagt Kitzberger im Gespräch mit dem STANDARD. "Damit sind wir aber europaweit in guter Gesellschaft." Auch in Deutschland gibt es derzeit noch keinen Entwurf. In Österreich dürfte zumindest noch heuer ein Gesetzestext vorliegen. Solange es keine nationale Regelung gibt, müssen Unternehmen jedenfalls keine Maßnahmen treffen.

Österreich hinkt hinterher

Die Empfehlung, ein internes Whistleblowersystem einzurichten, gibt es natürlich jetzt schon, sagt Petsche. "Österreich hinkt aber ein bisschen hinterher." Hierzulande fürchte man oft "Vernaderung". In der Praxis sei die Angst aber unberechtigt. Unternehmen, die schon jetzt Briefkästen für Hinweisgeber eingerichtet haben, machen grundsätzlich gute Erfahrungen. "Im Schnitt werden nur in fünf Prozent der Fälle wissentlich falsche Meldungen erstattet", sagt Petsche.

Auch im öffentlichen Bereich gibt es schon jetzt Hinweisgebersysteme – etwa bei der Finanzmarktaufsicht (FMA) oder bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Die Stadt Wien betreibt seit 2021 eine eigene Whistleblower-Plattform.

Die EU-Richtlinie wird nun einheitliche Maßstäbe für Meldesysteme schaffen. Viel wichtiger als die technische Umsetzung der Richtlinie sei aber ohnehin die "Compliance-Kultur" in Unternehmen und Behörden, sagt Petsche. Mitarbeiter müssen das Gefühl haben, dass sie Verstöße nicht nur melden können, sondern auch sollen. (Jakob Pflügl, 28.10.2021)