In der Südfassade des 1957 errichteten Georg-Emmerling-Hofs haben zwei Männer ein Loch in die Wand geschlagen.

Foto: Steinbrener/Dempf & Huber

Der Gemeindebau gilt als Symbolbild eines seit einem Jahrhundert sozialdemokratisch regierten Wien. Doch gegenüber dem Schwedenplatz wird genau dieser nun mit einem ziemlich mächtigen Vorschlaghammer zum Einsturz gebracht. Zumindest teilweise. In der Südfassade des 1957 errichteten Georg-Emmerling-Hofs (Architektur: Rudolf Hofbauer, Leo Kammel junior und Elisabeth Hofbauer-Lachner) haben zwei Männer ein Loch in die Wand geschlagen. Der eine hat auf der Deckenplatte Platz genommen und ruht sich gerade aus, der andere denkt nicht einmal ans Aufhören und drischt auf die Ziegelsteine munter weiter ein.

Foto: Steinbrener/Dempf & Huber

"Wir zeigen zwei Gemeindebaubewohner, aber wir lassen offen, wie dieses Bild von den Betrachterinnen und Betrachtern zu lesen ist", sagt Christoph Steinbrener, der das Kunst-am-Bau-Projekt Themroc im sechsten Stock gemeinsam mit seinen Partnern Rainer Dempf und Martin Huber in einer buchstäblichen Nacht-und-Nebel-Aktion Mitte Oktober mit dem Autokran nach oben hievte. Gebaut wurden die neun Styroporelemente, die mit Polyester und glasfaserverstärktem Kunststoff überzogen und anschließend verputzt wurden, von NPH Works in Budapest, dem größten Filmkulissenbauer der Welt. Knapp neun Stunden dauerte die Montage.

Anstreicher dreht durch

"Die Arbeit kann als Kritik an der Mietraumspekulation und an den damit verbundenen explodierenden Wohnkosten verstanden werden. Sie kann als Visualisierung einer zunehmenden Privatisierung und dramatischen Kommerzialisierung des Grundrechts Wohnen aufgefasst werden. Oder aber auch als subversiver Kommentar darauf, dass die Errungenschaften des sozialen Wohnbaus seit einigen Jahren just von jenen attackiert werden, für die er ursprünglich errichtet wurde", so Dempf in Anspielung auf die FPÖ-Hotspots bei der letzten und vorletzten Wien-Wahl. "Es steht jedem frei, sich seine eigenen Gedanken zu machen."

Grundlage für die sechs Meter hohe und 4,50 Meter breite Halbplastik ist der gleichnamige französische Film Themroc (1973), in dem der Protagonist Michel Piccoli einen frustrierten Anstreicher spielt, der seinen monotonen Alltag nicht mehr aushält und durchdreht. Er mauert seine Wohnungstür zu, beginnt mit dem Hammer ein Loch in die Außenwand zu schlagen und schreckt im Zuge seines Lebens- und Gesinnungswandels nicht einmal mehr vor Inzest und Kannibalismus zurück. Eine Zeitlang war der 110-minütige Schocker in Frankreich verboten.

Gesamtbudget 80.000 Euro

Schockieren? Provozieren? Eine Anstiftung zur Rebellion? "Kunst als Selbstzweck interessiert uns nicht", sagt Steinbrener. "Kunst ist ein Ideensponsor für die Gesellschaft." Und es ist der erste Ideensponsor von Steinbrener / Dempf & Huber, der nicht als temporäre Arbeit konzipiert ist wie etwa To be in Limbo in der Jesuitenkirche (2015), Lunch Atop in der Spittelau (2016–2018), Sign of the Times auf der Fassade des Hotels Intercontinental (2016–2018) oder die knallrote Tourist-Info-Box Cliffhanger in den Ötschergräben (zu sehen bis 30. Oktober), sondern den Stadtraum langfristig bereichern und eine jahrelange Diskussion anregen soll. Das Gesamtbudget (80.000 Euro) wird von KÖR Wien getragen.

Im nonverbalen, lediglich gestöhnten und gegrunzten Film folgen immer mehr Menschen dem Lebensstil Piccolis und schlagen zusehends Löcher in ihre Wohnhäuser. Das triebhafte Treiben droht Paris zu zerstören. Ob die Bau- und Immobilienkultur eines Tages auch das soziale Gebäude des gemeinnützigen, geförderten Wohnens zum Einsturz bringen wird, wie dies de facto in Deutschland passiert ist? So weit darf es nicht kommen. Die Kunst hat ihr Zeichen gesetzt. (Wojciech Czaja, 28.10.2021)