Ein Anspruch auf ein leistungsloses Einkommen durch Zinsen ist nicht selbstverständlich, sagt der Ökonom Oliver Picek vom Momentum-Institut im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch die Replik von Agenda-Austria-Ökonomin Heike Lehner: "Sparbuch versus Aktien? Die richtigen Fragen zum Weltspartag".

Hat das Sparbuch ausgedient?
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Es sind Kindheitserinnerungen, die für viele prägend sind. Die Groschen ins Sparschwein gesteckt, am Weltspartag in die Bank gepilgert, wo geschäftige Männer ein dickes Sparbuch aushändigten. Und ein Geschenk dazu. Gute, alte Zeit.

Seit kurzem ist die Botschaft eine andere. Die Europäische Zentralbank enteigne mit Nullzinsen die Sparer. Dadurch werde der Aufbau von Sparvermögen unmöglich. Deswegen sei der richtige Weg das "Aktiensparen". Doch daran ist viel falsch.

Nichts Neues

Wie selbstverständlich fordern manche einen Anspruch auf ein leistungsloses Einkommen durch Zinsen. Doch selbstverständlich ist der nicht – denn reale Nullzinsen sind nichts Neues. Zwar waren die Zinsen am Konto kaum je so gering wie heute. Wichtiger ist aber der Zinssatz minus Inflation. Wer sein Geld am Gehaltskonto behielt, war in 38 der vergangenen 60 Jahren mit negativen Realzinsen konfrontiert. Höhere Zinsen gab es immer nur in Tandem mit mehr Risiko – längere Bindung oder eine riskante Anlage in Anleihen.

Dass Vermögensaufbau hohe Zinsen benötigt, ist überhaupt eine seltsame Vorstellung. In den 1970ern, der wirtschaftlich erfolgreichsten Dekade Österreichs, brachte eine höhere Teuerung die größten Wertverluste am Girokonto. Doch durch sechsprozentige Reallohnsteigerungen erlebten Millionen Österreicher Wohlstand und bauten Privatvermögen auf. Gesellschaftlicher Aufstieg für viele war die Folge, aber nicht für alle. Auch heute spart ein Drittel der Haushalte in Österreich nicht oder kann das aufgrund niedriger Einkommen gar nicht tun.

Alle Aktionäre?

Vermögensaufbau ist ein Thema für die obere Mittelschicht, für jene, die so viel verdienen, dass sie nicht alles davon konsumieren. Da gehört die untere Hälfte der Haushalte nicht dazu. Sie haben maximal 12.725 Euro auf der hohen Kante, meist weit weniger. Sparvermögen ist extrem ungleich verteilt. Ganz im Gegenteil zum reichsten Hundertstel, wo die Haushalte konservativ geschätzt 450.000 Euro Geldvermögen (ohne Immobilien) halten. Zusammen so viel, wie zwei Drittel der Haushalte insgesamt angespart haben.

Was ist also der Ausweg für die Masse? Alle sollen nun Aktionäre werden. Doch damit sind in der Vergangenheit schon viele Leute eingefahren. Wer in die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge der frühen 2000er einstieg, liegt heute zuhauf noch im Minus. Zu jedem Börsenboom kommen neue Finanzprodukte auf den Markt, die vor allem dem Verkäufer einen sicheren Gewinn bringen, das Risiko aber auf den Kunden abwälzen. Der neueste Schrei sind sogenannte ETFs, mit denen man indirekt Anteile am gesamten Aktienmarkt hält. Wenn man Jahrzehnte dabei bleibe, heißt es, habe man durch die weltweite Streuung einen sicheren Gewinn bei keinem Risiko mehr. Doch 60 Prozent des Geldes landen als Klumpenrisiko bei US-amerikanischen Konzernen. Eine Abwertung des Dollars könnte die Erträge einschmelzen lassen. Wer das für unwahrscheinlich hält, möge sich an die "bombensicheren" Schweizer-Franken-Kredite erinnern, mit denen zehntausende Häuslbauer eingefahren sind.

"So zu tun, als sei der Aktienmarkt der heilige Gral der persönlichen Finanzen für alle, ist verfehlt."

Bis heute befeuern die Globalisierung, Steueroasen und Niedrigzinsen tatsächlich den Börsenwert multinationaler Konzerne. Im gleichen Zeitraum haben Notenbanken und Staaten die Finanz- und Aktienmärkte schon dreimal vor dem Zusammenbruch gerettet. Kann das so weitergehen? Ja. Muss es so sein? Nein. Schon bisher glaubten zu viele, dass historische Regelmäßigkeiten immer so weitergehen müssen. Legendär ist der Ausspruch des Chefs der New Yorker Börse, Aktien könnten nur weiter nach oben gehen. Ein paar Tage vor dem großen Börsencrash 1929.

Eine Anlage in breite Aktienfonds kann für manche sinnvoll sein. So zu tun, als sei der Aktienmarkt der heilige Gral der persönlichen Finanzen für alle, ist verfehlt. Er ist für Menschen eine Antwort, die so große Summen an Geld haben, dass sie dieses verlieren und trotzdem gut weiterleben können. Wer – wie viele Österreicher – aus Vorsicht spart und eine größere Summe auf der Seite haben will, bleibt mit dem Sparbuch gut beraten. Auch wer sein Geld für eine Anschaffung benötigt, sei es ein Auto oder die Anzahlung für ein Haus, der muss überhaupt die Finger von Aktien lassen. (Oliver Picek, 29.10.2021)