Im US-Staat Virginia könnte man sich derzeit in einer Zeitschleife wähnen. In den regionalen Werbefenstern der großen TV-Sender plärren dem Publikum teilweise schrille Wahlkampfspots entgegen. Landauf, landab treten die Vertreter von Demokraten und Republikanern auf, um noch unentschlossene Wählerinnen und Wähler von der Stimmabgabe zu überzeugen. Joe Biden hat den Staat schon besucht, Donald Trump sein Kommen angekündigt. Letzterer hat vor Wahlbetrug am Dienstag gewarnt, wenn die Menschen an die Urnen schreiten.

Joe Biden macht Wahlhilfe für Terry McAuliffe in Arlington, Virginia
Foto: Imago / UPI / Jim Lo Scalzo

Kandidaten sind die beiden diesmal aber nicht. Diese heißen Terry McAuliffe und Glenn Youngkin. Ersterer, der Demokrat, ist im Staat kein Unbekannter. Er war schon zwischen 2014 und 2018 Gouverneur des Bundesstaats. Weil in Virginia keine zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten möglich sind, übergab er dann an den aktuellen Gouverneur Ralph Northam, auch er ein Demokrat. Nun will er es wieder wissen.

Glenn Youngkin ist in gewissem Sinne sein Gegenteil. Dass er "kein Unbekannter" sei, wäre vor gut einem Jahr noch als Falschaussage durchgegangen. Damals noch Chef der Vermögensverwaltungsfirma Carlyle Group, trat er erst im September 2020 in die politische Arena. Youngking, der spricht und aussieht wie ein Vertreter des republikanischen Establishments, hat sich dabei zum Trumpismus bekannt und seine Loyalität zum einstigen Präsidenten mehrfach bekundet.

Weil er aber in Virginia auch bisherige Wählerinnen und Wähler der Demokraten ansprechen muss, gibt er sich ansonsten gemäßigt: Trumps Vorwürfe der gestohlenen Präsidentschaftswahl teilt er nach langer Nachdenkphase mittlerweile nicht mehr, beim aktuell öffentlichkeitswirksamen Thema Abtreibung setzt er sich – trotz seiner persönlichen Ablehnung – für eine Fristenlösung nach 20 Wochen ein. Dem Klimawandel will er unter anderem durch den Bau von Schutzmauern begegnen, bei Corona ist er für die Impfung aber gegen Maskenpflicht.

Nicht nur Bundespolitik

Es ist eine Mischung, die offenbar ihr Ziel – Trump-Wähler ebenso wie gemäßigte anzusprechen – nicht völlig verfehlt. Das gilt jedenfalls dann, wenn man den Umfragen diesmal glauben darf. Mehrere Erhebungen haben Youngkin in den vergangenen Tagen gleichauf mit McAuliffe gesehen, einige wenige sogar vor seinem Konkurrenten.

Ein republikanischer Sieg scheint also, wenn schon nicht wahrscheinlich, dann doch in Reichweite. Für die Demokraten ist das ein Warnsignal. Vier von fünf Gouverneurswahlen haben sie seit 2002 in Virginia gewonnen, zudem alle Präsidentschaftswahlen seit 2008. Der Staat gilt eigentlich als verlässlich demokratisch. Ein Verlust würde deutlich machen, dass die gesunkenen Beliebtheitswerte von Präsident Biden auch auf andere Kandidatinnen und Kandidaten durchschlagen.

Kein idealer Kandidat

Freilich: Es geht nicht nur um die landesweite Politik. Die Demokratische Partei in Virginia hat auch mit ihrem Personal zu kämpfen. McAuliffe, Hillary Clintons Vorwahlkampagnenchef 2008, ist kein idealer Kandidat. Auch seine erste Amtszeit gewann er 2014 nur knapp. Jene seines Nachfolgers Northam war von Skandalen nicht frei. Der Gouverneur selbst hatte mit einem Foto aus alten College-Jahrbüchern zu kämpfen, das ihn in schwarzer Blackface-Bemalung zeigte, neben einem Kollegen, der im Scherz die weiße Mütze des Ku-Klux-Klans trug. Sein Stellvertreter Justin Fairfax musste sich zeitgleich Vorwürfen sexueller Übergriffe erwehren. Zurück traten beide nicht. Zudem könnten die Umfragen falsch sein: Auch bei Northams Wahl 2017 sah alles nach einem engen Rennen aus – bis das tatsächliche Resultat ihm neun Prozentpunkte Vorsprung auswies.

Auf einen Vorsprung in zumindest dieser Höhe hofft auch der demokratische Gouverneur New Jerseys, Phil Murphy, der sich in der zweiten großen Wahl am Dienstag der Republikanerin Kim Guadagno stellen muss. Umfragen sehen ihn weit vorn – eine Niederlage wäre daher aber umso katastrophaler. (Manuel Escher, 29.10.2021)