Sie sind im Dauerstress und meist schwerbeladen. Sie queren mit ihren vollgepackten Rodeln Gässchen, hieven Pakete über Treppen oder mühsam in den Lift. Während der Pandemie waren Zusteller besonders gefordert. Online einzukaufen war auch während der Lockdowns möglich und wurde eifrig genutzt. Die Gewinne manchen Online-Händlers explodierten. Die Paketkuriere brachte das gehörig unter Druck.

Es sind harte, kräftezehrende und oft schlechtbezahlte Jobs, die Paketkuriere erledigen, für große Logistikdienstleister oder für Arbeitgeber wie den Online-Riesen Amazon. Der US-Gigant hat auch diesen Teil der Kette im Onlineshopping-System bis in die Spitze perfektioniert. Zimperlich ist man dabei nicht. Oft haben Journalisten in vielen Ländern der Welt Unsitten und Ungeheuerlichkeiten angeprangert, regelmäßig kommt es zu Streiks. Auch in der wissenschaftlichen Literatur sind die Arbeitsbedingungen gut dokumentiert.

Covid hat die Lage wie in anderen Niedriglohnbranchen verschärft. In den USA berichteten Fahrer über unbezahlte Überstunden, ausbleibende Löhne, Einschüchterungsversuche. Der ungeheure Druck zwang Zusteller sogar, in leere Wasserflaschen zu urinieren. Doch wie sieht es diesbezüglich in Österreich aus? Einem Land, das sich zugutehält, über hohe arbeits- und sozialrechtliche Standards zu verfügen?

Auch jene, die die Packerl des US-Riesen während der Pandemie auslieferten, waren besonders gefordert.
Foto: imago/Michael Gstettenbau

Judith Kohlenberger, Wissenschafterin am Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien, hat sich mit einem Team im Auftrag der Arbeiterkammer den Arbeitsbedingungen migrantischer Arbeitskräfte bei Amazon gewidmet. Eine bisher wenig erforschte, weil schwer zugängliche Gruppe an Dienstnehmern, die über Subunternehmen für den Multi Pakete ausliefern. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ ist: Bei der Mehrheit handelt es sich um Menschen mit Migrationshintergrund, Personen mit prekärem Aufenthaltsstatus und meist geringen Sprachkenntnissen – wenn auch keineswegs ohne formale Ausbildung. Zusteller mit abgeschlossenem Studium im Ausland sind keine Seltenheit.

Druck und Stress

Damit die Auslieferung so effizient funktioniert wie ein Uhrwerk – so wie das jeder Kunde schätzt –, müssen auch die einzelnen Glieder der Kette perfekt funktionieren. Das machen auch die qualitativen Interviews mit den 15 Befragten klar. Druck und Stress gehören zum Alltag. Was alle beklagten, waren die Arbeitszeiten: Auch wenn die Pakete besonders rasch zugestellt wurden, Feierabend war um 18 Uhr. Wer früher fertig sei, bekomme eben noch mehr zugeteilt. Gearbeitet werde neun bis zehn Stunden täglich – in Hochzeiten auch mehr.

Mit durchschnittlich 1.600 Euro brutto für sechs Tage Schwerarbeit gehen sie nach Hause. An einem Tag stellen sie zwischen 130 und 150 Pakete zu, haben sie Probleme, bleiben sie darauf sitzen. "Amazon hat sich so der Mitarbeiter entledigt und gibt dennoch weiterhin den Ton an", sagt einer der Befragten.

Ein Logistikzentrum in Leipzig. Hierzulande werden die Packerl in drei Verteilzentren in Wien und Niederösterreich an die selbstständigen Paketkuriere übergeben.
Foto: Imago/Robert Michael

Die Zusteller sind in dem Spiel wohl das schwächste Glied. Amazon bezahlt hierzulande seine Mitarbeiter in den Verteilzentren in Großebersdorf in Niederösterreich, in Wien-Liesing und Wien-Simmering nach Logistik-KV. Das Problem beginnt danach. Eigene Fahrer beschäftigt der US-Riese nicht. Rund 800 selbstständige Zusteller dürften für die Verteilzentren in Wien Pakete ausliefern.

Reine Weste

Läuft etwas schief, ist die Weste von Amazon rein. Bei der Razzia im Vorjahr in Großebersdorf wurden 727 Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz bei Subunternehmern festgestellt – 130 von 133 wurden zu einer Strafe von 770.000 Euro verdonnert. Amazon selbst war von den Ermittlungen und Anschuldigungen nicht betroffen. Der Verantwortung für den Schutz der Arbeitsrechte und der Gesundheit hat man sich entledigt.

Dabei gäbe es einiges zu tun, wie die Studie zeigt. Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Überstundenbezahlung? Fehlanzeige, zumindest meistens, auch nach entsprechender Zusage. Ein Fahrer erzählt, dass ihm mit Kündigung gedroht worden sei, als er sich erkundigt habe, warum die Überstunden nicht bezahlt würden. In der Regel sei das Gehalt fix, die Arbeitszeiten seien dies nicht, gaben die Befragten an. Wie viel pro Stunde bezahlt werde und wie das Ganze berechnet wird, bleibt im Dunkeln. In der Wissenschaft wird dies als "Lohndiebstahl" bezeichnet – ein weltweites Phänomen in Subunternehmen.

Amazon erklärt zu alldem, dass die Studie aufgrund des Umstandes, dass sie auf "nur 15 Interviews von handverlesenen Personen, die für ihre Teilnahme bezahlt wurden" basiere, nicht die Erfahrungen der hunderten von Mitarbeitern kleiner und mittlerer Zustellunternehmen in Österreich widerspiegeln könne. "Wir erwarten ein erstklassiges Arbeitserlebnis, führen eigene Nachforschungen durch und ergreifen Maßnahmen, falls ein Lieferpartner die Erwartungen nicht erfüllt" lässt ein Sprecher wissen und verweist darauf, dass diese sich an die geltenden Gesetze und den Verhaltenskodex für Lieferpartner zu halten hätten. Der lege einen Schwerpunkt "auf faire Löhne, Sozialleistungen, angemessene Arbeitszeiten und Vergütung". (Regina Bruckner, 29.10.2021)

Anmerkung: Dieser Artikel wurde um die Stellungnahme von Amazon ergänzt