Das Unternehmen Oceanix will ganze Städte auf dem Wasser errichten, die sich weitgehend selbst versorgen sollen.

Foto: OCEANIX/BIG-Bjarke Ingels Group

Langsam, aber stetig steigt der Meeresspiegel an: um rund vier Millimeter im Jahr. Je nachdem, wie gut wir den Klimawandel in den Griff bekommen, könnten die Meere bis 2100 um einen halben Meter – wenn es gut läuft – oder um mehr als einen Meter – wenn es schlecht läuft – ansteigen, so die Prognosen des Weltklimarates. Bis zu eine Milliarde Menschen, die nahe am Wasser leben, könnten dann ihre Heimat verlieren. Zudem drohen ganze Inseln im Meer zu versinken, andernorts steigen die Risiken durch Erosion und eine Versalzung des Grundwassers, warnen Klimaexperten.

Anstatt einfach wegzuziehen oder immer höhere Dämme zu bauen, glauben einige Entwickler und Visionärinnen, für die Menschen vor Ort eine andere Lösung gefunden zu haben: schwimmende Städte. Diese sollen nicht nur neuen Raum zum Leben am Wasser schaffen, sondern auch nachhaltiger sein als herkömmliche Städte auf dem Land, resistenter gegenüber Naturkatastrophen und sich so gut wie möglich selbst mit Wasser, Energie und Nahrungsmitteln versorgen.

Schwimmende Wohnblöcke

Was sich zunächst wie ein Motiv aus einem Science-Fiction-Buch anhört, nimmt zumindest bereits in der Planung und Visualisierung konkrete Formen an. So arbeitet beispielsweise das US-amerikanische Unternehmen Oceanix gemeinsam mit den Vereinten Nationen, dem Architekturbüro Bjarke Ingels Group und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) seit einigen Jahren daran, großflächige Wohnsiedlungen auf dem Wasser zu entwickeln. Diese sollen aus beweglichen Modulen bestehen und insgesamt zehntausend Menschen beherbergen können.

Zunächst einmal wären solche schwimmenden Wohnblöcke, die jeweils zwei Hektar groß sind und Platz für 300 Bewohner bieten, laut dem Unternehmen als Erweiterung für bestehende Megastädte an der Küste, die bereits vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind, beispielsweise Jakarta, Hongkong oder Schanghai, gedacht. Im späteren Verlauf sollen sich die Blöcke dann zu immer größeren Komplexen zusammenschließen lassen, auf denen theoretisch mehrere Millionen Menschen leben könnten.

Mit Kreislaufwirtschaft

In so einer schwimmenden Stadt sollen Bewohner wohnen, arbeiten, einkaufen und Gemüse anbauen. Die Energie soll von Photovoltaikanlagen auf den Dächern und Windrädern kommen, Lebensmittel von eigenen Gärten und Gewächshäusern und das Trinkwasser von Regenwasseraufbereitungs- und Entsalzungsanlagen. Laut Oceanix soll die schwimmende Stadt ein Kreislaufwirtschaftssystem besitzen und autark sein, weshalb sich die Bewohner aus Platzgründen vor allem vegetarisch oder von Meeresfrüchten ernähren müssten.

Könnte ein Leben auf dem Wasser eines Tages so aussehen?
Foto: OCEANIX/BIG-Bjarke Ingels Group

Die Blöcke sollen bereits auf dem Land vorgefertigt und dann zu dem jeweiligen Platz am Wasser transportiert werden und aus salzwasserresistentem Beton bestehen. Die Gebäude auf der schwimmenden Stadt wären laut dem Unternehmen aus Bambus oder Holz gebaut. Zwar gibt es im Moment noch keinen konkreten Ort, an dem diese schwimmende Stadt gebaut wird, laut Oceanix sei man aber bereits mit einigen Regierungen bezüglich eines Prototyps im Gespräch.

Schwimmende Städte sollen sich laut dem Unternehmen Oceanix weitgehend selbst mit Nahrungsmitteln versorgen.
Foto: OCEANIX/BIG-Bjarke Ingels Group

Keine ganz neue Idee

Die Entwickler von Oceanix sind längst nicht die Einzigen, die über eine Besiedelung des Ozeans nachdenken. Unter Wissenschaftern und Architekten wird das Konzept seit vielen Jahren diskutiert, manche indigenen Bewohner, zum Beispiel die Urus, leben schon seit tausenden Jahren auf "schwimmenden Inseln" aus getrocknetem Schilf am Titicaca-See in Peru. Auch in den Niederlanden gibt es bereits tausende Häuser, die auf dem Wasser schwimmen, und sogar einen schwimmenden Kuhstall.

Was die neueren Konzepte von ihren Vorgängern unterscheidet, ist ihre hohe Skalierbarkeit und das integrierte Gesamtkonzept dahinter, sagen ihre Entwickler. Tatsächlich stellt sich bei der Betrachtung einiger schwimmender Städte-Konzepte schnell heraus, dass es einigen Entwicklern um weit mehr geht als nur um ein paar schwimmende Häuser.

Politische Unabhängigkeit

Das US-amerikanische Unternehmen Seasteading Institute etwa, das unter anderem von dem Aktivisten und politischen Theoretiker Patri Friedman gegründet wurde, arbeitet an der Verwirklichung von schwimmenden Städten, die politisch von anderen Staaten unabhängig sein sollen. Diese Städte sollen mit ihren jeweils unterschiedlichen Ideen und politischen Ansätzen um Einwohner konkurrieren – quasi in einem freien Markt an Ideen und Ideologien. Wer als Bewohner mit dem Regierungssystem auf seiner Insel unzufrieden ist, soll mit seinem schwimmenden Haus einfach den "Anbieter" wechseln können. Dadurch sollen sich mit der Zeit die beliebtesten und besten politischen Ideen herausbilden und zu einem zentralen Bestandteil immer größerer Inselstaaten werden. "Wir geben Menschen die Freiheit zu entscheiden, welche Art von Regierung sie wollen", heißt es dazu von dem Unternehmen.

So oder ähnlich sollen die schwimmenden Siedlungen von Seasteading aussehen.
Foto: The Seasteading Institute and Gabriel Scheare, Luke & Lourdes Crowley, and Patrick White (Roark 3D)

Zu einer konkreten Verwirklichung des Projekts ist es bisher allerdings noch nicht gekommen. Nach dutzenden Machbarkeitsstudien und politischen Gesprächen unterzeichnete das Unternehmen Anfang 2017 zwar eine Vereinbarung mit Französisch-Polynesien, einer Inselgruppe im Südpazifik, wonach die ersten Seasteading-Städte rund um die Inseln gebaut werden sollten.

Doch letzten Endes scheiterte das Projekt wohl an den unterschiedlichen Interessen: Während das Unternehmen einen autonomen Staat ohne Steuern und Politiker visionierte, ging es der Regierung und größeren Teilen der lokalen Bevölkerung vor allem darum, der lokalen Umweltzerstörung und dem ansteigenden Meeresspiegel etwas entgegenzusetzen. Hunderte Bewohner hatten zuletzt gegen die Pläne von Seasteading protestiert, viele betrachteten die Aktivitäten des Unternehmens als Tech-Kolonialismus aus dem Silicon Valley.

So hätten die schwimmenden Inseln in Französisch-Polynesien in etwa gebaut werden sollen.
Foto: The Seasteading Institute and Bart Roeffen

Wunsch nach Autonomie

Der Wunsch nach autonomen schwimmenden Städten lebt trotzdem weiter – und scheint besonders seit der Pandemie innerhalb einiger Gruppen an Fahrt aufgenommen zu haben. Denn seit der Pandemie scheint die Ablehnung gegenüber Regierungen und staatlichen Eingriffen in gesellschaftliches Leben in einigen Teilen der Bevölkerung gewachsen zu sein, während an vielen Orten nach neuen Ideen für gesellschaftliches Zusammenleben und Wirtschaften gesucht wird.

So stellt sich beispielsweise das Unternehmen Ocean Builders vor, dass viele von uns bald in motorradhelmartigen, futuristischen Kapseln über dem Wasser leben könnten. Die sogenannten Seapods sollen vor der Küste Panamas errichtet werden, weniger als ein durchschnittliches europäisches Haus kosten und zunächst als Ferienhaus für Urlauber beworben werden. Mit der Zeit sollen dann immer mehr dieser Seapods entstehen, sich eine eigene Wirtschaft und Gemeinschaft rundherum bilden und die Seapods zu einer größeren Wasserstadt heranwachsen.

Möglichst modern die Seapods am Ende ausgestattet sein.
Foto: Grant Romundt/Ocean Builders

Auch Kritik

Allerdings regt sich an den Visionen zu schwimmenden Städten immer wieder auch Kritik: einerseits von Bewohnern selbst, die wie in Französisch-Polynesien einen stark westlich geprägten Ansatz einiger Superreicher sehen. Andererseits aber auch von Wissenschaftern und Meeresbiologen, die befürchten, dass durch die neuen Behausungen auf dem Wasser Ökosysteme und Tierarten gefährdet werden. Zudem bestehe in einigen Fällen weiterhin die Gefahr durch Tsunamis.

Trotz der Schwierigkeit, viele der Projekte tatsächlich in die Tat umzusetzen, scheinen zumindest einige Ansätze bereits konkretere Formen anzunehmen. So soll beispielsweise ab 2022 auf den Malediven, die mit nur einem Meter Seehöhe stark dem steigenden Meeresspiegel ausgesetzt sind, die Floating City (übersetzt: schwimmende Stadt) auf mehr als 200 Hektar entstehen. Die Häuser sollen eine Wohnfläche von zumindest 100 Quadratmetern bieten und 250.000 US-Dollar aufwärts kosten. Zudem soll ein Ring aus Sandinseln die Stadt vor höheren Wellen schützen.

Die Floating City könnte schon in den nächsten Jahren rund um die Malediven entstehen.
Foto: Maldives Floating City

In spätestens fünf bis zehn Jahren werde es vermehrt schwimmende Städte und Gemeinschaften geben, glauben Unternehmen wie Seasteaders – weit früher, als wir Besiedelungen im Weltall haben werden. Für Ocean Builders, die die Seapods planen, ist die Besiedelung der Ozeane hingegen nur der erste Schritt hin zu einer Bewohnung anderer Planeten. Fakt ist aber wohl: Um eine Lösung im Umgang mit den Folgen des Klimawandels für mehr als nur reichere Bevölkerungsgruppen sein zu können, müssen die schwimmenden Städte noch einen weiten Weg zurücklegen. (Jakob Pallinger, 3.11.2021)