Die Fahrt nach Wien mit Zug oder Bus dauert aus dem Umland meist länger, bringt aber auch Vorteile mit sich.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Als die sogenannte ökosoziale Steuerreform im Oktober bekanntgegeben wurde, sorgte der Klimabonus für besonderes Aufsehen. Er besagt, dass alle erwachsenen Einwohner Österreichs aus den Einnahmen einer neuen CO2-Steuer mindestens 100 Euro im Jahr erhalten. So weit, so erfreulich. Die Debatte drehte sich allerdings um 33, 67 oder 100 Euro hohe Aufschläge auf den Bonus, die von der Wohngemeinde abhängen.

Den Gedanken hinter diesem Regionalausgleich formulierte die Regierung so: "Nicht jeder kann sofort auf klimafreundliches Verhalten umsteigen, auch wenn er oder sie das gerne würde. Die U-Bahn bleibt nicht in Litschau oder Sinabelkirchen stehen, viele sind weiterhin auf ein Auto angewiesen. Je weiter die Alltagswege sind und je weniger öffentlicher Verkehr in der jeweiligen Gemeinde angeboten wird, umso höher der Ausgleich. In Gemeinden mit wenig öffentlichem Verkehrsangebot ist der Weg zur Schule oder zum Arbeitsplatz meist länger, dann ist der Ausgleich am höchsten."

Stadtrand ist nicht gleich Stadtrand

Als die Karte mit den Gemeindeeinstufungen veröffentlicht wurde, kamen jedoch Fragen auf. Nicht unbedingt, warum Wien als einzige Gemeinde der Klasse I gar keinen Regionalaufschlag erhält. Denn der Wiener ÖPNV genießt weit über Österreichs Grenzen hinaus einen guten Ruf.

Eher, warum manche Ortschaften wie Aderklaa, die am Wiener Stadtrand liegen und mit Bussen als gut erreichbar gelten, alpinen Bergdörfern gleich in Klasse IV mit dem Maximalbonus von insgesamt 200 Euro eingestuft wurden. Einwohner vergleichbarer Gemeinden in unmittelbarer Nähe müssen sich schließlich mit 133 Euro begnügen.

Simulierte Pendlerrouten

Um zu ermitteln, wie kongruent politische Entscheidung und reale Gegebenheiten sind, haben wir die Erreichbarkeit von 225 Gemeinden im Wiener Speckgürtel mit Öffis und Automobil verglichen. Mehr als 240.000 automatisierte Abfragen gaben die Fahrtdauer für Pendlerrouten zwischen den Umlandgemeinden und 250 verschiedenen Punkten in der Stadt zurück.

Die Simulationen bilden Echtzeitbedingungen zur morgendlichen Stoßzeit eines Werktags ab; sowohl die Intervalle des öffentlichen Verkehrs als auch die Nadelöhre, durch die sich jeden Morgen Pkw-Schlangen stauen, sind berücksichtigt. (Details zur Methodik finden Sie in der Infobox am Ende des Artikels.)

Ein Pro- und zwei Contra-Argumente

In der folgenden interaktiven Karte sind die Umlandgemeinden je nach Erreichbarkeit unterschiedlich eingefärbt. Je grüner, desto besser performen Bus und Zug in Relation zum Auto, je roter, desto schlechter. Über die Drop-down-Menüs ganz oben lassen sich für beide Modalitäten neben der reinen Fahrtdauer Extrazeiten addieren, die im Alltag für den Weg zur Haltestelle, die Parkplatzsuche etc. anfallen.

Schon auf den ersten Blick gleicht die Karte einem Fleckerlteppich. Oft sind weiter von Wien entfernte Gemeinden durch direktere Bus- und Zugrouten schneller öffentlich erreichbar als unmittelbare Stadtrandlagen. Nur nordöstlich von Wien ergeben sich dank der Nordbahn konsistent gute Werte. Mit der Klimabonus-Karte korreliert die tatsächliche Situation jedenfalls kaum.

Von der reinen Fahrtdauer her können die Öffis nur in Ausnahmefällen mit dem Auto mithalten. Zwei andere Argumente sprechen aber gegen den Pkw. Einerseits der vielfach höhere Ausstoß an CO2-Äquivalenten, der in der Karte ebenfalls dargestellt wird, wenn Sie auf eine Gemeinde klicken oder tippen. In den meisten Fällen reduziert er sich auf fünf bis zehn Prozent des Autos.

Das zweite Argument für den öffentlichen Verkehr ist monetärer Natur. Denn das zeitnah zum Klimabonus bekanntgegebene Klimaticket relativiert die Kosten, die für den Betrieb eines Privatwagens anfallen. Mit der Jahreskarte zum regulären Preis von 1.095 Euro können die meisten öffentlichen Fahrten in Österreich bestritten werden. Die Abschreibung der Anschaffungskosten, Kraftstoff, Verschleißteile, Versicherung und Steuern für einen Pkw lassen sich über diesen Preis so gut wie nicht bewerkstelligen.

Haltestellenentfernung

Da es nicht machbar war, Pendlerrouten wie oben für ganz Österreich zu simulieren, haben wir für alle, die nicht im Wiener Speckgürtel leben, eine angenäherte Öffi-Hilfestellung entworfen. Die Karte zeigt die ungefähre Distanz in Gehminuten beliebiger Orte zu den allermeisten Haltestellen im Land. Über den Schieberegler lässt sich die Fläche des Dauersiedlungsraums einfärben, von der aus eine Station des öffentlichen Verkehrs innerhalb zweier Stunden erreichbar ist.

Die Daten entstammen dem Crowdsourcing-Projekt OpenStreetMap, enthalten also nicht alle nachweislich angefahrenen Haltestellen der privaten und öffentlichen Verkehrsbetriebe, sondern jene, die von Usern eingetragen wurde. In Einzelfällen kann es also vorkommen, dass bestehende Stationen fehlen. (Sebastian Kienzl, Robin Kohrs, Moritz Leidinger, Michael Matzenberger, 7.11.2021)