Reinschauen in die Blackbox eines Terrorattentäters: "Herostrat" im Werk X Petersplatz.

Foto: Alexander Gotter

Wien – Ein Mann kauft sich eine Pistole und fühlt sich fortan viel besser. Das harte Ding in seiner Hosentasche ist ihm der greifbare Beweis, dass er all den anderen auf der Straße überlegen ist. Er könnte schließlich jederzeit in die Menge ballern. Doch so weit ist es noch nicht. In Jean-Paul Sartres Erzählung Herostrat (1939) lebt Paul Hilbert in seiner hoch oben im sechsten Stock in der Rue Delambre gelegenen Wohnung Monate lang auf sein Attentat hin. Kai Krösche hat diesen seit den Anschlägen auf das Bataclan 2015 wieder ins Bewusstsein gerückten Text in Kooperation mit dem Werk X Petersplatz in Wien inszeniert: ein kompakter, in seinem bildnerischen Zugriff überzeugender Abend.

Wie sieht so ein Wahnsinniger aus? Wie bewegt er sich? Hat er eine nette Wohnung? Krösche hält diese Fragen weit genug offen, um nicht in Klischeebilder zu kippen. Zunächst einmal wird Paul von einer Frau gespielt (Victoria Halper). Sie trägt dabei einen weißen Schutzanzug und bleibt so weitgehend geschlechtslos markiert. Weiß getüncht ist auch die übrige Welt dieses isoliert lebenden Menschen, der in einer Mischung aus Überheblichkeit und Angst jedes Sozialleben vermeidet. Kontakt hat er nur mit seinen Bürokollegen und Prostituierten aus der Rue d‘Odessa.

"Schwarze Helden"

Dementsprechend sitzen weiß umhüllte Schaufensterpuppen an einem Tisch auf der Bühne, die vom Publikum durch eine transparente Leinwand getrennt ist: Das Amokuniversum ist eine einzige Projektionsfläche (Bühne: Matthias Krische), auf der sich der 33-Jährige seine eigene Realität zurechtmalt. Er schminkt das Gesicht der Prostituierten (weiße Puppe) und träumt von "schwarzen Helden", die so wie er nichts auf den Humanismus geben. Am liebsten blickt er auf die Menschen von oben herab und betrachtet sie wie Ameisen. Vogelperspektivenvideos illustrieren diese Fantasie.

Livekamerabilder, kräftige Lichtdeutung, projizierte Zitate aus Amok-Manifesten und ein wiederkehrender Soundscore machen aus der Bühne eine Art gläserner Blackbox, in der man zwar sieht, was geschieht, aber nicht sicher sein kann, was tatsächlich passiert. Eine spannendes Changieren, in dem Veronica Halper mit ihrer starken Stimme und entschiedenen Handgriffen stets die Zügel in der Hand behält.

Wir wissen also nicht, ob die Wohnung nett ist und wie sich Paul Hilbert bewegt. Aber wir sehen den nackten, zerstörerischen Mechanismus eines Menschen, den man womöglich als gescheitert bewerten kann, auch wenn die konkreten Kausalitäten für die Terrorsehnsucht unergründlich bleiben (müssen). Den Namen Herostratos trug übrigens jener Mann, der im 4. Jahrhundert vor Christus den Artemis-Tempel, eines der sieben Weltwunder der Antike, in Brand steckte. Angeblich aus reiner Geltungssucht. (Margarete Affenzeller, 29.10.2021)