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Frankreich setzt auf Kernkraft.

Foto: Reuters

In Österreich ist Kernkraft verpönt. Aber Frankreich und ein Dutzend weitere EU-Staaten wollen im Kampf gegen den Klimawandel auch auf Atomenergie setzen. Die Vorteile sind evident: Bei Kernkraft fallen kaum Treibhausgasemissionen an. Allerdings kam es in der Vergangenheit nicht erst einmal zu schweren Reaktorunfällen, ganze Landstriche wurden auf lange Zeit unbewohnbar. Atommüll strahlt unter der Erde Jahrtausende vor sich hin. Trotzdem sterben deutlich mehr Menschen an den Folgen von Erderwärmung oder Luftverschmutzung durch andere Energieformen. Die Debatte ist komplex. Was spricht für Atomenergie? Und was dagegen?

DER STANDARD

Für: Eines der besten Argumente für die Atomkraft ist absurderweise ausgerechnet der viele radioaktive Müll, den sie über die vergangenen Jahre angehäuft hat. Der Atomkraft lag nämlich eine Art Geburtsfehler inne. Man entwickelte sie, ohne sich um den Abfall zu kümmern, den sie produzieren würde.

Weil sämtliche Alternativen zum ewigen Einbuddeln, wie ins All oder in die Sonne schießen, genauso gefährlich sind, wie sie klingen, erhält eine Idee immer mehr Zuspruch: Wir brauchen Atomkraft, um den Müll wieder loszuwerden.

In neuartigen AKWs mit Kugelhaufen-, Laufwellen- oder Flüssigsalzreaktoren soll radioaktiver Müll erneut als Brennstoff fungieren und so deutlich unschädlicher gemacht werden. Die Halbwertszeit radioaktiver Isotope könne sich so von Millionen auf wenige Hundert Jahre reduzieren, wofür praktikable Lösungen gefunden werden könnten.

Sobald es mit Erneuerbaren möglich und rentabel ist, alle Welt zu versorgen, müsste der Teufelskreis ein Ende nehmen, aber ist es jetzt schon an der Zeit? Alternative Entsorgungsstrategien wie die Idee des französischen Physiknobelpreisträgers Gérard Marou, Atomkerne mit superstarken Laserpulsen zu beschießen, Protonen herauszuschlagen und instabile zu stabilen Isotopen zu machen, scheinen vielversprechend, aber schwer umsetzbar.

Kohle statt Atom?

Nicht zu vergessen ist auch der Preis, den Staaten für frühere, teils überhastete Atomausstiege zahlen. Weil dadurch ein späterer Kohleausstieg notwendig wurde, habe das deutsche Atom-Aus durch "höhere Konzentration von Schwefeldioxid, Stickstoffoxid und Feinstaub zu mehr als 1100 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr geführt", rechneten US-Forscher unlängst vor.

Die äußerst geringe Anzahl an Toten pro Terawattstunde Atomstrom wird von Gegnern zwar immer wieder bezweifelt. Glaubt man den besten Nuklearforschern der Welt, wird die Technologie aber immer sicherer.

Die Entscheidung für Atomstrom ist letzten Endes eine gegen Treibhausgase. Hätte die Menschheit bei der Reduktion ihrer Emissionen nicht so herumgeeiert, müsste man die veritablen Risiken, die Atomenergie in sich birgt, vermutlich gar nicht eingehen. So aber schon.

Wider: Atommeiler statt Kohlekraftwerk? Das ist schon allein aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Schnapsidee. Während Photovoltaik und andere erneuerbare Energiequellen nicht nur klimafreundlich, sondern auch wirtschaftlich rentabel sind, verbrennen Kernkraftwerke zwar keine Kohle, dafür aber viel Geld. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat 2019 errechnet, dass ein AKW selbst im günstigsten Fall – also bei hohen Strompreisen und geringen Kapitalkosten – meist ein Verlustgeschäft ist.

In der Praxis kommt es zusätzlich auch häufig zu Bauverzögerungen – und explodierenden Baukosten. Das Kraftwerk Olkiluoto-3 in Finnland etwa verteuerte sich von geschätzten drei Milliarden auf über elf Milliarden Euro. Am Markt würden sich AKWs nie durchsetzen, sagt Reinhold Christian, Geschäftsführer des Forums Wissenschaft und Umwelt. Wer auf Kernkraft setze, setze auf massive staatliche Subventionen. Das Geld ließe sich besser für Energieeffizienz und Erneuerbare einsetzen, betont der Experte.

Kernkraft ist schon ohne Rücksicht auf externe Kosten nicht wirtschaftlich. Würden diese berücksichtigt, würde sich Atomenergie noch weniger rechnen. Externe Kosten werden nicht von AKW-Betreibern getragen. Beispiel: die Lagerung von Atommüll. Bei der Kernspaltung entsteht hochradioaktiver Abfall, der zum Beispiel Plutonium enthält. Das nicht in der Natur vorkommende Element hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren. Atommüll muss über Jahrtausende sicher unter der Erde verwahrt werden.

Noch dazu sind Kernkraftwerke nicht versicherbar. Kommt es zum Reaktorunfall – wie 1986 in Tschernobyl oder 2011 in Fukushima –, zahlen Steuerzahler fürs Aufräumen.

Umweltschäden

Das Hauptargument sind aber die Gefahren durch AKWs, sagt Christian. AKWs sind potenzielle Anschlagsziele. Reaktorunfälle können passieren. Zwischenlager strahlen. Endlager ist erst eines in Sicht. "Für einen fragwürdigen Nutzen für kurze Zeit belasten wir die kommenden Generationen über Jahrtausende", sagt Christian. Semiotiker befassen sich damit, wie man Menschen in zigtausend Jahren beibringt, verstrahlte Gegenden zu meiden. Das muss nicht sein. (Fabian Sommavilla, Aloysius Widmann, 30.10.2021)