Bild nicht mehr verfügbar.

Die Gespenster der Vergangenheit leben mitten unter uns: Die Faszination für irrationalen Schrecken und das Zwischenreich zwischen Leben und Tod bleibt auch heute noch ungebrochen.

Foto: Getty Images/iStockphotos

Sehen wir einmal vom auch heuer wieder strikt nach Plan ablaufenden Halloween-Spektakel ab. Dieses bricht gerade über das Land mit einem kleinen bisschen Horrorshow, Leintuchgeistern, Theaterblut und Gummimasken vom Diskonter herein.

Tatsache ist, der Tod mag zusätzlich zum Verkaufsschlager Halloween in Zeiten der Pandemie zwar allgegenwärtig sein. Immerhin geht über die Welt tagtäglich eine wahre Sündenflut an Fallzahlen und Sterberaten nieder. Man trifft auch kaum noch Leute, die jüngst nicht Tote zu beklagen hatten.

So ist der Tod zwar allgegenwärtig. Man halte sich nur den kulturindustriellen Boom von Pandemiefilmen, Halloween-Specials und Serien mit Untoten vor Augen. In Wahrheit aber findet eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Sterben und damit, dass der Tod möglicherweise nicht das Ende ist, auf nur sehr oberflächliche Art und Weise statt.

Horrorschminke

Das Totengedenken zu Allerheiligen wurde schon vor gut 20 Jahren vom Re-Import der heidnischen, ursprünglich keltisch-irischen Geistersause Halloween aus den USA abgelöst. Höllenketchup und Kürbisse, die man heute nicht mehr essen, sondern aushöhlen und mit Fratzen verzieren muss, haben in den Supermarktregalen längst die guten alten Grabkerzen verdrängt.

Die Kerzen kommen heute in die Kürbisse. Die lieben Kleinen wurden mittels Horrorschminke zu Zuckerln schleckenden Monstern und der dazugehörigen Beschaffungskriminalität mittels Bedrohung der Nachbarn hochgerüstet. Trick or treat. Gib mir Süßes, sonst gibt’s Saures! In Wahrheit aber ist der Tod als Teil des realen Lebens längst in die Alters- und Pflegeheime am Stadtrand verdrängt worden, während er im Zentrum zum kindischen Spektakel trivialisiert wird. Wo wird heute noch daheim im Kreis der Familie gestorben? Eher selten. Die Faszination für die "Zwischenwelt" allerdings bleibt ungebrochen. Real auftretende Monster lernt man ohnehin genug kennen.

Schauerroman

Schon immer aber weiß man in der Kulturgeschichte über sie nicht nur via Horrorfilme und TV-Serien Bescheid, sondern über ihre immerwährende Konjunktur in der bildenden Kunst, in Märchen oder Schauerromanen. Es ist zu allen Zeiten der Spuk, der am langlebigsten in der Welt herumgeistert.

Die Toten scheinen nicht ganz tot zu sein. Sie geistern als Nachtschatten durch verwunschene Häuser, durch Ruinen, Wälder oder über Friedhöfe. Eine Altlast aus der Vergangenheit, unheimlich im wahrsten Sinne. Sie deutet darauf hin, dass etwas nicht gehen will, weil es mit den Lebenden noch eine Rechnung zu begleichen hat.

Erinnerungen an die Kindheit und an Urängste werden wach. Nachts allein im Haus. Die Fenster schlagen, draußen huschen Schatten. Der Holzboden knarrt, der Kühlschrank macht seltsame Geräusche, auf dem Dachboden hört man es rumpeln. Kein Wunder, dass der Mensch schon früh begann, sich dieser Faszination des Schreckens sehr gern auch freiwillig auszusetzen. Ach, wenn mich nur gruseln könnt!

Wiedergänger

Dieses "Schwellenphänomen zwischen Dies- und Jenseits, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit" beschäftigte dieses Wochenende etwa auch die Wiener Schule für Dichtung beim "Gespenster-Festival" Heimsuchungen in Theorie und Praxis. Der Verweis darauf, dass Gespenster oder das Geisterhafte nicht auf klassische Gruselgeschichten beschränkt bleiben, sondern tief in uns verwurzelt sind und sich nicht auf vormoderne Gesellschaften beschränken, die mit ihren Toten in mehr oder weniger friedlicher Eintracht lebten, ist dabei zentral.

Was wäre die Psychoanalyse ohne Gespenster und Trugbilder? Was wäre, wenn Karl Marx als Sinnbild nicht sein Gespenst des Kommunismus hätte umgehen lassen, das die alten, darüber entsetzten Mächte des Kapitalismus zu einer Hetzjagd veranlasste?

Das tatsächlich in jede Ritze menschlicher Vorstellungskraft dringende Thema zieht sich herauf bis in die heutige Popkultur. Schon vor Jahren stellte der britische Kulturwissenschafter Mark Fisher seine Theorie der "Hauntology" vor. In der wurde wieder einmal das Ende der Zukunft ausgerufen. Es werden nur noch Untote aus der Vergangenheit mit Revivals wie jenem der 1980er- und aktuell der 1990er-Jahre wiederbelebt. So gehen gerade im Pop die Wiedergänger um. Sie wollen sich nicht zur Ruhe begeben.

Die Gespenster leben unter uns, aber sie sind immer auch abwesend. Ob sich in diesem Zusammenhang zur Schuld irgendwann die Sühne gesellen wird, diese Frage bleibt spannend. Trick or treat. (Christian Schachinger, 31.10.2021)