Kurz vor dem Jahrestag des islamistischen Terroranschlags in der Wiener Innenstadt präsentierte die Stadt Wien am Freitag die im Mai 2021 in Auftrag gegebene Studie zur Extremismus- und Terrorismusprävention. Studienautor Nicolas Stockhammer, Terrorismusforscher an der Donau-Uni-Krems, offenbarte schon im Titel sein durchaus positives Resümee: "Prävention findet Stadt" lautet die Überschrift des rund 60 Seiten starken Berichts.

Extremismusprävention sei die "Mutter aller Taktiken und Strategien, um politisch motivierte Gewalt zu verhindern", so Stockhammer. Es gelte, Netzwerke mit Netzwerken zu bekämpfen – und dieses arbeite in Wien sowohl effizient als auch in enger Abstimmung mit allen relevanten Stakeholdern, so das Urteil des Experten. Der organisationsübergreifende Austausch, "von den Kindergärten bis zum Verfassungsschutz", sei in Europa gar ein Pionierprojekt, das seinesgleichen sucht. Ein Urteil, das so wohl nicht alle internationalen Terrorismusexperten blank unterschreiben würden. Immerhin zeigten die Ermittlungen zum Wien-Attentäter auch dessen engmaschiges Netzwerk in Österreich und zahlreichen Nachbarländern auf, aus dem sich viele in und um Wien radikalisierten.

"Nicht mehr greifbar"

Im konkreten Fall des Wien-Attentäters hätten die Präventionsmaßnahmen nicht mehr greifen können, konstatierte Stockhammer. Zu weit fortgeschritten sei dessen Radikalisierungsprozess gewesen, zu gefestigt seine Überzeugung, einen Anschlag durchzuführen, und zu diffus seine Biografie bis zur ersten versuchten Ausreise nach Syrien im Jahr 2018. Die Schuld für die Nichtverhinderung sahen sowohl Stockhammer als auch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) – etwas verklausuliert – dabei eher bei den Bundesbehörden. Man wolle dies aber nicht weiter kommentieren, dem Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission von Ingeborg Zerbes sei nichts hinzuzufügen, so Ludwig.

Tatsächlich aber hat die Stadt mit der Schaffung des Wiener Netzwerks Demokratiekultur und Prävention (WNED) bereits 2014 eine wichtige Grundlage für die Präventionsarbeit geschaffen. Es sei es wichtig, im frühen Alter und im sozialen Umfeld anzusetzen, so Stockhammer. Radikalisierung in den Extremismus werde über propagandistisch ausgeschlachtete Gewalt- oder Opfernarrative vorangetrieben. Diesen Erzählweisen müsse man Gegennarrative und Alternativnarrative entgegensetzen, "um die giftigen ideologischen Essenzen zu neutralisieren und als falsch und gefährlich zu entlarven", empfiehlt der Autor. Ein Umstand, den internationale Experten so oder in ähnlicher Form durchwegs bestätigen.

Die solide Basis in Wien sollte aber zusätzlich durch das ein oder andere Best-Practice-Beispiel aus anderen europäischen Städten aufgefettet werden, glaubt Stockhammer. In Hamburg, Turin oder dem für seine Deradikalisierungsarbeit bekannten dänischen Aarhus gebe es gute Ansätze, von denen man für konkrete Praxisbeispiele noch etwas lernen könnte. Das Hamal-al-Khatib-Projekt, das einen fiktiven IS-Rückkehrer zeigt und schonungslos von den Gräueltaten in Syrien berichtet und potenzielle Foreign Terrorist Fighters abschrecken solle, sah Stockhammer als Vorzeigeprojekt.

Extremistische Gefahr durch Verschwörungserzählungen

Er empfahl jedoch auch eine Ausweitung der Präventionsarbeit auf die Bereiche Rechtsextremismus, Reichsbürger und Weltverschwörungstheoretiker, die gerade im Zuge der Corona-Pandemie immer mehr Zulauf erhalten. Auch der WNED-Koordinator Ercan Nik Nafs bestätigte, dass es ein verstärktes Augenmerk auf den Bereich Verschwörungstheorien brauche. Die Ziele des Netzwerkes für die kommenden Jahre seien einerseits verstärkte Burschenarbeit und die Auseinandersetzung mit dem Problem des häuslichen Unterrichts und der Weltverschwörungstheorien.

Trotz des positiven Tenors befanden Stockhammer, Nik Nafs und auch Ludwig, dass nicht nur in Wien, sondern vor allem auch in den anderen Bundesländern und im Bund noch mehr für die Präventionsarbeit getan werden müsse. 100 Prozent der Menschen könne man freilich dennoch nie erreichen, "aber ein möglichst engmaschiges Netzwerk aufspannen", so Stockhammer. Der aktuelle Maßnahmenkatalog umfasse jedenfalls 50 größere und kleinere Maßnahmenpakete. Dazu gehören etwa theaterpädagogische Projekte. Weiters gebe es Ausbildungsmodule für Polizisten und Fachkonferenzen. "Wir arbeiten weiter daran, und wir schauen uns auch Konzepte aus dem Ausland an", so der Bürgermeister. "Die Studie soll ein Check der bisherigen Präventionsarbeit sein, was läuft gut, wo können wir besser werden."(Fabian Sommavilla, APA, 29.10.2021)