Bitcoin-Farm in Kanada: Für die Berechnung von Kryptowährungen ist viel Energie notwendig.

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Wäre Bitcoin ein Land, dann könnte es sich mit den größten Volkswirtschaften der Welt messen: Über 1,1 Billionen US-Dollar sind alle Bitcoins insgesamt wert, mehr als das Bruttoinlandsprodukt von Indonesien. Lange war die Kryptowährung, die 2009 von einer bis heute unbekannten Person oder Gruppe mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto geschaffen wurde, nur Nerds ein Begriff. Heute kann man in Restaurants und Geschäften mit Bitcoin bezahlen, El Salvador führte die Währung sogar als offizielles Zahlungsmittel ein. Rund 100 Millionen Menschen besitzen Bitcoins – oder zumindest ein Bruchstück davon. Denn am 22. Oktober erreichte die Kryptowährung ein neues Allzeithoch von 66.974 US-Dollar (rund 57.600 Euro).

Auch was Stromverbrauch und CO2-Emissionen angeht, spielt Bitcoin in der Liga von Staaten mit. Wie viel es genau ist, lässt sich nicht sagen. Auf rund 112 Terawattstunden pro Jahr schätzt etwa das Cambridge Centre for Alternative Finance den Stromverbrauch von Bitcoin, das ist mehr als die Niederlande an Strom verbrauchen und etwas weniger als Saudi-Arabien. Die Plattform Digiconomist kommt sogar auf 181 Terawattstunden.
Der hohe Stromverbrauch ist der Architektur des Bitcoin-Netzwerks geschuldet, die keine zentrale Autorität wie bei Zentralbanken kennt. Stattdessen spielen hunderttausende Rechner rund um die Uhr ein Ratespiel. Dabei macht sich das Netzwerk sogenannte kryptografische Einwegfunktionen zunutze. Diese kann man sich wie einen Fleischwolf vorstellen: Jeder kann einen solchen einfach bedienen – doch aus der fertigen Masse wieder ein ganzes Stück zu machen ist schier unmöglich.

Wirft man etwa das Wort "Der Standard" in eine solche Einwegfunktion, wirft sie eine 64 Zeichen lange Zahlenbuchstabenwurst aus, die mit 702f83ab54 beginnt. Zwar kann jeder Computer mit wenig Rechenaufwand ein Wort durch den Fleischwolf drehen, aber niemand kann aus der Wurst rekonstruieren, was das Wort ist, das in den Fleischwolf geworfen worden ist – außer man probiert es viele Tausend, Millionen, Milliarden Mal. Und weil das Bitcoin-Netzwerk sozusagen die Wurst vorgibt, machen sich viele Tausend Bitcoin-Schürfer auf die Suche nach dem, was oben im Fleischwolf landete. Des Rätsels Lösung ist derzeit 6,25 Bitcoin – rund 300.000 Euro – wert. Deshalb wird in den Bitcoin-Farmen dieser Welt rund 140 Trillionen Mal pro Sekunde geraten, was hinter dem ominösen Zahlenbuchstabensalat stehen könnte.

Das kostet viel Energie – und ist pure Absicht. Der Mechanismus, nach dem Bitcoin arbeitet, nennt sich "Proof of Work" – wer mit Bitcoins belohnt werden will, muss Arbeit vorweisen. Weil Strom Geld kostet, haben Schürfer keinen Anreiz, Unsinn auf der Blockchain zu treiben.

Ungenaue Auswirkungen

Wie viel CO2 bei dem weltweiten Ratespiel namens Bitcoin-Mining frei wird, lässt sich nicht genau sagen. Über dem Strommix, den Schürfer verwenden, hängt der Mantel der Anonymität des Netzwerkes. Schätzungen reichen von 20 bis 73 Prozent erneuerbarer Energie. Aber wer weiß das schon? Nicht einmal die genauen Standorte der Bitcoin-Miner lassen sich herausfinden.

China ist es jedenfalls nicht mehr. Ende September setzten die Behörden dem Bitcoin-Mining ein Ende und erklärten auch gleich alle Transaktionen für illegal. Jahrelang spielten viele chinesische Bitcoin-Schürfer das gleiche Spiel: Im regenarmen Winter bezogen sie Strom aus Kohlekraft im Norden, im Sommer übersiedelten sie in den Süden, um günstigen Strom aus Staudämmen zu nutzen.

Bitcoin-Farm des Unternehmens Riot in Texas. Nachdem China Mining verboten hat, zieht es viele Schürfer in die USA.
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Viele der chinesischen Bitcoin-Schürfer übersiedelten nach dem Verbot in die USA oder nach Kasachstan. In beiden Ländern kommt vor allem noch Kohlestrom aus der Steckdose. Doch das muss nicht heißen, dass Bitcoin deshalb den Klimawandel vorantreibt, glaubt Daniel Wingen. Der Deutsche ist Gründer der "Value of Bitcoin"-Konferenz und betreibt einen Bitcoin-Podcast. "Miner suchen immer nach dem günstigsten Strom", sagt er zum STANDARD. Und der komme immer häufiger aus Solar- oder Windkraft. Dass der Strom aus erneuerbaren Quellen unzuverlässig ist und das Speicherproblem bislang ungelöst ist, juckt die Mining-Farmen wenig. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Industrien, Haushalten oder etwa Krankenhäusern können die Bitcoin-Miner auch einmal ein paar Stunden stillstehen – etwa wenn gerade Strommangel herrscht.

Umgekehrt könnten Bitcoin-Farmen grünen Strom aus dem Netz verwenden, wenn gerade Überschuss besteht – und auf den Strombörsen nicht selten zu negativen Preisen gehandelt wird. Weil die Mining-Hardware grundsätzlich mobil ist, hätten sie einen Vorteil gegenüber anderen Verbrauchern, sagt Wingen. Wenn auf einem Ölfeld etwa Erdgas sinnlos verbrannt wird, weil es sich nicht lohnt, für die kleine Menge eine Pipeline zu legen, könnten Miner dort vorübergehend ihre Zelte aufschlagen und die ansonsten verpuffende Energie nutzen.
Dass Bitcoin-Farmen oft immer noch mit eigens produziertem Kohlestrom betrieben werden, sei vor allem der Tatsache geschuldet, dass Staaten diesen immer noch subventionieren und so den Preis drücken, sagt Wingen. Und das sei ein politisches Problem, das alle energieintensiven Industrien betrifft – und keines von Bitcoin.

Verhärtete Fronten

Doch wie man es dreht und wendet: Bitcoin wird in seiner heutigen Form immer mehr Strom verbrauchen, das gibt auch Wingen zu. Dazu kommt ein stetig wachsender Berg an Elektroschrott: Denn für trillionenfache Ratespiel hinter Bitcoin braucht es spezielle Hardware, die für sonst kaum etwas verwendet werden kann und schnell obsolet wird.

Ist es das alles wert? Die Antwort hängt davon ab, wie man grundsätzlich zu Bitcoin steht. Umwelt und Kryptowährungen sind geradezu ein emotionales Thema mit verhärteten Fronten geworden. Eine wachsende Community sieht in Bitcoin das bessere Geld, das gerade die Welt revolutioniert. Für andere ist Bitcoin und Co nicht mehr als eine riesige Ressourcenverschwendung, die einige wenige Spekulanten und Early Adopter reich macht.

Hinter den meisten Studien und Zahlen zu den Umweltauswirkungen von Bitcoin steckt Alex de Vries. Der Niederländer besaß einst selbst Bitcoins. 2015 wurde ihm bewusst, was sein Investment dem Planeten antut, verkaufte seine Coins ("Rein finanziell eine schlechte Entscheidung") und gründete den Blog Digiconomist, wo er die Auswirkungen von Bitcoin und Co in Zahlen zu fassen versucht. Inzwischen arbeitet er bei der niederländischen Nationalbank – einer Institution, die von der Krypto-Community oft als der natürliche Feind des neuen, dezentralen Geldes wahrgenommen wird.

Gegen Bitcoin per se hat de Vries nichts, sagt er zum STANDARD, sondern nur gegen das stromfressende System, das hinter der Kryptowährung steckt. Denn grundsätzlich wäre es möglich, Bitcoin auch klimafreundlich zu betreiben. "Mit Proof of Work wird es allerdings sehr schwer", sagt de Vries. Er plädiert für den Proof-of-Stake-Algorithmus. Statt der energieaufwendigen Ratespielchen wird bei Proof of Stake per gewichteten Zufall entschieden, wer die Blockchain fortsetzen darf. Wer Einheiten der Kryptowährung für eine Zeit sperrt, darf teilnehmen – und wird dafür mit neuen Coins belohnt. Die Blockchains von Cardano oder Solana, die zusammen immerhin bereits 100 Milliarden Euro schwer sind, arbeiten bereits nach dem Prinzip. Die zweitgrößte Kryptowährung Ethereum will mittelfristig auf Proof of Stake umstellen.

99 Prozent weniger Energie

Bis zu 99,99 Prozent des Energieverbrauchs – und damit auch der CO2-Emissionen – könnten mit dem Umstieg eingespart werden, rechnet de Vries vor.
Für eingeschworene Bitcoiner wie Wingen ist Proof of Stake allerdings keine Lösung. Denn statt "Arbeit", also der kryptografischen Rätsel, die Miner lösen müssen, zählt dort nur, wer mehr Coins besitzt. Das macht die Blockchain nicht nur angreifbarer, sondern widerspricht auch dem anarchokapitalistischen Geist der Bitcoin-Szene. Proof of Work sei die bislang beste Möglichkeit, dezentral Konsens zu erzeugen, sagt Wingen. "Weil wir uns auf die Physik verlassen und nicht auf einige wenige Menschen."

De Vries denkt, dass von einem Sinneswandel hin zu Proof of Stake langfristig auch die Bitcoin-Community profitieren könnte, auch wenn die Sicherheit darunter leiden würde. Denn sollte der Bitcoin-Preis weiter steigen, würde sich auch der Energieverbrauch vervielfachen. Spätestens dann würden Staaten Bitcoin verbieten, wie China das bereits getan hat.

Ob es jemals so weit kommen wird, weiß niemand. Bis dahin lösen die Bitcoin-Miner weiter ihre kryptografischen Rätsel. 140 Trillionen Mal pro Sekunde. (Philip Pramer, 4.11.2021)