Junger Mann, großes Tennis.

Foto: EPA/BRUNA

Carlos Alcaraz hat Ecken und Kanten, das ist wörtlich zu verstehen. Er muss ein Zugband an seinem Rücken montiert haben, das ihm stets die Schultern zusammenzieht. Mit breiter Brust zeigt er sich nach gewonnenen Punkten die Faust, nie verliert er dabei an Körperspannung. Wenn er zwischen zwei Punkten zum Handtuch schreitet, scheint er ferngesteuert, als ob ihm Leitplanken den Weg vorgeben.

Alcaraz ist 18 Jahre alt und gilt als künftiger Superstar im Tennis. Klar, Vorsicht ist geboten, diese Zuschreibung gab es schon für zahllose Talente. Bei den Erste Bank Open in Wien schlug Alcaraz am Freitag den Italiener Matteo Berrettini in 2:40 Stunden 6:1, 6:7 (2), 7:6 (5). Bei seinem erst zweiten Hallenturnier auf der Tour gelang Alcaraz damit gleich der Sprung ins Halbfinale. Dort trifft er auf Alexander Zverev. Der deutsche Olympiasieger bezwang Felix Auger-Aliassime aus Kanada 6:4,3:6,6:3. Ebenfalls im Halbfinale steht Tsitsipas-Bezwinger Frances Tiafoe. Er setzte sich gegen Diego Schwartzman 6:4,7:6(6) durch

Harte Grundschläge

Der Spanier Alcaraz hat harte Grundschläge. Er versteht es allerdings auch, in richtigen Momenten das Tempo und die Flugbahn zu variieren, damit provoziert er Fehler der Gegner. Der Return ist seine große Stärke. Über die letzten 52 Wochen gewann Alcaraz 31,2 Prozent der gegnerischen Aufschlagspiele. Lediglich die Legenden Rafael Nadal und Novak Djokovic sowie der quirlige Argentinier Diego Schwartzman haben einen besseren Wert. Zudem ist Alcaraz unheimlich schnell, hat eine exzellente Beinarbeit und den Biss eines Champions.

Die Erwartungen an ihn sind riesig. Vor wenigen Wochen schlug er bei den US Open Stefanos Tsitsipas, das befeuerte den Hype um seine Person. Alcaraz’ großes Vorbild, Rafael Nadal, lobte seinen Landsmann: "Er hat die Intensität, er hat die Passion, und er hat die Schläge."

Mit seinem Trainer Juan Carlos Ferrero teilt sich Alcaraz nicht nur einen halben Vornamen, sondern auch ein Zuhause. Er lebt in dessen Akademie in Villena an der südöstlichen Küste Spaniens, nur eine Autostunde von seinem Geburtsort El Palmar entfernt. Ferrero war im Jahr 2003 für acht Wochen die Nummer eins der Welt, da war Alcaraz gerade einmal drei Monate alt. "Für ihn war es eine schnelle Entwicklung", sagt Ferrero, "wir sind aber nicht im Stress."

Junge Garde

Die Erste Bank Open erleben in diesem Jahr großen Zuspruch. Das war nicht unbedingt in Stein gemeißelt, immerhin fehlt Dominic Thiem verletzt, auch Novak Djokovic oder Daniil Medwedew sind im Gegensatz zum vergangenen Jahr nicht dabei. Doch sind es andere, junge Spieler, die die Geschichten des Turniers schreiben. Turnierdirektor Herwig Straka nennt es eine "Wachablöse".

Zverev, 24, feierte in Wien schon zuvor seinen 300. Matchsieg auf der ATP-Tour. Stefanos Tsitsipas, 23, Nummer eins des Turniers, wurde zum zweiten Mal in diesem Jahr vom spektakulär aufspielenden, charismatischen Frances Tiafoe, 23, bezwungen. Und Alcaraz greift am Wochenende nach dem größten Titel seiner Karriere.

Dennis Novak zählt mit seinen 28 Jahren nicht unbedingt zur jungen, aufstrebenden Garde. Österreichs zweitbester Tennisprofi unterlag bereits am Donnerstag dem acht Jahre jüngeren Jannik Sinner klar 4:6, 2:6. Er habe in den vergangenen Monaten Fortschritte gemacht, sagte der seit Mitte April wieder von Günter Bresnik betreute Novak. Er ist aktuell die Nummer 116 der Welt, will in die Top 50. Novak weiß, was zu tun ist: "Ich habe hart zu arbeiten." Sinner selbst setzte sich in Wien im letzten Viertelfinale gegen den Norweger Casper Ruud duch.

Novak will Djokovic ärgern

Mehr Erfahrung würden Trainings und Matches mit Topspielern bringen. Schon in wenigen Wochen, Ende November nämlich, führt Novak das österreichische Davis-Cup-Team beim Final-Turnier in Innsbruck an. Die Gruppengegner sind Deutschland und Serbien, für letzteres Team wird der Weltranglistenerste Djokovic auflaufen. "Ich erwarte nicht, dass ich ihn in zwei Sätzen wegschieße", sagt ein wohlüberlegter Novak. "Ich hoffe, ich kann ihn bestmöglich ärgern." (Lukas Zahrer, 29.10.2021)