Es kam einigermaßen überraschend, als Microsoft vor ein paar Monaten plötzlich Windows 11 ankündigte. Denn wenngleich seitens des Konzerns dieses Statement schon länger nicht mehr zu hören war, hatte man zum Launch von Windows 10 im Jahr 2015 eigentlich noch versprochen, dass dieses das "letzte Windows" sein werde.

Seit rund einem Monat ist Windows 11 nun offiziell verfügbar und macht seinen Vorgänger damit zum mindestens vorletzten System im Stammbaum des Desktop-Platzhirschs. Dem voraus gingen nicht nur Leaks nichtoffizieller Enthüllungen, sondern – insbesondere hinsichtlich der Abwärtskompatibilität – auch Kontroversen.

Testsysteme

Prozessoren, die älter sind als AMDs Ryzen-Serie oder Intels achter Core-Generation (mit vereinzelten Ausnahmen) werden offiziell nicht unterstützt, selbst wenn alle anderen Anforderungen erfüllt werden. Installieren bzw. per Upgrade einspielen lässt sich Windows 11 zwar auch auf den als inkompatibel eingestuften Systemen – in welchem Umfang und wie lange Microsoft an diese Update ausliefert, bleibt aber offen. Zumindest vorläufig soll es keine Beschränkungen geben, das Risiko, dass eine Aktualisierung auf einem "veralteten" System zu Problemen führt, liegt hier aber ausschließlich beim Nutzer.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Für diesen Test wurde Windows 11 auf drei Rechnern installiert. Das primär verwendete System läuft mit einem AMD-Ryzen-3700-Prozessor nebst 16 GB RAM, einer NVMe-SSD und einer Geforce-1070-Grafikkarte. Der zweite ist ein Laptop mit Intel Core i5-8265U, 8 GB RAM, einer MX150-Grafikeinheit und ebenfalls einer NVMe-SSD.

Nummer drei ist ein älterer Rechner mit einer offiziell nicht mehr kompatiblem Core-i5-6600K-CPU, 16 GB RAM sowie einer Radeon-R9-380-Grafikkarte und einer per SATA angebundenen SSD als Systemspeicher. Letzteres System hat auch softwareseitig den größten "Ballast", denn hier ist es bereits das zweite große Windows-Upgrade. Ursprünglich war der Rechner mit Windows 8.1 gelaufen, ehe er zuerst auf Windows 10 und nun auf die neueste Version hochgezogen wurde.

Die Upgrade-Installation wurde hier unter Zuhilfenahme eines Drittanbietertools vorgenommen, das eine ältere Ausgabe von Microsofts eigenem Installationsassistenten einbindet, um die Kompatibilitätsabfrage zu umgehen. Microsoft hat das Upgraden auf solchen Systemen erschwert.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Neuerungen auf dem Desktop

Wenn nach dem Updateprozess, der zwischen 35 Minuten (Ryzen-Desktop), 45 Minuten (Laptop) und knapp einer Stunde (altes System) dauert, Windows 11 das erste Mal startet, ist die neue Designsprache natürlich das augenfälligste Merkmal. Microsoft mag Kästchen zwar immer noch, hat ihnen aber abgerundete Ecken spendiert. Man setzt stärker auf Transparenz- und Weichzeichnungseffekte. Wenngleich die beiden Systeme immer noch genug (insbesondere ihre technische Basis) trennt, rückt Windows hier einen Schritt in Richtung macOS.

Der Eindruck verstärkt sich auch etwas dadurch, dass der Starbutton nebst Taskleistenicons in die Mitte gewandert ist und nicht mehr standardmäßig am linken Rand "klebt". Das verkürzt zwar einerseits im Schnitt den Mausweg zum Wechsel auf das Startmenü oder andere geöffnete Programme, führt jedoch dazu, dass der Startbutton wandert. Je mehr Programme geöffnet sind und in der Taskleiste aufscheinen, desto weiter verschiebt er sich nach links. Auch die anderen Icons bewegen sich entsprechend.

Was für mich kaum ein Problem dargestellt hat, da ich die meiste Zeit ohnehin mit Tasten-Shortcuts und Windows-Taste arbeite, könnte eingeschworene Menüklicker irritieren. Die müssen aber nicht verzweifeln. Wer seine Gewohnheiten nicht aufgeben möchte, kann in den Systemeinstellungen die Taskleiste mit zwei Klicks auf ihre "traditionelle" Anordnung umstellen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Sie werden aber auf eine zweite Hürde stoßen, denn Microsoft hat beim Startmenü selbst ordentlich umgerührt. Hier findet man nun zuallererst Apps, die man selbst angepinnt, zuletzt installiert und zuletzt verwendet hat. Zuschalten lässt sich auch das automatische Einfügen von Programmen, die man besonders häufig nutzt. Weiters sieht man eine Liste "empfohlener" Programme bzw. Dateien, die in der Praxis auch mit zuletzt geöffneten Dingen aufgefüllt wird. Dazu lassen sich auch Icons für den Schnellzugriff auf wichtige User-Ordner, etwa "Downloads", einblenden.

Erst ein Klick auf "alle Apps" führt zur üblichen Auflistung aller im Startmenü eingelisteten Applikationen. Wer es sich bis jetzt noch nicht angeeignet hat, sollte sich darauf umstellen, Programme und Inhalte hauptsächlich per Windowstaste plus Eingabe des Namens zu öffnen. Dies ist in vielen Fällen der wesentlich schnellere Weg zumal die Suchfunktion des Startmenüs nun auch Dateien und Onlineinhalte findet bzw. eine Websuche anbietet, deren Aufruf allerdings an Microsofts eigenen Browser Edge und die Bing-Suche gekoppelt sind, selbst wenn ein anderer Standardbrowser für das System festgelegt wurde. Wer zurück zu einem Oldschool-Startmenü will, muss sich mit Drittanbieter-Software wie OpenShell behelfen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Bei der Trayleiste, in der rechts unten kleine Icons für permanent laufende Programme zu finden sind, ist im Prinzip alles beim Alten geblieben. Das Schnellmenü für Audioquellen hat Microsoft etwas umgestaltet und dabei verschlimmbessert. Es wurde nun mit dem Schnellzugriff für Funktionen wie WLAN, Bluetooth und dem Nachtmodus verknüpft. Das ist an sich eine nachvollziehbare Idee, das Umschalten auf ein anderes Audio-Ausgabegerät (etwa von Lautsprecher auf Kopfhörer) braucht dafür nun einen Klick mehr. Ein Klick auf Datum und Uhrzeit führt zu einer Kalenderminiatur und den letzten Notifications, die nun nicht mehr in einer seitenfüllenden Leiste sitzen.

Ein Comeback erfahren außerdem die Widgets, die zuletzt in Windows 7 zu finden waren. Sie sitzen aber nicht mehr direkt auf dem Desktop, sondern wiederum in einer eigenen Leiste, die sich vom linken Rand ins Bild schiebt. Für den Moment gibt es hier nur eine Auswahl an Microsofts eigenen Informations-Tools, wie (E-)Sportergebnissen, News, Wetter oder Börsenkursen. Ob hier künftig auch andere Entwickler eigene Widgets anbieten können werden, bleibt abzuwarten.

Das mit Windows 10 eingeführte Feature, mehrere Desktops anzulegen, wurde erweitert. Nun kann man für jeden einzelnen Desktop einen eigenen Hintergrund wählen, um etwa die Trennung zwischen Arbeits- und Privatwelt auch optisch klarer zu vollziehen. Die Windows Timeline wurde abgeschafft, ein schneller Wechsel geht nun auch über die Taskansicht. Die Desktops lassen sich weiters einfach per Drag-and-Drop oder via Rechtsklick-Menü beliebig anordnen. Sowohl Nutzer, die sich mit einem Desktop begnügen, als auch solche, die virtuelle Desktops verwenden, profitieren zudem vom neuen "Snap Layout", mit dem sich Verknüpfungen schneller anordnen und kategorisieren lassen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Moderne Menüs vervollständigt

Auch abseits des Desktops hat sich etwas getan. Während Windows 10 bis zuletzt "Stückwerk" war, sind in Ausgabe 11 nun alle wichtigen Systemfunktionen in eine einheitliche Oberfläche eingebettet, die auch wesentlich Touch-freundlicher ist als diverse Menüs, die sich seit Ende der 1990er kaum verändert hatten. Damit einhergehend wurden auch neue Icons implementiert, die nun nicht mehr ästhetisch völlig deplatziert wirken und bei höheren Auflösungen pixelig "aufgeblasen" werden müssen. Die "klassische" Systemsteuerung existiert weiterhin, sollte man sie doch einmal benötigen.

Kleinere Änderungen gab es auch an manchen Punkten der bereits mit Windows 8 und 10 erneuerten Konfigurationsmenüs, die aber nicht immer vorteilhaft ausgefallen sind. Wer in Windows Update nun etwa herausfinden möchte, ob optionale Aktualisierungen für das System oder den Treiber bereitstehen, sieht das nicht mehr auf den ersten Blick, sondern muss zuerst in das "Erweiterte Optionen"-Sammelmenü schauen, um Klarheit zu erhalten. Die genaue Auswahl findet sich dann wiederum erst ein Untermenü. Gebastelt wurde auch am Interface verschiedener System-Apps wie dem Windows-Explorer. Optisch ist das jedenfalls gelungen, in Sachen Funktionalität waren die Erfahrungen wechselhaft.

Im Großen und Ganzen gilt aber: Wer sich mit Windows 10 auskennt, wird sich auch in Windows 11 zurechtfinden. Technisch gesehen ist Windows 11 mehr ein Windows 10.5 bzw. ein endlich fertiges Windows 10 mit neuem Interface und ein paar Änderungen unter der Haube denn eine wirklich eigenständige, neue Version. Dass mit der Möglichkeit, Android-Apps auf dem System auszuführen, ein großes Feature außerdem erst nachgeliefert wird, verstärkt diesen Eindruck. Dennoch verspricht Microsoft verschiedene praktische Vorteile, darunter eine bessere Gaming-Leistung und kleinere Updates mit selteneren Neustarts.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Warten auf den Performance-Vorteil

Letzteres ist nach einem Monat schwer nachzuvollziehen. Die Updates wirken vom Download-Umfang her tendenziell kleiner, und das System scheint sie flotter einzuspielen und danach auch schneller wieder zu starten als unter Windows 10. Es gibt aber keinen wirklich objektiven Messgrad, hängt die Größe von Aktualisierungen doch hauptsächlich davon ab, welche und wie viele Änderungen und Neuerungen vorgenommen werden. Verpflichtende Neustarts gab es auch einige, was aber nicht verwundert, gab es doch seit dem Start des Roll-out diverse größere und kleinere Bugs zu beheben, die teilweise eben nicht einfach nur oberflächlicher Natur waren.

Auch ein akkurater Zugang in Sachen Performance war beim Test schwer zu finden. Da Microsoft mit Windows 11 auch gleichzeitig ein Problem mit Ryzen-Prozessoren geschaffen hat, das auf die Performance drückt und zum Zeitpunkt des Systemupgrades noch nicht behoben war, wären Benchmarkzahlen hier nicht aussagekräftig. Auch Werte vom älteren und offiziell gar nicht kompatiblen Desktopsystem würden keine Schlüsse zulassen. Weswegen der Vergleich letztlich auf dem Laptop angestellt wurde.

Zum Einsatz kamen Furmark als reiner Grafiktest sowie Passmark als Allround-Hürdenlauf bei aktiviertem Spielemodus. In Ersterem schnitt der Rechner unter beiden Systemen praktisch ident ab. Bei Letzterem reduzierte sich der Gesamtscore um etwas mehr als fünf Prozent mit leichten Einbußen in allen Kategorien, abseits einer leichten Steigerung in Sachen 3D-Grafikperformance. Zumindest ein leistungsmäßig eher schwach bestücktes Notebook scheint durch Windows 11 eher etwas Performance einzubüßen denn zu gewinnen. Da Windows 11 aber sehr neu ist und Benchmarks eben nur synthetische Werte liefern, ist diese Einschätzung mit Vorsicht zu genießen. An der Akkulaufzeit des Laptops, soweit im Testzeitraum beobachtbar, scheint sich nichts signifikant geändert zu haben. Verbessert hat sich die Bootzeit (Einschalten bis Erscheinen des Login-Screens), die nun um etwa drei Sekunden kürzer ist.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Kinderkrankheiten

In der Praxis war beim Spielen auf den drei Testsystemen nach der Installation von Windows 11 bei keinem Game eine relevante Abweichung subjektiv zu bemerken. Das heißt allerdings nicht, dass es keine anderen Probleme gab. Auf dem veralteten Desktop kam es gelegentlich zu Hängern der explorer.exe, jenem Prozess, der nicht nur für den Windows Explorer, sondern auch für die Darstellung des Systeminterfaces zuständig ist.

Auf dem Ryzen-System passierte dies hingegen nur einmal, zudem verweigerte der Rechner auch einmal das Aufwachen aus dem Schlafmodus und musste über den Reset-Knopf neu gestartet werden. Inwieweit das mit Windows 11 zusammenhängt, ist schwer zu sagen, denn reproduzierbar war das Problem nicht. Bemerkbar ist hingegen, dass das Startmenü sich hin und wieder nur mit kurzer Verzögerung öffnet. Das gilt auch für den Laptop, auf dem Windows 11 – dort aber erst seit wenigen Tagen – ohne weitere Probleme läuft.

Abseits davon gab es natürlich bereits Berichte über gröbere Bugs, die etwa dazu führten, dass plötzlich eine Reihe von Druckern des Herstellers Brother nicht mehr per USB betrieben werden können oder die Auslastung des Arbeitsspeichers durch die explorer.exe aus unbekannten Gründen stark ansteigt. Ein Teil der Kinderkrankheiten wurde bereits behoben, für andere arbeiten Microsoft und betroffene Gerätehersteller bereits an Updates, bei Weiteren steht noch eine Lösung aus. Wer ein Produktivsystem von Windows 10 auf Windows 11 hochziehen möchte, sollte also sicherheitshalber noch ein paar Monate warten, um auf Nummer sicher zu gehen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Sonstiges

Während sich Windows 11 so manchen Ballasts, wie des Internet Explorer und des "alten" Edge entledigt, kommt es leider mit einer Reihe von Bloatware. Vorinstalliert sind diverse Streaming-Dienste, Instagram, Tiktok und ein paar andere Drittanbieter-Apps. Diese lassen sich aber zumindest, wie auch fast alle Apps für Dienste von Microsoft selber, deinstallieren.

Als gelungen betrachten darf man das Sounddesign von Windows 11. Für Systemsounds aller Art hat man sich für recht kurze, ruhige, beinahe "dumpfe" Klänge entschieden. Diese sind deutlich angenehmer im Ohr als die Geräuschkulisse der vorhergehenden Windows-Versionen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Fazit

Ist Windows 11 ein Pflicht-Upgrade? Derzeit ist diese Frage recht klar mit Nein zu beantworten. Es hat ein paar neue Features, es wirft ein paar Altlasten über Bord, und das neue Interface benötigt nur wenig Eingewöhnung. Und wenngleich die Aktualisierung fast überall problemlos laufen und das System stabil genug für die Alltagsnutzung sein sollte, hat es auch Kinderkrankheiten, die auf manchen Rechnern für gröberen Unmut sorgen könnten.

Merzt Microsoft selbige aus, dann ist ein Umstieg zumindest bedenkenlos, wenngleich die Plattform sich mehr wie Windows 10.5 denn eine vollständige neue Ausgabe anfühlt. Wer mit Windows 10 zufrieden ist oder einen Computer hat, der offiziell nicht mehr als tauglich für das neue System befunden wird, kann auch getrost bei der "alten" Ausgabe verbleiben. Diese erhält zumindest vorerst auch noch Feature-Updates im Halbjahrestakt und wird zumindest bis Anfang 2025 mit Sicherheitspatches versorgt.

Hardware, die jetzt schon zu "alt" für Windows 11 ist, hat dann mindestens acht bis neun Jahre auf dem Buckel, sodass sich ohnehin die Frage einer Neuanschaffung stellt. Wer den "Oldie"-Rechner nach dem Supportende von Windows 10 noch in Verwendung halten will, wird wohl unter den zahlreichen Linux-Distributionen genug Auswahl finden, um das tun zu können. (Georg Pichler, 2.11.2021)