Der Kollateralschaden war gewaltig: Die Razzia im Verfassungsschutz, die später großteils für rechtswidrig erklärt wurde, sorgte für Entsetzen im Ausland und löste einen U-Ausschuss aus. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) blieb jedoch dabei: Die massiven Vorwürfe gegen einzelne Verfassungsschützer hätten es nötig gemacht, am 28. Februar 2018 Zwangsmaßnahmen durchzuführen und brisante Dokumente sicherzustellen. Dass im Hintergrund das Büro des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) die Fäden zog und Belastungszeugen an die WKStA vermittelte, tat aus Sicht der Ermittler nichts zur Sache.
Jetzt, dreieinhalb Jahre später, werden die Überbleibsel der Vorwürfe vor dem Straflandesgericht Wien verhandelt werden: Angeklagt sind der einstige Leiter des Referats für Nachrichtendienste, sein Schwiegervater und ein weiterer Verfassungsschützer. Die einstigen BVT-Beamten werden beschuldigt, die Rechte nordkoreanischer Touristen und eines russischen Rechtsaußen-Politikers verletzt zu haben. Außerdem soll der Referatsleiter Kaffeehausrechnungen falsch abgerechnet haben sowie für seinen Schwiegervater Abfragen getätigt haben.
Nordkorea
Eine wichtige Rolle spielt in der Anklage der WKStA ein Wien-Konzert des Musikers Eric Clapton. Der südkoreanische Geheimdienst hatte Hinweise darauf, dass Kim Jong-chol, Bruder des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un, ein Konzert des Rockgitarristen im deutschen Mannheim oder in Wien besuchen würde. Kim sollte von 21. Juni bis 27. Juni 2014 einreisen. Wenige Tage davor berichtete der deutsche Verfassungsschutz, dass zwar eine nordkoreanische Delegation nach Wien käme, aber der Diktatorenbruder nicht dabei sei.
Bei der Beobachtung der Wiener Stadthalle am Abend des Konzerts wurde allerdings eine Gruppe von Nordkoreanern identifiziert. Diese ließ der Referatsleiter dann weiter observieren. Laut Korruptionsstaatsanwaltschaft wurden die Touristen damit "in ihren Rechten gemäß Datenschutzgesetz §1 und Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention" geschädigt.
Ähnliches gilt für eine Gruppe von Nordkoreanern, die mit einem heimischen Traditionskonzern über die Errichtung von Produktionsstätten in Nordkorea verhandelten. Auch die ließ der Referatsleiter observieren, laut WKStA ohne ausreichende rechtliche Grundlage. Die Meldung an den Rechtsschutzbeauftragten sei erst zu spät erfolgt, heißt es in der Anklage weiters. Die Verteidigung argumentiert, dass im Verfassungsschutz nicht klar geregelt war, wer tatsächlich diese Meldungen verfassen sollte – Referats-, Abteilungsleiter oder zuständiger Beamter?
Russland
Ein weiterer Vorwurf der WKStA: Der Referatsleiter habe Amtsmissbrauch begangen, weil er "im privaten Interesse" ermittelt habe. Dabei geht es um den Schwiegervater des BVT-Mitarbeiters. Der ist Obmann einer Kleinstpartei, die mit teils extremen Positionen auffiel – und von einer merkwürdigen Organisation zu einem Kongress nach Russland eingeladen wurde. Das leitete er an den Referatsleiter weiter, weil derartige Kontakte genau in das Aufgabengebiet des Ressorts fielen. Dieser ließ beim Berner Club, dem informellen Zusammenschluss europäischer Geheimdienste, Informationen über die Organisation einholen – und landete einen Treffer.
Dennoch sieht die WKStA hier abermals eine Verletzung der persönlichen Rechte, und zwar eines Rechtsaußen-Politikers aus Russland und einer weiteren Mitarbeiterin der russischen Organisation. Dem Schwiegervater des Referatsleiters wird Anstiftung vorgeworfen. Darum geht es auch in einem anderen Faktum: So soll der nebenberufliche Politiker seinen Schwiegersohn gebeten haben, einen seiner Mieter zu prüfen, weil der mitten während des Aufstiegs des IS im Nahen Osten überraschend nach Libyen gereist war. Der Referatsleiter leitete das an einen Kollegen im Terrorismus-Ressort weiter, meldete aber nie etwas an seinen Schwiegervater zurück. Deshalb ist hier nur der beschuldigte "Anstifter" angeklagt.
Spesenabrechnungen
Die WKStA wirft dem einstigen Referatsleiter auch "Betrug durch die Verrechnung von Geldern der Sicherheitsverwaltung" vor. Es geht hier um einige hundert Euro, die er im Laufe seiner Tätigkeit als Spesen abgerechnet hatte, die aber teils privater Natur sein sollen. Minutiös untersuchte die WKStA hier hunderte Spesenabrechnungen, beispielsweise geht es um die "Verrechnung von 7 Euro für Konsumation bei einem privaten Treffen" im Jahr 2014. Betroffen sind auch Termine mit den ÖVP-Politikern Axel Melchior, derzeit türkiser Generalsekretär, und Werner Amon, mittlerweile Volksanwalt. Diese sollen gemäß Staatsanwaltschaft auch als Zeugen bei dem Prozess geladen werden, der am 8. November startet. Ob es tatsächlich so weit kommt, ist unklar – denn die Rechnungen wären verjährt, wären sie nicht durch andere Vorwürfe belegt. Setzt es dort einen Freispruch, fielen somit auch die gesamten Betrugsvorwürfe weg. Deshalb wird der Richter wohl andere Verfahrensstränge zuerst behandeln.
Ende einer Staatsaffäre
Ursprünglich hatte die WKStA weitaus prominentere Staatsschützer ins Visier genommen: Etwa den damaligen BVT-Direktor Peter Gridling und dessen Vize. Anhand eines anonym verschickten Konvoluts voller Vorwürfe vermutete man weitreichende Korruption im Verfassungsschutz; angefeuert wurde das durch vier Belastungszeugen, die vom Büro Kickl an die WKStA vermittelt worden waren. Doch mittlerweile stehen die Belastungszeugen selbst unter Verdacht, etwa wegen Verbindungen zum flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek.
Gegen den nun angeklagten einstigen Referatsleiter und sein Umfeld gab es Vorwürfe, parteipolitisch im Sinne der ÖVP gehandelt zu haben; handfeste Beweise dafür konnte die WKStA offenbar nicht finden. Ermittelt wird gegen ihn noch in der Sache rund um die Unterbringung eines syrischen Generals in Wien, dem Foltervorwürfe gemacht wurden. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Fabian Schmid, 31.10.2021)