Boris Johnson, Emmanuel Macron, Angela Merkel und Joe Biden.

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Rom – Die Bemühungen um ein starkes Signal des G20-Gipfels vor dem Weltklimatreffen in Glasgow drohen zu scheitern. Die Gruppe der großen Wirtschaftsmächte (G20) kann sich auf ihrem Gipfel in Rom offenbar nicht auf konkrete Ziele zum Klimaschutz einigen. Aus dem jüngsten Entwurf des Abschlusskommuniqués, der am Samstag der Deutschen Presse-Agentur vorlag, sind ursprünglich beabsichtigte Zielvorgaben und Zusagen wieder gestrichen worden.

So gab es nicht mal mehr eine Einigung auf "sofortiges Handeln", wie es in einem früheren Entwurf geheißen hatte. Jetzt ist von "bedeutungsvollem und wirksamen Handeln" die Rede, um wie im Pariser Klimaabkommen angestrebt die gefährliche Erderwärmung auf 1,5 Grad zu bremsen. Die Abschlusserklärung soll am Sonntag angenommen werden.

Schwammige Formulierungen

Beim Ziel der CO2-Neutralität hat es auch keine Fortschritte gegeben. War ursprünglich 2050 als Zieldatum angestrebt worden, ist jetzt allgemeiner von "Mitte des Jahrhunderts" die Rede. Das geschah offensichtlich auch aus Rücksicht auf China. Der größte Produzent von Kohlendioxid hatte sich bisher nur bis 2060 dazu verpflichtet.

Auch beim Auslaufen von Subventionen für fossile Brennstoffe, das nach einem früheren Entwurf erstmals bis 2025 angestrebt worden war, gab es keine Einigung. So wurde das Zieldatum wieder gestrichen. Stattdessen wurde nur das alte Bekenntnis von 2009 in Pittsburgh bekräftigt, die Subventionen "mittelfristig" auslaufen zu lassen.

Selbst ein Hinweis auf die "alarmierenden Berichte" des Weltklimarates, der vor den Gefahren der Erderwärmung gewarnt hatte, wurde im Text mit "jüngste Berichte" abgeschwächt. Eine erste Formulierung, in den 2030er Jahren eine "weitgehend kohlendioxidfreie Stromversorgung" anzustreben, fehlt ebenfalls in dem jüngsten Entwurf. Vielmehr ist nur die Rede davon, saubere Energien auszubauen.

Energieversorgung soll gesichert sein

Das Ziel, alles zu tun, um den Bau neuer Kohlekraftwerke zu vermeiden, wird weiter aufgeführt. Allerdings gilt dabei die Einschränkung, dass "nationale Umstände berücksichtigt werden" sollen. Es wird auch die Notwendigkeit betont, eine sichere Energieversorgung ohne Unterbrechungen zu gewährleisten.

China leidet in den vergangenen Monaten wegen steigenden Bedarfs und mangelnder Produktion unter massivem Energiemangel und muss sogar Strom für die Industrie rationieren, indem Produktionsstopps für Betriebe verfügt werden. Um die Knappheit zu lindern, wurden die Förderung und der Import von Kohle wieder erhöht. Auch Indien stützt seine Energieversorgung stark auf Kohle.

Reform der Besteuerung

Die G20 gab nach Angaben von Teilnehmern aber immerhin Grünes Licht für die jüngst ausgehandelte globale Reform der Unternehmenssteuer. Die Mindestbesteuerung großer Firmen werde das schädliche globale Wettrennen um die niedrigsten Steuersätze für Unternehmen beenden, erklärte US-Finanzministerin Janet Yellen am Samstag.

Damit werde der "schädliche Wettlauf nach unten bei der Unternehmensbesteuerung beendet", ergänzte Yellen. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Einigung am Abend "ein klares Gerechtigkeitssignal in Zeiten der Digitalisierung". Der Gastgeber des G20-Gipfels in Rom, der italienische Ministerpräsident Mario Draghi, sprach von einem geschichtsträchtigen Ereignis. "Wir haben eine historische Vereinbarung für ein gerechteres und effizienteres internationales Steuersystem erzielt", sagte Draghi. Auch US-Präsident Joe Biden lobte die Übereinkunft.

Im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatten der geplanten Reform bereits 136 Staaten, darunter Östereich, auf Ministerebene zugestimmt. Die Länder machen zusammen gut 90 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus. Mit dabei sind auch bekannte Steueroasen wie die Cayman-Inseln und Länder wie Irland, die sich angesichts ihrer niedrigen Steuersätze bis zuletzt sträubten.

Knapp 130 Milliarden Euro Mehreinnahmen

Ziel der Reform ist es vor allem, die Verlagerung von Unternehmensgewinnen in Steueroasen zu verhindern. Große, international tätige Firmen sollen deswegen spätestens 2023 unabhängig von ihrem Sitz mindestens 15 Prozent Steuern zahlen. Zahlt ein Unternehmen mit seiner Tochterfirma im Ausland weniger Steuern, kann der Heimatstaat die Differenz einkassieren. Außerdem sollen profitable, weltweit operierende Digitalunternehmen wie Amazon und Google nicht mehr nur in ihrem Mutterland besteuert werden, sondern auch da, wo sie gute Geschäfte machen.

Die Neuordnung der internationalen Steuerarchitektur soll nach OECD-Angaben weltweit zu zusätzlichen Steuereinnahmen von jährlich rund 150 Milliarden Dollar (rund 129 Milliarden Euro) führen. Zentral ist dabei ein Zwei-Säulen-Konzept: Säule eins soll eine fairere Verteilung der Besteuerungsrechte der Staaten in Bezug auf die Gewinne großer multinationaler Konzerne sicherstellen – vor allem aus der Digitalwirtschaft. Dabei soll ein Teil der Rechte von den Ländern, in denen die Unternehmen ihren Hauptsitz haben, auf diejenigen Staaten übergehen, auf deren Märkten sie ihre Gewinne erzielen. Die zweite Säule ist die globale Mindeststeuer. (APA, 30.10.2021)