Am 2. November 2020 wurden bei einem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet.

Foto: Heribert Corn

Madrid, London, Paris, Nizza, Brüssel, Berlin, Wien: Seit einem Jahr gehört auch die österreichische Bundeshauptstadt zu jenen europäischen Metropolen, die das Trauma eines blutigen Terroranschlags mit islamistischem Hintergrund erlebt haben. Das Drama am 2. November 2020 rund um den Wiener Schwedenplatz hätte viel schlimmer ausgehen können, wenn nicht ein mutiger Beamter den Attentäter so schnell getötet hätte. Aber das Morden hätte überhaupt verhindert werden können, wenn im Sicherheitsapparat, vor allem im damaligen BVT, nicht so entsetzlich geschlampt worden wäre. Die Fehlerkette von damals, die in der Videodokumentation "Neun Minuten – ein Jahr danach" auf der STANDARD-Website detailliert nachgezeichnet wird, ist noch lange nicht aufgearbeitet.

Tiefe Wunden

Für die Angehörigen der Toten, die Verwundeten und viele Augenzeugen haben sich die Wunden tief in die Seele eingegraben. Die Stadt ist hingegen fast unbeschadet davongekommen. Das öffentliche Leben wurde in den Monaten danach durch die Corona-Pandemie eingeschränkt, nicht durch die Angst vor Terror. Das gilt auch für andere Städte, die mehr Opfer zu beklagen hatten.

Die Resilienz von Gesellschaften gegenüber politisch und religiös motivierter Gewalt ist viel größer, als es im Augenblick des Schocks erscheint. Selbst in New York pulsiert das Leben ein Jahrzehnt nach den Anschlägen des 11. September so, als wären damals nicht 2700 Menschen getötet worden.

Das liegt einerseits daran, dass sich all diese Anschläge letztlich als Einzelereignisse erwiesen, die sich nicht zu einer Serie auswuchsen – sei es dank guter Polizeiarbeit, sei es, weil die Zahl potenzieller Mörder doch geringer ist als oft befürchtet. Wird ein Land hingegen Woche für Woche von tödlichen Anschlägen getroffen, dann beeinträchtigt das den Alltag von allen.

Ziel nicht erreicht

Aber selbst dann erreichen Terroristen fast nie ihre Ziele. Regierungen machen keine Zugeständnisse, wenn sie zur Zielscheibe wahlloser Morde werden. Zwar kommt es regelmäßig zu einer politischen Überreaktion, die in eine Beschneidung von Grundrechten oder gar in sinnlose Kriege münden kann – siehe Afghanistan und Irak nach 9/11. Aber selbst das hat dem Jihadismus nur zeitweise genutzt und ihn vielfach zurückgeworfen. Auch der linksextreme Terror der 1970er-Jahre in Deutschland und Italien hat diese Demokratien zwar erschüttert, aber nicht zerstört.

Terror wird oft als Waffe der Schwachen bezeichnet; es ist meist auch die Waffe der Dummen und der Irregeleiteten, die zwar viel Eifer und taktisches Geschick für ihre blutige Mission entwickeln, aber ohne Strategie handeln.

Überlegte Reaktionen

Für betroffene Menschen ist Terror eine Tragödie, für betroffene Staaten hingegen keine Gefahr. Das ruft nach maßvollen, überlegten Reaktionen. Präventionsarbeit in den suspekten Milieus lässt sich immer verbessern, obwohl manche Gefährder auch dann unerkannt bleiben werden. Und eine konsequente Fehlersuche bei Polizei und Geheimdiensten nach einem Anschlag ist der beste Beitrag für mehr Sicherheit.

Hingegen dienen aufwendige Aktionspläne und verschärfte Gesetze, wie sie nach dem 2. November verkündet wurden, eher der politischen Eigenwerbung mit wenig konkretem Nutzen. Dennoch lässt sich sagen, dass Österreich in dieser Krise politische Reife gezeigt hat – es hat den Terror auf diese Weise bezwungen. (Eric Frey, 2.11.2021)