Der verliebte Oktavian (Emma Sventelius) ist erbost über die Manieren von Ochs (Stefan Cerny).

Foto: Barbara Pálffy

Es gab in der neueren Geschichte des Hauses am Gürtel Momente, da schien die Volksoper nicht nur ein bisschen Wiener Staatsoper spielen zu wollen. Es begab sich nämlich 1998 zum 100. Geburtstag in der kurzen Direktionsära Nikolaus Bachlers, der später das Burgtheater zu leiten beginnen sollte, dass tatsächlich Richard Wagners Meistersinger von Nürnberg angesetzt wurden. Und dies in Weltbesetzung!

Falk Struckmann sinnierte als Hans Sachs über Vergänglichkeit und deutsche Meister. Tenorweltstar Johan Botha glänzte als von Regisseurin Christine Mielitz punktgenau zugespitzte Ritterkarikatur.

Und welch ein Effekt, als zum Schluss das Orchester samt Dirigent Asher Fisch aus dem Graben auf die Höhe des Zuschauerraums gehoben wurde! Auch akustisch wirkte das Herausschweben aus dem akustisch heiklen, undankbaren Orchestergraben wie die Ehrenrettung eines guten Orchesters, das immer unter nicht idealen Bedingungen seinen edlen Klang finden muss. Ein Augenblick des Weltmusiktheaters jedenfalls, der lange her ist.

Nun allerdings, in der finalen Saison der Direktion Robert Meyer, abermals etwas Ähnliches: Richard Strauss’ Rosenkavalier, der – wohl nicht zufällig – noch nie an der Volksoper zu erleben war – abermals also eine Art Opernbergbesteigung.

Vor dem Krieg

Undja, obwohl man mit dieser Koproduktion (Theater Bonn als Partner) am großen Rad dreht, gelingt elegantes Musiktheater. Die instrumentalen und sehr passablen vokalen Rädchen greifen unterhaltsam-schwungvoll ineinander. Und sie tun es auf dem Fundament der Inszenierung von Josef E. Köpplinger, der das Ganze rund um das Jahr der Uraufführung (1911) verortet, als der Erste Weltkrieg nicht mehr fern war.

Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals generationenübergreifende Turtelgeschichte mit melancholischer Berücksichtigung der Themen Zeit und Endlichkeit wird hier weder tiefenpsychologisch noch politisch ausgeleuchtet. Die turbulent sich zuspitzende Komödie, in der die Herablassung des Adels die letzte Waffe eines derben Don-Giovanni-Imitats ist, verweilt im handwerklich gediegenen Erzählformat.

Toupet und Würde

Dieser Grapschbaron Ochs, der durch Heirat mit Sophie hofft, sich zu sanieren, ist eine Art Waldmensch mit Allüren, der im Finale eine doch schöne Lektion in Form von kollektiver Bloßstellung erleidet. In einem Etablissement lässt Köpplinger Ochs Toupet, Würde und Illusion verlieren. Der solide, etwas polternd klingende Stefan Cerny gibt diesem Charakter denn auch einen passenden Hauch von Lächerlichkeit.

Der Rest ist gut funktionierendes Bettgeflüster, Schmuserei, Unterwürfigkeit und Aufbegehren, Blamage und schließlich das Zueinanderfinden zweier junger Herzen. Bis es so weit ist, drehen sich in Johannes Leiackers Bühnenbild die Elemente zweier dreiecksartig angelegter Wände um die eigene Achse. Sie fügen sich zu "rostigen" Spiegeln oder zu Gemälden, die Blumen oder an unser aller Endzustand mahnende Totenköpfe präsentieren.

Leichtfüßige Sache

Die nachdenkliche Feldmarschallin wird von Jacquelyn Wagners schöner, klar geführter Stimme als würdevoll loslassende Dame porträtiert. Es braucht ja Haltung: Octavian (robust Emma Sventelius) landet vom Bett der Marschallin doch recht schnell in den Armen von Sophie (glänzende Höhen Lauren Urquhart). Dass dies Sofies Vater nicht behagt, es seine Aufstiegspläne pulverisiert, zeigt Morten Frank Larsen sehr glaubhaft als Mann am Ende seiner Nerven.

In Summe ist eine leichtfüßige Umsetzung eines heiklen Werks gelungen; auch der Tenor (Vincent Schirrmacher) hat die Höhenprüfung bestanden. Dirigent Hans Graf animierte das Orchester wiederum zu quirligen Details, die robust und straff wirkten. Was süßen Klang, das selige Schweben im stilisierten Walzergestus anbelangt – es konnte noch etwas vermisst werden. Vielleicht hätte das Orchester, wie einst bei den Meistersingern, bisweilen aus dem Graben gehoben werden sollen. (Ljubiša Tošic, 2.11.2021)