Da schauen die Leute und fragen dir Löcher in den Bauch. Wie weit fährt der? Was kostet er? Wie ist das mit dem Laden? Oder es kommen Kommentare zum Design. Tolles Styling! Sehe ich erstmals in echt, sieht noch besser aus als gedacht! So oder so, wenn die ersten Eindrücke eine belastbare Basis bieten, dann landet Hyundai mit diesem Auto und der technischen Basis, auf der es steht, einen ebenso großen wie Begehrlichkeit weckenden Wurf.

Schnörkelloser geht kaum: Der Ioniq 5 punktet schon beim Design. Und er ist größer, als die Bilder erwarten lassen.
Foto: Stockinger

Sehen wir uns also kurz an, was wir mit dem Testwagen vor uns haben. Ioniq 5 Top Line Long Range. Heckantrieb, 160 kW, dazu die große der beiden Batterien, die mit 72,6 kWh Kapazität (die andere hätte 58,2). 56.990 Euro lautet dafür der Listenpreis, inklusive Sonderausstattungen – worunter die Wärmepumpe mit 1290 Euro den größten Brocken ausmacht – schlägt der Testwagen mit 60.650 zu Buche.

Dass das kein Schnäppchen ist, muss nicht extra betont werden, jedes Kind weiß aber inzwischen, dass die Mobilitätswendevehikel generell ein teurer Spaß sind, auch jeweils bezogen auf die Fahrzeuggröße und -klasse, Ausnahmen wie der Dacia Spring oder der auslaufende Seat Mii bestätigen die Regel.

Bevor wir uns dem Fahrbetrieb widmen, sehen wir uns den Ioniq 5 einmal außen und innen an. Außen setzt Design-Altmeister Thomas Bürkle, er war 2005 aus Chris Bangles BMW-Mannschaft zu Hyundai gewechselt, auf klare, glatte, puristische, geometrische Gestaltung – ähnlich wird es mit den nächsten Ioniqs weitergehen –, innen wird’s ein klein wenig runder und noch geräumiger, als zu erwarten gewesen wäre. Das nämlich ist die nächste Überraschung: Das Auto ist deutlich größer, als man aufgrund der Fotos hätte schließen können.

Foto: Stockinger

Mit 4,64 m Länge und 1,89 m Breite entspricht er beinahe den Abmessungen des Santa Fe der Vorgängergeneration, und das Raumgefühl verdankt sich der E-GMP-Plattform. Ähnlich wie VW hat Hyundai sich für eine eigene Elektro-Architektur entschlossen. Die hat den Vorteil, dass über der unterflur verbauten Batterie eine plane Ebene entsteht, auf der die Designer dann ihre Vorstellungen umsetzen können. Ähnliche Innen-außen-Platzüberraschungen hatte es ja schon bei VW ID.3 und ID.4 und Škoda Enyaq gegeben – die beiden Letztgenannten wären auch gleich zwei potente, patente direkte Gegner des Koreaners.

Kleines Schläfchen

Beim 5er gibt es zwei weit zurückschiebbare Business-Sitze, die unsereins soeben auch nutzt, um diese Impressionen in den Laptop zu tippen – sonst stößt man da meist rasch ans Lenkrad und sitzt unbequem. Wer Zeit hat, weil sie oder er gerade beim Laden ist, kann auch in den Liege-Aggregatzustand wechseln und ein Nåpfatzerl halten, wie die Landwirte in Oberösterreich früher sagten. Bauern-Nåpfatzerl statt Power-Nap.

Weiters fällt innen auf, dass auch in der zweiten Reihe enorm viel Platz zur Verfügung steht, kein Mitteltunnel stört die Füße. Die Vorteile von drei Metern Radstand – noch zehn Zentimeter mehr als Kias Erstling auf E-GMP, der EV6 – werden voll an die Insassen weitergegeben.

Der aufgeräumte Innenraum des Ioniq 5.
Foto: Stockinger

Ja, aber warum haben die sich eine so monströs große Mittelablage einfallen lassen, werden manche vielleicht fragen? Die Antwort verblüfft: Erhebungen während der Konzeption des Fahrzeugs hatten ergeben, dass Damen ihre Handtaschen gerne in Griffweite aufbewahren, sie können das nach dem Schuhwerk zweitwichtigste persönliche Accessoire bequem unter der Armlehne verstauen. Dass das Mitteldingens auch noch längs verschiebbar ist, verstärkt den durchdachten Charakter, wozu unter anderem auch das ausziehbare große Handschuhfach zählt.

Ganz hinten fällt das erste echte Defizit ins Auge. Mit 531 (bis 1591) Litern ist der Kofferraum eher bescheiden ausgefallen, die schräg stehende Heckklappe beschränkt die Ladefähigkeiten ebenso wie der hohe Ladeboden, unter dem sich noch das ganze Kabelzeugs verbirgt.

Der zweite Minuspunkt sitzt ebenfalls auf der Heckklappe, nämlich nicht: Es gibt keinen Heckscheibenwischer, das ist ein bisserl unangenehm, weil man auf der Autobahn bei Regen hinten bald nix mehr sieht. Hyundai meint, ein Wischer dort sei nicht nötig, da der Wagen so gestaltet sei, dass Wasser sozusagen ung’schaut abrinne.

Der erste Kia auf derselben E-Plattform, der EV6.
Foto: Kia

Wollen wir loslegen? Dazu will noch, anders als bei VW oder Tesla, ein Startknopf gedrückt werden. Vorn strahlt weiß der Doppelbildschirm auf, man kann ihn natürlich auch auf gängigere Schirmbasiscouleur umstellen. Sehr hübsch, wird aber nächtens blenden, dachten wir – war nicht der Fall, die Helligkeit wird jeweils automatisch auf das rechte Maß gedimmt.

Wanderpfeil

Große Klasse auch das HUD, das neueste Augmented-Reality-Technologie verwendet, mit größer werdenden wandernden Pfeilen, die im Navi die Richtungswechsel zusätzlich signalisieren. Hat sonst erst Mercedes und VW, zieht aber zügig in die Autowelt ein.

Surren wir also los. Vielleicht eh gleich einmal ein Autobahntest. Dazu sei noch einmal vorausgeschickt, wie wir an das E-Auto herangehen: genau so wie an jedes andere Auto. Betrifft Heizung und Kühlung, betrifft auch Geschwindigkeit, nämlich auf der Autobahn nicht schleichen, sondern 130 km/h, mitunter auch das hierzulande übliche Autobahntempo von 140, 145.

Ein direkter Gegner von VW, der ID.4. Kann ebenfalls Heckantrieb und Allrad.
Foto: Stockinger

Wir haben eine Referenzstrecke Wien-Linz gewählt, laut Bordcomputer rund 180 km, los geht’s bei 96 Prozent Ladestand, entspricht 356 km Reichweite. Peilen wir zum Beispiel den Pöstlingberg an, nach den Wahlen in Oberösterreich klingt Geisterbahn nicht abwegig; gerüchteweise fordern die Grünen deren zügigen Ausbau über das gesamte Bundesgebiet.

Danach zurück nach Wien. Rund 30 Kilometer zur Ionity-Ladestation St. Valentin. Die laufen wir mit 65 km Restreichweite an. Glück gehabt, gerade noch eine Säule frei. Knapp 30 Minuten bis Ladestand 80 Prozent, verrät der Computer. Das kann der Hyundai im Prinzip viel schneller, da der Saft aufgrund der Vollbelegung aber nur mit 120 bis 140 kW in den Akku strömt, dauert es ein wenig länger als gedacht.

Könnte der Ioniq, der nach Porsche und Audi (Taycan, e-tron GT) als Erster – und als erster Großserienhersteller überhaupt – auf 800-Volt-Technologie setzt, wie er will, wäre mit 350 kW der Akku in 17 Minuten auf 80. Mit der sündteuren Technik geht Hyundai-Kia enorm in Vorleistung, das wird sich bestimmt schon bald auszahlen und die Konkurrenz unter Zugzwang setzen.

Grafik: Der Standard

So weit jedenfalls unser Erfahrungskurzbericht von der Autobahn, und bei dem skizzierten Tempo steigt der Verbrauch schon mal auf 22, 23 kWh/100 km. Insgesamt hat sich, bei letztlich doch recht viel Autobahn, der Testverbrauch in zwei Wochen auf 19,5 kWh / 100 km eingependelt.

Fahrverhalten noch rasch? So satt, wie er auf der Straße steht, fährt der Ioniq 5 sich auch. Durch den niedrigen Schwerpunkt ist er auch in Kurven schwer aus der Ruhe zu bringen, die 160-kW-Maschine passt gut zum Auto, und dass es sich um einen Hecktriebler handelt, verschleiert der Hyundai sympathischerweise auch nicht. Allradversion gibt es selbstverständlich auch, da sitzt dann zusätzlich eine E-Maschine vorn.

1910 bis 1990: Nein, das ist kein zeithistorischer Abriss von kurz vor dem Ersten Weltkrieg bis zur deutschen Wiedervereinigung, sondern das Leergewicht des Testwagens. Damit bleibt er knapp unter den zwei Tonnen, die bei Elektroautos dieser Größenordnung oft und oft auch deutlich überschritten werden.

Im übertragenen Sinn jedenfalls ist der Ioniq 5 eine gewichtige Ansage, die Koreaner spielen bei der E-Mobilität ganz, ganz vorne mit. (Andreas Stockinger, 4.11.2021)