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Bussi, Bussi im Lokal. Nicht immer beginnt eine Affäre so. Manchmal beginnt sie auch ganz harmlos mit einer Freundschaft, wissen die Paartherapeuten Roland und Sabine Bösel aus ihrer Praxis.

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Wenn der Partner oder die Partnerin eine Affäre beginnt, dann hat das meist mehr mit einem selbst zu tun, als man sich vielleicht eingestehen möchte, sagen Sabine und Roland Bösel: "Affären passieren, weil eine alte Krise nicht gelöst wurde." Deshalb halten die Paartherapeuten auch nichts von Selbstmitleid oder davon, sich als Opfer zu sehen und den anderen als Täter. Ebenso wenig sollte besprochen werden, in welchem Bett jemand zusammen gelegen hat oder ob der oder die "andere" ein heißer Typ oder eine super Frau ist.

Ein Gespräch über Untreue, die Kardinalfehler nach einer Affäre und darüber, wie eine Krise ein Paar zusammenschweißen kann – stärker als zuvor. Die Experten erklären auch, welche brauchbaren Beziehungstipps in dem Hollywood-Film "Crazy, Stupid, Love" stecken.

STANDARD: In jeder Beziehung kriselt es ab und zu. Wann würden Sie beide nach einer Therapiesitzung zueinander sagen: "Also diese beiden, die sind in einer ausgewachsenen Beziehungskrise"?

Roland Bösel: Ganz schlimm ist es, wenn uns Paare gegenübersitzen und nicht mehr miteinander reden können, einander nichts mehr zu sagen haben. Wenn sie streiten und zornig sind, dann habe ich das Gefühl, dass noch Energie da ist. Wenn sie jedoch verstummt sind, dann ist es meist ein sehr schlechtes Zeichen.

Sabine Bösel: Häufig hat da einer der beiden schon beschlossen, dass er nicht mehr will und sich emotional abgeschottet. Dieser Zustand ist viel heftiger als das Streiten.

STANDARD: In welcher Situation sind Paare, die zu Ihnen kommen?

S. Bösel: Oft haben sie schlimme Lebensereignisse hinter sich, wie den Tod eines nahen Verwandten. Oder jemand hat seinen Job verloren. Diese Lebensereignisse bringen dann die Beziehung zum Kippen, weil sich einer der beiden denkt: Ich fühle mich in dieser Situation von meinem Partner, von meiner Partnerin so im Stich gelassen. Ich würde mir mehr Zuwendung und Verständnis wünschen, aber der andere ist nur mit seinem eigenen Stress beschäftigt. Auch die Geburt eines Kindes kann solche Gefühle auslösen.

Oftmals wird einem das erst im Nachhinein so richtig bewusst, wenn die schwierige Situation überstanden ist und man wieder aufatmen kann. In einer totalen Stressphase lässt man meist alles, wie es ist, da stellt man nichts infrage.

R. Bösel: Ich will Ihnen ein Beispiel bringen, um das alles zu verdeutlichen: Ein Paar hat einen unerfüllten Kinderwunsch. Über Jahre machen sie Hormonkuren, versuchen künstliche Befruchtung – und bekommen schließlich ein Kind, das die ganze Nacht durchschreit. Die beiden sind zunächst so fertig, dass sie gar nicht groß darüber nachdenken, wie es ihnen geht.

Sobald das Kind dann aus dem Gröbsten raus ist, kommen sie zu uns. Dann ist aber längst keine Energie mehr da. Viele Paare kommen, weil sie sagen: Es geht nicht mehr, jetzt geht's ans Eingemachte. Manchmal hat auch einer eine Affäre und alles kommt hoch. Affären passieren, weil eine alte Krise nicht gelöst wurde.

STANDARD: Das ist interessant. Viele würden wahrscheinlich meinen, dass eine Affäre die Ursache einer Krise ist.

S. Bösel: Wir sind überzeugt davon, dass Affären das Symptom einer Beziehungskrise sind. Denn was wir oft sehen: Die Partner haben sich auseinander gelebt, und dann flirtet einer, weil er von jemand anderem mehr Aufmerksamkeit bekommt als von seinem Partner. Der konnte den Hunger nach Aufmerksamkeit nicht stillen.

STANDARD: Die Affäre bietet etwas, das der andere nicht bieten kann ...

S. Bösel: Genau. In so einer Situation tut man so etwas. Manchmal ist es für denjenigen, der die Affäre hat, die einzige Möglichkeit, es überhaupt noch in der Beziehung auszuhalten. Es ist ein Weg, um das, was zu Hause nicht passt, durchzudrücken. So lassen sich die Probleme in der Beziehung besser ertragen. Bei uns war einmal ein Paar, bei dem die Frau eine Affäre hatte. Er konnte das gar nicht ertragen und fragte sie: Wieso hast du das gemacht? Und sie sagte: Ich habe das gemacht, damit ich bei dir bleiben kann.

Deshalb ist es so wichtig, dass beide verstehen, was davor war, welche Probleme es schon lange gibt. Denn sonst wären wir bei einer typischen Vorstellung, dass einer das arme Opfer ist und der andere der Täter oder die Täterin. Das ist viel zu kurz gedacht.

R. Bösel: Der Betrogene sagt klassischerweise, dass das Versprechen der Treue nicht eingehalten wurde. Aber auch der andere hat nicht bekommen, was er wollte: Seine Erwartungen wurden nicht erfüllt.

Ich beispielsweise hatte einen wirklich langen Atem, als ich um meine Frau geworben habe. Daraus zog sie logischerweise den Schluss, dass ich mich in unserer Beziehung wirklich um sie bemühen werde, dass ich wirklich für sie da sein werde. So habe ich mich ja präsentiert. Dann kam es aber anders – ich war plötzlich nicht mehr für sie da. Ich hatte das Feld, das eine Drittperson einnehmen konnte, sozusagen selbst geräumt. Ich war nur noch mit meiner Firma beschäftigt und habe sie nicht unterstützt, während sie ihre Psychotherapieausbildung machte. Umgekehrt hat sie das Versprechen nicht eingehalten, dass wir uns immer treu sind. Das Bewusstsein für diesen Mechanismus hat mir geholfen, mich nicht beleidigt zurückzuziehen.

STANDARD: Wo beginnt denn Untreue?

R. Bösel: Das ist letztendlich eine Vereinbarungssache. Bei uns war einmal ein Paar, bei dem die Frau pornografische Videos angeschaut hat, und er war der Meinung: Sie ist mir untreu. Sie wiederum war der Auffassung, dass das vollkommen harmlos ist. Für den einen beginnt der Betrug also ganz wo anders als für den anderen. Das Perfide: Über das Thema Treue – und was es für einen bedeutet – kann man nicht in der ersten Verliebtheit sprechen, weil da sowieso keiner der beiden Augen für jemand anderen hat. Umso wichtiger ist es, das Thema später aufzubringen und zu fragen: Wie ist das für dich? Wie denkst du darüber?

S. Bösel: Manchmal beginnt Untreue auch ganz harmlos, mit einer guten Freundschaft. Da gibt es eine gute Freundin oder einen guten Freund, der oder dem man das Leid mit dem Partner erzählt. In unserem Bekanntenkreis gab es so einen Fall. Da hat jemand seine Frau, mit der es gekriselt hat, für seine beste Freundin verlassen. Da war zuerst gar nichts Sexuelles. Aber sie war über Jahre seine Vertraute, ihr hat er sein Herz ausgeschüttet – und sie ihm.

STANDARD: Werden Affären eher gebeichtet oder fliegen sie auf?

R. Bösel: Es gibt Beziehungen, wo der, der die Affäre hatte, sich sofort outet. Dann gibt es die zweite Kategorie derjenigen, die das zu vertuschen versuchen, dann jedoch merken, dass das nicht geht – und es ansprechen. Und dann gibt es diejenigen, die das vertuschen wollen, bis dann ein Fehler passiert.

S. Bösel: Oft fliegt eine Affäre auf, weil jemand das Handy am Tisch liegen lässt oder den Laptop aufgeklappt. Eigentlich will man es geheim halten, hat jedoch gleichzeitig ein schlechtes Gewissen und das Unbewusste spielt einem einen Streich.

R. Bösel: Schließlich gibt es auch richtige Doppelleben mit Kindern.

S. Bösel: Da wird dann eine richtige Geschichte konstruiert! Für so ein Doppelleben muss man aber ein richtiges Logistikgenie sein. Und die andere Person ein bisschen naiv und nicht allzu misstrauisch. Es gibt natürlich auch Menschen, die unter der Woche in anderen Städten sind, da geht ein Doppelleben natürlich leichter.

R. Bösel: An dieser Stelle will ich aber klarstellen: So ein Doppelleben ist wirklich die Ausnahme. Meistens ist es so, dass jemand sagt, er bleibt länger im Büro oder geht in der Früh zwei Stunden laufen – aber in Wirklichkeit trifft er seine Affäre.

Ich möchte aber jetzt nicht die Leserinnen und Leser auf irgendwelche Ideen bringen. Der Punkt ist: Meist geht einer Affäre ja schon etwas voraus, etwas passt nicht. Und irgendwann kommt dann eine dritte Person und es knallt. Die Frage ist dann, wie das Paar weitermacht, wie es seine Beziehung gestalten will. Ist man beleidigt, oder entscheidet man sich, gemeinsam etwas daraus zu machen?

STANDARD: Oftmals kommen nach einer Affäre ein Haufen Fragen: "Welche Stellung, wo, wie oft?" Sollte man sich diese Details nicht sparen?

S. Bösel: Ja, da kann alles Mögliche kommen. Ist der Typ attraktiver? Ist er besser im Bett? Liebst du ihn mehr? Der andere sollte aber keine Antworten geben, denn die tun nur weh. Und was bringt es zu wissen: Am Soundsovielten waren wir Dortunddort spazieren? Das ist doch unwichtig und tut für die Beziehung nichts zur Sache.

STANDARD: Manch eine oder manch einer hat vielleicht das Gefühl, er könne das besser verarbeiten, wenn er es versteht ...

S. Bösel: Das ist eine Fehleinschätzung. Was herauskommen müsste, ist: Was fehlt in unserer Beziehung? Seit wann gibt es die Distanz? Das ist sehr wohl interessant – aber nicht, in welchem Bett man zusammen gelegen hat.

STANDARD: Was ist denn leichter zu verzeihen: eine körperliche Liaison oder eine Verliebtheit?

S. Bösel: Also ich würde sagen eine Affäre, denn die Verliebtheit ist schlimm, weil sie mit enormen Glücksgefühlen verbunden ist. Wenn der Partner in jemand anderen verliebt ist, muss man das fast aussitzen. Wenn man an der Beziehung festhalten will, zahlt es sich sicher aus, dem anderen Zeit zu geben. Es auszuhalten in der Gewissheit, dass man sicher auch etwas dazu beigetragen hat, dass die Situation so geworden ist. Nicht alles, denn man muss auch seine Grenzen wahren. Manche unterwerfen sich so und halten alles aus. Das geht auch nicht. Man muss seine Würde behalten. Es ist eine Gratwanderung.

STANDARD: Sie sagen, dass Krisen die Beziehung sogar besser machen können. Das werden viele, deren Partner gerade fremdgegangen ist, wahrscheinlich anders sehen. Was genau meinen Sie also damit?

S. Bösel: Das Fremdgehen ist ein Bruch, den man reparieren muss. Das kostet Energie und Zeit. Aber es schweißt das Paar zusammen. Denn sie haben diese Krise miteinander durchlebt, sie ausgestritten. Sie haben Grundsatzfragen noch einmal gestellt. Und wenn sie sich einigen, ist ihre Beziehung stärker als zuvor.

R. Bösel: Man ist zusammengeschweißt, und es ist so wie beim Metall: Die Schweißnähte halten fester als der Rest.

S. Bösel: Außerdem kann eine Krise ja auch eine neue Entscheidung füreinander bedeuten. Bei uns war das so: Als der Roland und ich geheiratet haben, war das Thema Treue eher etwas Moralisches für mich. Etwas Vorgegebenes. Aber erst als wir beide Affären hatten, gestritten haben, uns wieder zusammengerauft haben, habe ich gespürt, dass die Beziehung mit dem Roland das ist, was ich wirklich will. In der Fachsprache ist dann von "intrinsisch" die Rede, was so viel heißt wie "aus eigenem Antrieb". Ich habe gemerkt: Unsere Beziehung ist exklusiv und das ist ein Schatz – und diesen Schatz bewahre ich mir ganz freiwillig. Man wird reifer durch Krisen.

STANDARD: Oder wie Max Frisch sagt: "Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen." Das Drama rausnehmen und schauen, was man draus macht – wäre das auch ein Tipp?

S. Bösel: Auf jeden Fall. Gelingen kann das, indem man sich bewusst macht, dass andere auch schon in einer solchen Krise waren. Erfreut kann man natürlich nicht sein, aber es ist nicht das Allerschlimmste auf der Welt. Man kennt ja genug Paare, bei denen einer eine Affäre hatte, die aber für die Beziehung kämpfen und es da rausschaffen.

STANDARD: Was raten Sie Paaren noch?

S. Bösel: Eine "Cool-Down"-Phase für alle Beteiligten ist ein wichtiger erster Schritt. Genau hinzusehen, was passiert ist, bringt viel mehr, als schnelle Entscheidungen zu treffen. Was natürlich für jenen, der verletzt wurde, ausgesprochen schwierig sein kann. Hals über Kopf zu entscheiden, weil man den Zustand gerade nicht aushalten kann und die Gefühle zu heftig sind, ist trotzdem nicht empfehlenswert. Besser: Runterkommen, sich etwas Gutes tun. Das kann Beziehungen retten.

Wer in so einer Situation auch helfen kann, sind Freunde. Nämlich solche, die in der herausfordernden Zeit da sind, zuhören, aber keine Tipps geben. Tipps sind ja oft nur Außenprojektionen, über die jemand mitteilt, was er oder sie selbst brauchen würde.

R. Bösel: Nicht in die Abwehrhaltung zu gehen und alles hinzuschmeißen, halte ich für essenziell. Kennen Sie den Film "Crazy, Stupid, Love"?

STANDARD: Ja, mit Steve Carell in der Hauptrolle.

R. Bösel: An einer Stelle kommt er mit einem schrecklichen Sakko und Turnschuhen, die er schon in der Studienzeit anhatte, und Ryan Gosling sagt sinngemäß zu ihm: "Wenn du so aussiehst, brauchst du dich nicht zu wundern, dass dich deine Frau verlässt." Sein 13-jähriger Sohn sagt dann etwas viel Gescheiteres: "Warum kämpfst du nicht um die Mama?" Viele Betrogene sind in der Abwehrhaltung und sagen: Der hat mich aber so verletzt! Das ist verständlich. Aber deswegen heißt es noch lange nicht, dass man die Beziehung aufgibt. (Interview: Lisa Breit, 28.12.2021)