Mit dem Namen Mitrella viennensis trägt eine der 33 neuen Arten die Geschichte des Wiener Museumsfunds weiter.
Foto: NHM Wien, Alice Schumacher

Museen dokumentieren nicht nur gefestigte wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern sind selbst mitunter ein Ort der Entdeckungen. Das beweist das Naturhistorische Museum (NHM) Wien eindrücklich: Beim Sichten der Schneckensammlung fielen einer Forschungsgruppe gleich mehrere Arten und Gattungen auf, die noch gar nicht beschrieben wurden. Und das, obwohl die Schnecken schon seit mehr als 150 Jahren zu den NHM-Sammlungen gehören.

Dass dies gerade jetzt ans Licht kam, hängt mit einem konkreten Forschungsprojekt zusammen. In diesem wollte man mehr über jene Schnecken herausfinden, die in einem Meer lebten, das vor Millionen Jahren noch bis ins heutige Österreich reichte. Hierfür untersuchten Experten nur einen kleinen Teil der großen Schneckensammlung. Die Überraschung: Ein Drittel dieser Arten wurde bisher weder entdeckt noch beschrieben.

Täubchenschnecke aus Wien

Somit war es am Forschungsteam, für neun Gattungen und 33 Arten neue Namen zu finden. Eine der neuen Artbezeichnungen widmeten Mathias Harzhauser und Bernard Landau der Stadt Wien, nämlich Mitrella viennensis. Sie gehört zur bereits bekannten Familie der Täubchenschnecken, wird aber auch als kleine Täubchenschnecke bezeichnet. Ob ein Zusammenhang zwischen der Wienbenennung und der Einordnung als Täubchenschnecke besteht, ist unklar.

Die nach Wien benannte neue Art wird auch als kleine Täubchenschnecke bezeichnet.
Foto: NHM Wien, Alice Schumacher

"Unsere Studie belegt anschaulich die Bedeutung naturwissenschaftlicher Sammlungen für die Erfassung der vergangenen und modernen Biodiversität", sagt Harzhauser, der auch die Geologisch-Paläontologische Abteilung am NHM Wien leitet. Die Schätze der Museen seien längst noch nicht alle gehoben – allerdings brauche es Fachleute, um die Besonderheiten überhaupt erkennen zu können.

Schnecken aus Westafrika

Die Wiener Täubchenschnecke lebte einst im Bereich der heutigen Städte Wien und Baden. Hier bewohnte sie vor etwa 15 Millionen Jahren die Seegraswiesen am Boden des tropischen Meeres, das von hier bis in den Kaukasus reichte. Der Artenreichtum war bemerkenswert: Muscheln und Fische bewohnten Korallenriffe, die sich bis ins heutige Burgenland ausbreiteten.

Vor 15 Millionen Jahren wäre Wien am Meer situiert gewesen.
Foto: NHM Wien

Die Spuren des einstigen Paratethys-Meeres, an dessen Ufer sich heute womöglich auch Wien befände, sind heute nicht mehr so leicht aufzuspüren. Sie verstecken sich unter Städten und Straßen. Die meisten der Funde, die ins Naturhistorische Museum wanderten, stammen daher aus einer Zeit, als die Verbauung noch nicht so ausgeprägt war, nämlich aus dem 19. Jahrhundert. Damals wurden im Gebiet der Habsburger Monarchie dafür hunderte Sandgruben und Steinbrüche betrieben, in denen man immer wieder auf die prähistorischen Fossilien aus dem Meer stieß.

Die Schneckensichtung lieferte auch eine Antwort auf die Frage, woher die reiche tropische Artenvielfalt überhaupt nach Europa kam. Eine Meeresverbindung zum Roten Meer oder zum Indischen Ozean gab es damals nicht. Stattdessen kamen viele tropische Schnecken aus dem heute westafrikanischen Küstenbereich, wie die Wissenschafter schreiben. Damals stiegen die Wassertemperaturen, die Schnecken wanderten in Richtung Norden und dürften viele bereits ansässige Arten ersetzt haben. Eine nicht ungewöhnliche Entwicklung im Zuge von Klimaveränderungen, die nicht nur an Schnecken, sondern heute auch an Schmetterlingen zu beobachten ist. (sic, 2.11.2021)